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Jahrelang versteckte sich ein österreichischer Neonazi-Rapper hinter einem Pseudonym: Mr. Bond war ein anonymer Star der rechtsextremen Online-Welt, er vertonte bekannte Pophits mit expliziten menschenverachtenden Texten neu. Eine Art „Weird Al“ Yankovic der Neonazi-Szene: Er widmete einen Song dem Christchurch-Killer und inspirierte wiederum den Halle-Attentäter (siehe Belltower.News). In anderen Liedern feiert er die Massenvernichtung von Juden und Jüdinnen im Nationalsozialismus. Am 20. Januar 2021 wurde Mr. Bond festgenommen, seitdem sitzt er in Untersuchungshaft in Wien. Nun wurde seine Identität öffentlich: Philip Josef H. (Voller Name der Redaktion bekannt), Jahrgang 1984. Ein erwerbsloser Mann aus Lienz in Osttirol, der zwischen 2013 und 2018 in Wien wohnte. Bei seiner Verhaftung lebte er wieder im Elternhaus in der Kärntner Gemeinde Paternion.
Das geht aus der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Wien gegen Mr. Bond hervor, die Belltower.News in englischer Übersetzung vorliegt. Auf Anfrage bestätigte die Staatsanwaltschaft Wien, dass Daten wie Aktennummern stimmen. Auch andere Angaben, die von Belltower.News überprüft wurden, deuten darauf hin, dass die Anklageschrift authentisch ist. Es geht offenbar um die Anklage, die Philip H.s Verteidiger am 19. Oktober 2021 zugestellt wurde. Auf eine Anfrage von Belltower.News sagte Verteidiger Martin Mahrer lapidar: „Ich habe den Auftrag, keine Ihrer Fragen weder jetzt noch in Zukunft zu beantworten“.
Die Anklageschrift zählt 76 Beispiele auf aus Songzeilen, Musikvideos und Artwork von Mr. Bond, die NS-Symbole beinhalten oder Hitler, den Nationalsozialismus und die Massenvernichtung von Jüdinnen:Juden glorifizieren. Philip H. soll zudem auch das „Manifest“ des Christchurch-Attentäters mit dem Titel „The Great Replacement“ ins Deutsche übersetzt und online gestellt haben – ein Dokument des Hasses, das zum Mord an Migrant:innen sowie Jüd:innen und Juden aufruft. Auch Nachrichten und Dateien, die H. via E-Mail verschickte und in denen Hitler oder den Nationalsozialismus verherrlicht werden, wurden von der Staatsanwaltschaft ausgewertet.
Philip H. sammelte zudem fleißig nationalsozialistische Bücher und Propagandamaterial zu Hause: Die Staatsanwaltschaft nennt 16 Titel, darunter Hitlers „Tischgespräche im Führerhauptquartier“ und Goebbels „Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei“. Hinzu kommen acht T-Shirts mit NS-Symbolen, zwei Schwarze-Sonne-Flaggen und eine Reichskriegsflagge. Ein braunes Sammelsurium an NS-Fanartikeln.
Besonders alarmierend ist, dass laut Anklageschrift das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, Österreichs Sicherheitsbehörde, zu dem Schluss kommt, dass Philip H. selbst einen Terroranschlag planen könnte. Sie halten ihn für „besonders gefährlich“.
Dass er andere Rechtsterroristen bereits inspiriert hat, ist längst bekannt: Den Christchurch-Attentäter, der im März 2019 in zwei neuseeländische Moscheen 51 Menschen ermordete und 40 weitere verletzte, bezeichnete Mr. Bond als „Heiligen“. Nach dem Anschlag schrieb er: „Ich liebe diesen Mann…Stellt euch 100 Brentons vor – auf der ganzen Welt“. Und weiter: „Auch wir müssen uns bereit machen, um losschlagen zu können, und das sehr bald.“ Später widmete er dem Attentäter den Track „Holding Out For A Tarrant“, inspiriert von Bonnie Tyler. Der Halle-Attentäter, der an Jom Kippur im Oktober 2019 versuchte, schwer bewaffnet in eine Synagoge einzudringen, und zwei Menschen ermordete, hörte dabei den Mr.-Bond-Song „Powerlevel“. Vor Gericht sagte der Attentäter aus, dass der Song als „Kommentar zur Tat“ fungieren sollte.
Fünf Alben hat Mr. Bond seit 2016 online selbstveröffentlicht. „Mein Kampf Mixtape Vol. 1488“ hieß sein Debüt – 20 Coverversionen von Künstler:innen wie Jay Z („88 Problems“), The Bloodhound Gang („The Mosque is on Fire“) und The Scorpions („Wind of Adolf“). Das Albumcover zeigt Hitler mit Sonnenbrille und einer Hakenkreuz-Goldkette. Mr. Bond will Volksverhetzung „humorvoll“ machen. Im Vergleich zu den einschlägigen Rechtsrock-Bands und NS-Rappern versucht er es mit Witz, er bezieht sich auf Memes und Imageboardkultur. Doch seine Texte sind auch äußerst explizit: Er singt und rappt über Mordphantasien gegen Jüdinnen:Juden, Schwarze und Homosexuelle. Über Gaskammern und Rassenkrieg.
Mit seiner Musik soll Mr. Bond auch seinen Lebensunterhalt verdient haben, so die Staatsanwaltschaft. Ein lukratives Geschäft: Allein über eines von Philip H.s Bitcoin-Wallets liefen zehntausende Euro an vermeintlichen Spenden, wie die Tagesschau berichtet. Doch getreu dem Motto „Follow the Money“ wurden seine Einnahmen ihm zum Verhängnis: Über PayPal kamen Ermittler:innen Philip H. auf die Spur.
Dass seine Identität jetzt öffentlich wurde, hat Mr. Bond offenbar einem Fan zu verdanken. Nach seiner Inhaftierung vernetzten sich seine Anhänger:innen auf Telegram. Sie starteten die Kampagne #FreeMrBond und sammeln Spenden für seine Verteidigungskosten. Auf der Webseite der Gruppe, die vom rechtsextremen US-amerikanischen Musiker „Teknein“ und dem Mr.-Bond-Fan „Shill-Killa Linney“ betrieben wird, wird H. als „Political Prisoner of ZOG“ bezeichnet – ZOG steht für „Zionist Occupied Government“, ein antisemitischer Verschwörungsmythos über eine vermeintliche jüdisch-kontrollierte Weltregierung.
Eine Bitcoin-Adresse, die ebenfalls von „Teknein“ verwaltet wird, sammelte mit 67 Überweisungen 0.08104331 BTC – was nach aktuellem Kurs knapp 3.200 Euro entspräche. Nach einem internen Streit wechselte „Teknein“ auf die Kryptowährung Monero, die anonymer ist und deren Überweisungen nicht öffentlich einsehbar sind. „Teknein“ verkauft auch in seinem Webshop Mr.-Bond-Fanartikel für 8,88 oder 14,88 US-Dollar, deren Erlöse dem inhaftierten Philip H. ebenfalls helfen sollen.
Die Kampagne „Free Mr. Bond“ wollte nicht nur Geld sammeln, sondern auch Kontakt zu Philip H. und seine Verteidigung aufbauen. Vor allem „Shill-Killa Linney“ zeigte sich besonders bemüht, die Identität von Philip H. herauszufinden. Sie schrieb auch E-Mails an die verurteilten Holocaustleugner:innen David Irving und Monika Schaefer und bat um Rat und Unterstützung, wie die österreichische Rechercheplattform Stoppt die Rechten berichtet.
Nach monatelanger Hobbydetektivarbeit schrieben „Teknein“ und „Shill-Killa Linney“ am 13. Dezember 2021 auf der Kampagnenwebseite, dass sie nun in Kontakt mit Philip H. seien und mit ihm Briefkontakt gehabt hätten. Gemeinsam mit H.s Verteidiger Martin Mahrer hätten sie entschieden, die Anklageschrift zu veröffentlichen und offenbar ins Englische zu übersetzen. Damit wollten sie andere potenzielle Unterstützer:innen davon überzeugen, dass sie wirklich in Kontakt mit Philip H. seien – und sie zum Spenden ermutigen. Auf Englisch kommentieren „Teknein“ und „Shill-Killa Linney“ die Veröffentlichung: „The information in this ‚statement‘ should lay to rest any doubts you may have had.“ Auch dazu wollte sich Verteidiger Mahrer gegenüber Belltower.News nicht äußern.
Doch nicht alle Fans sind überzeugt von dem Vorgang: „Linney should not have doxd him“, schreibt „paxisback“ in einer E-Mail an den Seitenbetreiber „Teknein“. „I should not know his name was Philip“. Er kündigt an, die Bitcoin-Adresse auf einer schwarzen Liste setzen zu lassen, um weitere Spenden an Mr. Bond zu verhindern. Daraufhin wechselte „Teknein“ den Verteidigungsfonds zur Kryptowährung Monero – und veröffentlichte den Mail-Austausch mit „paxisback“ auf der Webseite. Nach einem Artikel von Stoppt die Rechten wurde zudem der Telegram-Kanal „Free Bond News“ gelöscht und die Telegram-Gruppe „Free Bond“, die rund 200 Mitglieder hatte, auf privat gestellt.
Philip H. droht eine langjährige Haftstrafe. Konkret wird ihm „nationalsozialistische Wiederbetätigung“ nach dem Verbotsgesetz vorgeworfen – eine schwerwiegende Straftat in Österreich, unter der das explizit NS-verherrlichende Werk Mr. Bonds leicht fallen dürfte. Auch wegen Urheberrechtsverletzung wird gegen H. ermittelt. Laut Anklageschrift zeigte sich Philip H. bislang unkooperativ. Er soll verweigert haben, sich zu den Anklagepunkten zu äußern.
In der Zwischenzeit bleiben Mr. Bonds Fans dem Neonazi-Rapper treu. Seit seiner Inhaftierung soll Philip H. laut Anklageschrift viele Fanbriefe bekommen, etwa aus Kanada. In einem Telegram-Kanal wurde seine Adresse in der Justizanstalt Josefstadt geteilt. In einem anderen Telegram-Kanal mit knapp 4.500 Abonnent:innen wird seine Musik weiterhin verbreitet, dort wird H. als „politischen Gefangenen“ gefeiert, der nichts Falsches gemacht habe. Der Kanal-Admin schreibt: „Heil Bond“.