Als die „Taskforce Rusich“ nach Putins Überfall auf die Ukraine zum zweiten Mal die Grenze zum Nachbarland überquert, eilt der brutale Ruf den russischen Neonazi-Söldnern voraus. Es ist Anfang April 2022 und der Krieg gerade sechs Wochen alt. Ein kleiner Konvoi aus Fahrzeugen mit der russischen Flagge und einem „Z“ – Kriegssymbol des Kremls – hält in der ostukrainischen Stadt Wowtschansk bei Charkiw, knapp acht Kilometer Luftlinie von Russland entfernt. Die Kämpfer stoppen für ein Foto: Sie ändern das Stadtschild in Woltschansk mit „L“, so hieß der Ort im russischen Reich. Für „Rusich“-Verhältnisse ein vergleichsweise harmloser Schnappschuss: Bekannter sind die Fotos von verstümmelten oder angezündeten Kriegsgefangen, die „Rusich“ in den sozialen Medien verbreiten.
2014 wird die rechtsextreme Söldnertruppe von zwei Neonazis gegründet, nach einem Besuch im paramilitärischen Trainingslager „Partizan“ der „Russian Imperial Movement“ (RIM) bei Sankt Petersburg. Die RIM gilt in den USA als „white supremacist“ Terrororganisation. Auch „Rusich“ ist extrem rechts: Sie verwendet Symbole, die unter Neonazis beliebt sind, wie etwa den Wotansknoten (Valknut), Tyr-Rune oder Kolovrat, eine Art slawische schwarze Sonne. Kämpfer posieren mit Hakenkreuz-Flaggen oder bekennen sich offen als Nazis. Auch die schwarz-gold-weißen Farben des russischen Reichs kommen in Logos und Patches der Söldner vor.
Die Gründer: Alexey Milchakov und Yan Petrovsky. Milchakov, geboren 1991 in Sankt Petersburg, ist überzeugter Neonazi und Sadist: Auf der russischen Plattform VKontakte teilt er Fotos, auf denen er die Ohren ukrainischen Soldaten abschneidet, offenbar um sie zu sammeln. Er ritzt zudem das „Kolovrat“-Symbol in ihre Stirne ein. 2020 prahlt er in einem YouTube-Video damit, dass er „high vom Geruch des Menschenfleischs“ wird. Schon als Teenager lädt er Fotos hoch, in denen er einen Welpen enthauptet. Seine rechte Hand Yan Petrovsky, vier Jahre älter aus dem sibirischen Irkutsk, wohnte zeitweise in Norwegen, wo er an „Streifengängen“ der rechtsextremen Bürgerwehr „Soldiers of Odin“ teilnahm, bevor er wieder nach Russland abgeschoben wurde. Wegen ihrer „besonderen Grausamkeit“ fügten die USA im September 2022 Milchakov und Petrovsky zu ihrer Sanktionsliste hin.
„Rusich“, eine schätzungsweise ein paar Hundert Männer starke „Sabotage-Angriffs-Aufklärungsgruppe“, soll hinter feindlichen Linien auf Seite des Kremls kämpfen. Sie gehört auch zum Netzwerk des berüchtigten privaten Militärunternehmens „Gruppe Wagner“, Putins rechtsextreme Schattenarmee, mit deren Kommandeur Milchakov in der russischen Luftsturm-Division diente. 2014 bis 2015 kämpft „Rusich“ im ostukrainischen Donbas neben prorussischen Separatisten-Bataillons wie „Batman“. Der Einsatz ist barbarisch: Menschenrechtsorganisationen werfen „Rusich“ Folter und Kriegsverbrechen vor. 2017 taucht „Rusich“ auch in Syrien auf: Kämpfer bewachen Ölfelder, einer zeigt in einem Foto vor antiken Ruinen in Palmyra den Hitlergruß.
Horrende Kriegsverbrechen
Seit April 2022 sind die Söldner von „Rusich“ wieder in der Ukraine. In ihrer Bio auf VKontakte geben sie sogar offen zu, dass sie sich an Putins „Spezialoperation“ teilnehmen. In den Monaten nach dem Foto in der Stadt Wowtschansk muss ein Großteil der ukrainischen Zivilbevölkerung aus der ganzen Oblast fliehen. Die Schlacht um Charkiw dauert bis Mai 2022 an, als ukrainische Streitkräfte die belagerte Stadt befreien. Erst im September 2022 kommt Wowtschansk wieder unter ukrainischer Kontrolle. Ein Reporter vor Ort beschreibt es heute als „Geisterstadt“.
Russland lässt mehr als nur Trümmern zurück. Die horrenden Kriegsverbrechen ihrer Streitkräfte sind inzwischen gut dokumentiert: Ein UN-Bericht zählt standrechtliche Hinrichtungen, Folter, Vergewaltigung und sexualisierte Gewalt gegen ukrainische Zivilist*innen auf. Auch „Rusich“ ist offenbar mitschuldig an diesen Verbrechen. Als Reaktion auf den Tausch von Kriegsgefangenen mit der Ukraine wollen die Söldner im September 2022 auf Telegram den regulären russischen Streitkräften Tipps geben, wie sie mit ukrainischen Gefangengenommenen umgehen sollen.
Solche Kriegsgefangene sollen etwa nicht Vorgesetzten gemeldet werden. Sollte das geschehen müssen, dann wird empfohlen, zu behaupten, sie seien bereits verletzt und würden eventuell sterben – auch wenn das nicht der Fall sei. Die ukrainischen Soldaten sollen verhört werden, zunächst ohne „körperlichen Druck“, danach aber mit Foltermethoden: etwa Finger und Ohren abschneiden oder Nadeln unter die Fingernägel schieben. Nach der Befragung sollen sie „erschossen oder geschlachtet“ werden. Im Idealfall nehme die ganze Gruppe russischer Soldaten an der Hinrichtung teil, damit auch alle in Zukunft dazu schwiegen. Ein weiterer Tipp: Wenn Gefangene identifiziert werden können, sollen die Koordinaten des Begräbnisortes samt Foto des Leichnams an die Familie des Verstorbenen weiterverkauft werden, für zwei bis fünftausend Dollar. Der Betrag kann per Bitcoin bezahlt werden und soll wieder in Ausrüstung und Drohnen investiert werden.
Der Beitrag wird laut „Rusich“ von Telegram gelöscht, weil er „Aufrufe zur Gewalt“ beinhaltete, wie der Bellingcat-Journalist Michael Colborne berichtet. „Rusich“ teilt aber daraufhin Screenshots des gelöschten Beitrags im Kanal. Schließlich verschwindet im September 2022 jedoch der ganze Telegram-Kanal. Wurde er gelöscht oder verboten? „Rusich“ behauptet, gehackt worden zu sein, eine Behauptung, die nicht verifiziert werden konnte. Ein neuer Kanal mit gleichem Namen wird direkt danach erstellt. Aktueller Stand: 49.047 Abonnent*innen.
Timeline des Terrors
Auch der neue Telegram-Kanal von „Rusich“ gibt einen verstörenden Einblick in den Alltag einer neonazistischen Söldnertruppe an der Front: Selfies vom Schlachtfeld, Luftaufnahmen von Angriffen, Handbücher zur Kriegsführung. Fast alles gebrandet mit dem Valknut-Logo der Einheit. Fankunst und Spendenaufrufe runden den Feed ab.
Ein Foto vom Mai 2022, das auf dem Telegram-Kanal eines prorussischen Separatisten in Donezk hochgeladen wurde, zeigt „Rusich“-Kommandeure Milchakov und Petrovsky vor einem ausgebrannten Panzer: Milchakov sei nach einer Verletzung wieder im Einsatz und engagiere sich für die „Entnazifizierung und Entmilitarisierung der Ukraine“. Eine „echte Kampfarbeit“, anders als die ukrainischen „Helden“, die nur TikToks filmen würden.
Denn „Rusich“ versteht sich als Eliteeinheit, auch im Vergleich zu den regulären russischen Streitkräften. Yevgeny Rasskazov, ein Neonazi und „Rusich“-Kämpfer seit erster Stunde mit dem Kampfnamen „Topaz“, kritisiert in einem privaten Telegram-Beitrag Ende Dezember 2022, dass die Massenmobilisierung in Russland gescheitert sei: 70 bis 80 Prozent der neuen Rekruten seien ungeeignet fürs Gefecht, weil sie keine militärische Ausbildung oder ideologische Motivation hätten. „Der Fabrikarbeiter von gestern hat keine Ahnung, was Entnazifizierung und Entmilitarisierung der brüderlichen Ukraine bedeutet (ich verstehe das auch nicht ganz)“, schreibt er an seine knapp 50.000 Follower. Russische Rekruten würden „Radiospiele“ spielen, indem sie von einer sicheren Stellung aus eine Kampfmission über Funkgeräte simulieren würden. Er beklagt zudem eine „ausufernde Betrunkenheit“ sowie einen erheblichen Munitionsmangel unter russischen Streitkräften.
Das erklärt teilweise auch, warum Putin überhaupt auf Söldnergruppen wie „Rusich“ und Wagner setzt – als organisierte, disziplinierte und auch ideologisch überzeugte Einheiten. In einem Telegram-Beitrag behauptet „Rusich“, sie hätten eine „Carte Blanche“ vom russischen Staat. Aber die häufigen Spendenaufrufe auf Telegram, um zum Teil einfache Ausrüstung wie Schlafsäcke, Sanitätsartikel und Funkgeräte zu kaufen, sprechen aktuell für keine besonders üppige Förderung durch Moskau.
Vielmehr wird „Rusich“ offenbar durch Crowdfunding finanziert: Laut TRM Labs, eine Investigativplattform für Kryptowährung und Blockchain, hat die Söldnertruppe von Kriegsbeginn im Februar bis September 2022 mehr als 144.000 US-Dollar gesammelt, über 14 verschiedene Adressen auf sieben Blockchains. „Rusich“ streitet die Höhe ab, bedankt sich aber bei den Spender*innen für Wärmebildkameras, Drohnen und Kommunikationsinfrastruktur.
Eskalation mit Ansage
Ein Telegram-Beitrag aus Dezember 2022 sät zudem Zweifel, inwiefern Neonazi-Paramilitärs wie „Rusich“ tatsächlich noch unter Kontrolle des Kremls stehen: Follower*innen werden dazu aufgerufen, detaillierte Informationen über Militärposten in den Grenzgebieten zu Lettland, Litauen und Estland weiterzuleiten. Über Sendemasten, Treibstoffdepots, Truppenbewegungen oder auch Angaben zu den Verwandten und Privatfahrzeugen von Grenzsoldaten. Informationen, über die russischen Nachrichtendienste vermutlich schon verfügen.
Der Post wurde inzwischen mehr als 130.000 Mal gesehen. Und sie könnte eine alarmierende Eskalation bedeuten. Denn die drei baltischen Staaten gehören zur EU und sind auch Nato-Mitglieder: Ein Angriff wäre eine Kriegserklärung. Der Beitrag spricht auch für einen Alleingang der rechtsextremen Söldnertruppe, ohne Unterstützung des Kremls – vielleicht aus Frustration, da Putins Krieg nur schleppend voranschreitet.
Diese Interpretation bekräftigen zumindest anonyme Sicherheitsquellen, die der britische Guardian zitiert: „Der Kreml könnte die Kontrolle über seine rechtsextremen russischen paramilitärischen Organisationen verlieren, die möglicherweise zu extremeren Methoden greifen, um den Krieg in der Ukraine fortzusetzen, was die Befürchtung einer Eskalation aufkommen lässt, wenn ein Nato-Staat angegriffen würde“, heißt es im Artikel.
Nicht zum ersten Mal will „Rusich“ das Schicksal des Krieges in die eigenen Hände nehmen: Im September 2022 ruft sie prorussische Partisanen in Europa auf Telegram dazu auf, die Lieferungen und Personaltransfers der Nato zu blockieren, wie Colin P. Clarke, Senior Research Fellow an der Sicherheit-NGO Soufan Center, in der LA Times schreibt: „Der Aufruf an Einzelpersonen, in Europa aktiv zu werden, wurde ins Englische, Deutsche und Polnische übersetzt – und könnte prorussische Westländer dazu animieren, sich in ihren Heimatländern an Terrorakten zu beteiligen.“ In der extremen Rechten in Deutschland ist aber der Einfluss von „Rusich“ bislang so gut wie nicht vorhanden: Zumindest öffentlich wird sie kaum erwähnt, geschweige denn gefeiert.
In der Zwischenzeit tobt Putins brutaler Angriffskrieg in der Ukraine weiter. Aktuell führt die „Gruppe Wagner“ offenbar die Offensive an, die ostukrainische Stadt Bakhmut zurückzuerobern – womöglich mit Unterstützung durch die mit ihr verbundene „Taskforce Rusich“. Die Taskforce braucht aber auch Nachwuchs: Im November 2022 lädt „Rusich“ Fotos von einem Training für neuere Rekruten auf Telegram hoch. Weitere Ausbildungen kündigen sie für Januar und Februar in Sankt Petersburg an. Mit einer eigenen Agenda – und doch direkt unter den Augen des Kremls.