Im Oktober 2017 konnte das neonazistische Kampfsportevent „Kampf der Nibelungen“ einen kleinen Erfolg für sich verbuchen. Jahrelang hatte die Veranstaltung kaum mehr als 200 Aktivisten angezogen, die gegeneinander in verschiedenen Disziplinen antreten oder dem Spektakel als Zuschauer beiwohnen konnten. Auf dem Programm stehen dort neben dem klassischen Boxen auch Mixed-Martial-Arts oder das japanische K1, das gewisse Ähnlichkeiten mit dem Thaiboxen aufweist. Doch im letzten Jahr hatten die Teilnehmerzahlen mit über 600 Personen, die nach Kirchhunden im Sauerland gekommen waren, die vorherigen Jahre bei weitem übertroffen. Als Grund für diesen Erfolg gelten eine zunehmende Professionalisierung der Veranstalter, eine gute Vernetzung und eine bestehende Begeisterung für Kampfsport.
Tatsächlich genießen dessen Disziplinen in der extremen Rechten seit je her eine besondere Popularität. Über die letzten Jahre hatten immer wieder Versuche von Neonazis für Schlagzeilen gesorgt, sich in diesem Milieu anzusiedeln. Dabei konnten unterschiedliche Ausprägungen beobachtet werden: Im kleineren Rahmen hatten deren Aktivisten beispielsweise wiederholt Versuche unternommen, selbst als Mitglieder eines entsprechenden Sportvereins Fuß zu fassen. Auf einer größeren Ebene wurden dagegen verschiedene Bemühungen gestartet, sich ein wirtschaftliches Standbein im Kampfsport-Sektor aufzubauen. So gibt es heute mehrere Label, die sich mit ihrem Sortiment dezidiert an rechte Kampfsportler richten, darunter unter anderem „Greifvogel Wear“ und das „Label 23“ aus Brandenburg.
Aufbau eines professionellen Nazi-Kampfsports
Die Inhaber solcher Marken vertreiben Bekleidung für Sportler und bieten ein eigenes Zubehör an, treten teilweise aber auch als Sponsoren in Erscheinung. Auf diese Weise erhalten sie die Möglichkeit, Kontakte mit Kämpfern zu knüpfen und eigene Strukturen aufzubauen. Die antifaschistische Initiative „Runter von der Matte“ hat auf ihrer Homepage eine Auflistung entsprechender Labels erstellt, die jeweils über Einbindungen in die Szene verfügen. Nach deren Analyse geht es bei diesen Bemühungen letztlich immer um den „Aufbau und um die Unterstützung einer selbstfinanzierten, professionalisierten Neonazi-Kampfsportszene“.
Damit spielen sie auf die Tatsache an, dass derartige Events in der extremen Rechten einen immer höheren Stellenwert einnehmen. Diese Popularität begründet sich zum einen durch das grundsätzliche Interesse an Kampfsport, das die militante Szene unverhohlen pflegt. Mehr noch als in anderen Sportarten kann hier durch den direkten Körperkontakt deren antiquiertes Männlichkeitsbild sowie der dort vorherrschende Körperkult ausgelebt werden. Die Neonazi-Partei „Der III. Weg“, die sich deutlich auf den Nationalsozialismus bezieht, hat das in einem Text selbst formuliert: Der Kampfsport wird demnach in bewusstem Gegensatz zur Gleichberechtigung als Möglichkeit für den „deutschen und westeuropäischen Mann“ in Stellung gebracht, wo sich dieser angeblich „seiner Männlichkeit noch bewusst sein darf“.
Zum anderen können Neonazis, die Kampfsport ausüben, in diesem Rahmen ihre Gewaltaffinität ausleben und trainieren. „In Zeiten des drohenden europäischen Untergangs“, heißt es in einem Strategietext des „III. Weg“, „ist der Ruf zur Wehrhaftigkeit stärker denn je.“ Dementsprechend soll Kampfsport auch auf die Aktivitäten der jeweiligen neonazistischen Gruppierung vorbereiten, selbst wenn dieses Wissen offiziell nur der Selbstverteidigung dienen soll. Laut Kai-Andreas Zimmermann, Nürnberger Neonazi und Führungskader der Partei, habe der Kampfsport für die Szene einen „sehr hohen Stellenwert“, verriet er in einem Interview mit dem parteieigenen Podcast „Revolution auf Sendung“. Es sei demzufolge „enorm wichtig“, sich als „Nationalist“ in der „heutigen Gesellschaft“ (…) „zur Wehr setzen“ zu können. Das gelte nicht nur auf der Straße, sondern auch im Falle einer möglichen Haftstrafe.
Vernetzung durch eigene Kampfsport-Events
Eigene Kampfsportevents vereinen diese Begeisterung mit der Möglichkeit, sich auf einer konspirativen Ebene politisch zu vernetzen. Mit diesem Profil erweitern sie das Repertoire der rechten Erlebniswelt, das viele Jahre vor allem durch Rechtsrock-Events geprägt war, immer öfter um einen zusätzlichen Bestandteil. Nirgendwo wird das offensichtlicher als beim „Kampf der Nibelungen“, der 2017 vom Dortmunder Neonazi Alexander Deptolla organisiert wurde. 2017 waren dort neben einer Vielzahl deutscher Neonazis auch mehrere Personen aus dem Ausland angereist oder als Sponsoren in Erscheinung getreten. Unter diesen Förderern befindet sich mit Denis Nikitin eine bekannte Figur der internationalen Neonazi- und Hooligan-Szene, der seines Zeichens selbst als erfahrener und geübter Kampfsportler gilt.
In seinem Eigentum befindet sich das Neonazi-Label „White Rex“, das tatsächlich weit mehr ist als bloß eine einfache Bekleidungsmarke. Aus dessen Umfeld werden Rechtsrock-Konzerte und Kampfsport-Events organisiert sowie entsprechende Veranstaltungen in Westeuropa aufgebaut. Ihr erklärtes Ziel besteht darin, den Kampfsport in Verbindung mit einer gesunden Lebensführung zunehmend in der gesamten europäischen Neonazi-Szene zu etablieren. Die Bekleidungsfirma mit Sitz in Russland ist hierbei lediglich ein Teil in einem größeren Netzwerk, das derzeit in verschiedenen europäischen Ländern auf dieses Ziel hinarbeitet.
Gefahr der Radikalisierung
In Deutschland konnte Nikitin mit dieser Strategie in der letzten Zeit bereits einige Erfolge verbuchen. So wurde 2018, angespornt durch den Erfolg aus dem Vorjahr, eine weitere Auflage des „Kampf der Nibelungen“ durchgeführt. Als Veranstaltungsort wurde diesmal das sächsische Ostritz ausgewählt. Zur gleichen Zeit fand dort das Rechtsrock-Festival „Schild und Schwert“ der NPD statt, das rund 1200 Besucher anziehen konnte. Die Zusammenlegung beider Veranstaltungen dürfte kein Zufall sein, denn durch sie wird eine noch intensivere Vernetzung zwischen den internationalen Teilnehmern möglich. Zudem werden mit Kampfsport und dem klassischen Rechtsrock gleich zwei Elemente kombiniert, die als attraktive Rekrutierungsinstrumente gelten. Es ist in diesem Kontext anzunehmen, dass die Neonazi-Szene sich mit dieser Kooperation an kampfsportbegeisterten Nachwuchs wenden möchte.
Die Aktivitäten in diesem Bereich verdienen besondere Aufmerksamkeit. Ähnlich wie beim Rechtsrock besteht das hier Risiko, dass die Veranstaltungen durch ihren verschworenen Charakter der stetigen Verfestigung der Ideologie dienen können. Außerdem liegt eine ganz konkrete Gefahr in kampfsporterprobten Neonazi-Aktivisten, wenn diese ihre „gewöhnlichen“ politischen Aktivitäten auf der Straße entfalten. Eine weitere Radikalisierung durch entsprechende Kämpfe muss jedenfalls als wahrscheinlich eingeschätzt werden.
Ausführliche Informationen zum Thema „Neonazis und Kampfsport“ gibt es bei der Initiative „Runter von der Matte“. Deren Website beschäftigt sich ausführlich mit diesem Phänomenbereich, dessen Erscheinungsformen und bietet viele hilfreiche Informationen an, auch im Hinblick auf mögliche Gegenstrategien: