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Neue „Mitte“-Studie Feindlichkeit gegen Muslime, Sinti und Roma und Geflüchtete ist besorgniserregend

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Vorstellung der Studie "Die enthemmte Mitte" auf einer Pressekonferenz in Berlin: v.l. Forscher Dr. Oliver Decker, Prof. Elmar Brähler und der Pressesprecher der Universität Leipzig. (Quelle: ngn / SR)

Das Gute an Langzeitstudien ist: Sie machen eine Entwicklung sichtbar. Das Schlechte ist: Manchmal erfassen ihre Kriterien dann nicht mehr die realen Probleme. So geht es den „Mitte“-Studien des Kompetenzzentrums für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung der Universität Leipzig unter Leitung von Professor Elmar Brähler, Dr. Oliver Decker und Johannes Kiess, die seit 2002 mit verschiedenen finanziellen Unterstützern, aber immer den gleichen Kernfragen durchgeführt werden. Seit Beginn ging es darum, rechtsextreme Einstellungen in der deutschen Bevölkerung zu erfassen – also nicht nur unter Menschen, die sich selbst als Neonazis bezeichnen würden, sondern unter allen. Dabei warnen die Forscher seit Jahren, dass rund 25 Prozent der Befragten rechtspopulistische und menschenfeindliche Einstellungen befürworten – und dies hat sich, laut Studie, auch in Zeiten von „Pegida“, AfD und dem massiven Anstieg von Gewalttaten gegen Flüchtlingsunterkünfte nicht geändert. Wer sich nun fragt: „Wie bitte?“, liegt trotzdem nicht verkehrt: Manchmal ändern sich eben auch Feindlichkeiten. 

In der Studie wird etwa die Dimension „Ausländerfeindlichkeit“ (sic! also Rassismus) erfragt. Hier gab es – im Zeitverlauf – eine Entwicklung von 2002 (26,9 % Zustimmung zu rassistischen Aussagen) bis 2016  (20,4 % Zustimmung), die relativ stabil ist und sogar zurückzugehen scheint. Dies ist allerdings nicht die ganze Wahrheit. „Wir sehen, dass Feindlichkeit gegen Migrant_innen als allgemeine Gruppe zurückgeht – das geht etwa auf Nützlichkeitsdiskurse zurück à la ‚Wir brauchen Facharbeiter für die Wirtschaft'“ erläutert Oliver Decker, „doch dafür steigt die Feindlichkeit gegen bestimmte Gruppen von Migrant_innen besorgniserregend.“ Um dem Rechnung zu tragen, ergänzt die Forschungsgruppe ihre Ursprungsstudie um zusätzliche Fragebögen. So wird die Abwertung von Muslimen, Sinti und Roma und von Geflüchteten seit 2014 erfasst – und schon diese Zahlen zeigen Erschreckendes: 

Islamfeindlichkeit:

„Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden“-> 2014 stimmen 36,6 % der Befragten zu,-> 2016 sind es 41,4 %.“Durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land“-> 2014 stimmen 43 % der Befragten zu,-> 2016 sind es 50 % (!) 

Abwertung von Sinti und Roma:

„Ich hätte Probleme damit, wenn sich Sinti und Roma in meiner Gegend aufhalten“-> 2014 stimmen 55,4 % zu,-> 2016 sind es 57,8 %“Sinti und Roma sollten aus den Innenstädten verbannt werden“-> 2014 stimmen 47,1 % zu,-> 2016 sind es 49,6 %“Sinti und Roma neigen zur Kriminalität“-> 2014 stimmen 55,9 % zu,-> 2016 sind es 58,5 % 

Abwertung von Geflüchteten

„Bei der Prüfung von Asylanträgen soll der Staat nicht großzügig sein“-> 2014 stimmen 75 % zu,-> 2016 sind es erschreckende 80,9 % (!)“Die meisten Asylbewerber befürchten nicht wirklich, in ihrem Heimatland verfolgt zu werden“-> 2014 stimmen 55,3 % zu,-> 2016 sind es 59,9 % 

Dies zeigt beispielhaft: Die Realität wird immer komplexer, die Feindlichkeiten verbreiten sich in der Gesamtgesellschaft – und manchmal reichen die bisher erfassten Themen „Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur“ (Zustimmung zu Items zwischen 6,7 und 21,9 %), Chauvinismus (Zustimmung zu Items zwischen 22 und 35,4 %), Ausländerfeindlichkeit (Zustimmung zu Items zwischen 26,1 bis 33,8 %), Sozialdarwinismus (Zustimmung zu Items zwischen 8,4 und 12 %) und Antisemitismus (Zustimmung zu Items zwischen 9,5 und 10,9 %) nich aus, um Feindlichkeiten zu erfassen. Auch beim Antisemitismus, erläutert Oliver Decker, täuschen diese Zahlen übrigens: Abgefragt wurde offener Antisemitismus. Wenn man nach sekundärem, also etwas weniger offen geäußerten Antisemitismus fragt, liegen die Zustimmungsraten, wie eine früherer Untersuchung zeigte, auch eher bei 20 % der Befragten.

Erstmal erfasst wurde 2016 übrigens die Abwertung von Homosexuellen – mit Zahlen, die wie eine Rückkehr in die 1950er Jahre klingen: 40,1 % der Befragten finden es „ekelhaft, wenn Homosexuelle sich in der Öffentlichkeit küssen“, 36,2 % sagen, Ehen zwischen zwei Frauen bzw. zwei Männern sollten nicht erlaubt sein und miier noch 24,8 % finden Homosexualität „unmoralisch“. 

Die Gesellschaft politisiert und polarisiert sich

Was der 10-Jahres-Vergleich zwischen 2006 und 2016 deutlich zeigt: Die politische Landschaft in Deutschland hat sich insgesamt stark verändert. Während im Jahr 2006 sowohl demokratische als auch weniger demokratische bis rechtsextreme Milieus, die die Forscher identifiziert hatten, etwa in gleichem (eher mittleren) Maße politischen und gesellschaftlichen Institutionen (z.B. Parteien, Polizei, Verfassungsgericht) und ihrer eigenen Fähigkeit zur Mitwirkung im politischen Prozess vertrauten, hat sich dies im Jahr 2010 stark verändert, die Forscher sprechen von Polarisierung:  Während in demokratischen Milieus das Vertrauen in ihre eigene Wirksamkeit und in die politischen Institutionen stark gestiegen ist, ist es in antidemokratischen Milieus gleichzeitig stark gesunken.

Ebenfalls untersucht wurde dies in Verbindung zur Bereitschaft, Gewalt als politisches Mittel zu sehen. Sowohl 2006 als auch 2016 sehen demokratische Milieus Gewalt nicht als politisches Problemlösungsmittel. Anders in antidemokratischen Kreisen: Dort gaben in den Befragungen 2006 die Menschen der antidemokratischen Milieus an, Gewalt durchaus zu akzeptieren, wenn auch nicht selbst auszuüben. 2016 ist die Bereitschaft, Gewalt zu akzeptieren, gestiegen – und noch mehr die Bereitschaft, Gewalt auch selbst anzuwenden. Dies ist die wissenschaftliche Erfassung der Einstellungsebene, die in der Kriminalitätsstatistik beim Anstieg der Gewalt gegen Geflüchtete und ihre Unterkünfte deutlich abzulesen ist. 

Wählen Rassist_innen die AfD?

Interessanten Aufschluss geben die Zahlen von Brähler und Decker, wenn sie sich Einstellungen und Wahlverhalten in Relation ansehen. Grundsätzlich werden rechtsextreme, rassistische und antisemitische Einstellungen von Menschen mit Präferenzen von Anhänger_innen des gesamten Parteienspektrum vertreten. Es gibt allerdings eine deutliche Beobachtung: Wenn es um die Zustimmung zu rassistischen, islamfeindlichein, antiziganistischen und flüchtlingsfeindlichen Aussagen geht, liegen stets die AfD und die Nichtwähler vorn. Das heißt: Menschen, die entsprechend abwertend denken, haben in der AfD „ihre“ Partei gefunden, in der sie ihre Interessen vertreten sehen. Dies hat sich gegenüber 2014 stark verändert: Damals wählten 6,3 % der Menschen mit rechtsextremen Einstellungen AfD (und 6,3 % NPD, 23 % Nichtwähler). 2016 wählen 34,9 % der Menschen mit rechtsextremen Einstellungen AfD (die NPD nur noch 2,7 %, dazu kommen 26,4 % Nichtwähler, was noch einmal zeigt, wie sehr in diesen Milieus ihren Glauben an politische Repräsentation durch die großen Parteien abgenommen hat). Diese Zahlen zeigen, dass bei AfD-Wähler_innen nicht von Protest-Wähler_innen gesprochen werden kann – die Menschen vertreten auch die entsprechenden abwertenden Einstellungen und haben nun einen politischen Ort gefunden, sie auch lautstark zu äußern.

 

Warum gehen Menschen zu Pegida?

Rassismus, Islam- und Elitenfeindlichkeit lässt sich natürlich auch bei den „Pegida“-Demonstrationen lautstark äußern. Hier fragten sich die Politik und Gesellschaft ja lange: Sind es besorgte Bürger_innen? Geht es den Teilnehmer_innen schlecht, fühlen sie sich wirtschaftlich, gesellschaftlich, poltisch abgehängt, sind sie frustriert? All dies ist natürlich möglich – nur ist es laut der „Mitte“-Studie nicht der wirkliche Grund, „Pegida“ gut zu finden. Denn die Forscher haben verschieden Faktoren untersucht und festgestellt: Es sind Menschen mit rechtsextreme und islamfeindliche Einstellungen. Dies ist ihre stärkste Motivation. Weitaus weniger, aber noch ein bisschen Einfluss haben die Faktoren Verschwörungsmentalität, ob sie sich politisch abgehängt fühlen, ob sie aus dem Osten Deutschlands kommen und ob sie männlichen Geschlechts sind. Interessaterweise hatten allerdings überhaupt keinen Einfluss auf die Einstellung zu „Pegida“: Das Alter, der Bildungsabschluss, Arbeitslosigkeit, Haushaltsnettoeinkommen, Stadt oder Land, ob sich Menschen wirtschaftlich oder sozial abgehängt fühlen oder ob sie Autoritarismus befürworten. Das heißt: Es sind keine Menschen mit Sorgen, die Pegida gut finden, sondern Menschen mit rassistischen, islamfeindlichen, rechtsextremen Einstellungen, die hier einen Ausdruck für ihre Einstellungen finden.

 

Zusammenfassend stellten die Forscher Oliver Decker und Elmar Brähler bei der Pressekonferenz zur „Mitte“-Studie 2016 in Berlin fest: Die rechtsextremen Einstellungen sind in der Gesellschaft nicht angestiegen, wohl aber völkisches und nationalistisches Denken, das Abwertung und Gewalt zur Folge hat und selbst in Ideen des Nationalsozialismus fusst. Menschen mit rechtsextremen Einstellungen sind im Verlauf der letzten zwei Jahre sichtbarer geworden, weil sie sich offensichtlich ihrer selbst bewusst werden und Wege politscher Wirksamkeit finden: Dazu gehört das Wählen der AfD ebenso wie flüchtlingsfeindliche Demonstrationen oder die Bedrohung und Gewalt gegen Gruppen – wobei die Neigung zur Gewalt besonders stark ansteigt und damit eine besonders gefährliche Entwicklung darstellt. Gleichzeitig ist aber auch das Engagement in den demokratischen Milieus gestiegen, die zudem zahlenmäßig gewachsen sind. „Auch die Zivilgesellschaft ist sich sich selbst und ihrer Werte bewusst geworden, arbeiten aktiver an einer demokratischen Gesellschaft mit – wie wir es etwa in den Willkommens-Initiativen gesehen haben“, sagt Oliver Decker. Entsprechend sollte Politik diese zivilgesellschaftliche Engagement auch weiter fördern und zudem die Demokratisierung und Mitbestimmung in allen Bereichen wie Universitäten, Schulen und Betrieben weiter vorantreiben. Zugleich müssten aber auch Konzepte erarbeitet werden, um mit denen umzugehen, die mit der Demokratie und ihrer Beteiligung unzufrieden sind und sich gegen eine modern verfasste Gesellschaft wenden. Im Westen Deutschlands sind dies übrigens laut Studien-Erkenntnis vor allem ältere Menschen. Im Osten Deutschlands leider vor allem junge Erwachsene. 

Mehr Zahlen aus der Studie „Die enthemmte Mitte“ finden hier.

Zusammenfassung wichtiger Ergebnisse als PDF

Das Buch zur Studie:

Oliver Decker, Johannes Kiess, Elmar Brähler (Hrsg.):Die enthemmte Mitte.Autoritäre und rechtsextreme Einstellungen in Deutschland.Psychosozial-Verlag, Gießen 2016249 Seiten.

Auszug zum Download als PDF

Die „Mitte“-Studien wurden von 2006 bis 2012 in Kooperation mit der Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlicht, 2016 in Kooperation mit der Otto Brenner Stiftung, der Rosa Luxemburg Stiftung und der Heinrich-Böll-Stiftung.

 

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