Die nationalsozialistische Revolution soll von Erfurt aus die Bundesrepublik zurückerobern – so schreibt es die im November 2021 gegründete „Neue Stärke Partei“ auf ihrer Webseite. Denn in der thüringischen Landeshauptstadt sei es gelungen, Veranstaltungen ohne nennenswerte Gegenproteste „durch antideutsche Subjekte“ durchzuführen, behauptet die Partei. „Was Erfurt schafft, das schafft ihr auch!“, so die Botschaft. Die Lage sei ernst, denn das deutsche Volk befinde sich in einer sehr heiklen Phase seiner Existenz: „Unser aller Leben wird massiv bedroht durch Überfremdung und kommunistische Umerziehung der deutschen Volksseele“, heißt es weiter.
Eine Motivation für die Kader aus Erfurt, zu expandieren: Am Wochenende des 13. bis 14. Novembers fand der erste Bundesparteitag der „Neue Stärke“ in Magdeburg statt. Die Partei behauptet, inzwischen eine dreistellige Mitgliederzahl zu haben und will ihre Strukturen bundesweit ausbauen. Zwei neue „Abteilungen“ der Partei wurden nun in Magdeburg und Rheinhessen gegründet. Neben Erfurt hatte die Gruppierung bereits eine Präsenz in Gera. Die Partei gibt an, jetzt über zwei Räumlichkeiten zu verfügen – in Erfurt und Magdeburg.
Der Verein „Neue Stärke Erfurt e.V.“ wurde im Sommer 2020 gegründet, damals spalteten sich Kader um den Neonazi Enrico Biczysko von der rechtsextremen Kleinstpartei „Der III. Weg“ ab. Nicht zum ersten Mal: Bis 2016 war Biczysko noch bei der NPD und gewann 2014 für die Partei einen Sitz im Erfurter Stadtrat, bevor er im Streit austrat. Es folgte eine Schlammschlacht: Die NPD Thüringen sei „hochverschuldet“, es werde „gelogen und betrogen ohne Ende“ und die „Basis wird für dumm verkauft und täglich in den Arsch getreten“, schrieb er damals in den sozialen Medien (siehe Der rechte Rand).
Danach traten Biczysko und seine rechte Hand, der Thüringer Neonazi Michel Fischer, der vor allem in Dortmund aktiven Neonazi-Partei „Die Rechte“ bei – und ließen sich zum Vorsitzenden und Stellvertreter des Landesverbandes in Thüringen wählen. Kaum ein Jahr später gab es schon wieder Drama – und gegenseitige Beschuldigungen. Der Bundesverband warf ehemaligen Funktionären Betrug mit Mitgliederbeiträgen vor, die wiederum von einer Rufmordkampagne sprachen. Biczysko schloss sich dann im August 2018 offiziell dem „III. Weg“ an, nachdem er in den Monaten davor schon für die Partei aktiv gewesen war. Schon damals sorgte Biczyskos Partei-Pingpong in der Szene für Spott.
Für den „III. Weg“ war der Übertritt aber ein Coup: Denn Biczysko und seine Kader betrieben seit 2015 ein „nationalrevolutionäres Zentrum“ in einem ehemaligen Supermarkt am Erfurter Herrenberg, damals hieß der Verein „Volksgemeinschaft e.V.“. Ein Objekt mit überregionaler Bedeutung für die rechtsextreme Szene. Damit verfügte die Partei neben ihren Räumen in Plauen und Aue nun über eine weitere Immobilie in Erfurt: Biczysko ließ die Fassade des Supermarktes mit dem Logo des „III. Wegs“ übermalen. Die Erfurter Neonazis errangen zudem als „III. Weg“-Kandidat:innen bei der Kommunalwahl Sitze in Erfurter Ortsteilräten.
Die Räume in Herrenberg boten mehrere Hundert Quadratmeter für Rechtsrockkonzerte, Kampfsporttraining und Familienfeste. Aber auch für Gewalt: Im August 2021 erhob die Staatsanwaltschaft Erfurt Anklage gegen neun Männer und eine Frau aus dem direkten Umfeld des Zentrums, nachdem drei Männer aus Guinea davor rassistisch überfallen wurden. Sie wurden dabei teilweise schwer verletzt, einer war in kritischem Zustand, hieß es von der Polizei (siehe MDR). Nach Belltower.News-Informationen zählen ranghohe Führungsmitglieder der Struktur zu den Hauptverdächtigen.
Im Sommer 2020 war es dann nach knapp zwei Jahren auch Schluss mit dem „III. Weg“: Biczysko und Fischer verließen die Partei und machten als „Neue Stärke Erfurt e.V.“ weiter. Die Fassade des Supermarktes wurde erneut übermalt, dieses Mal mit dem neuen Schild-und-Schwert-Logo des Vereins. Doch im Dezember 2020 verloren sie ihr „nationalrevolutionäres Zentrum“, nachdem der Mietvertrag auslief und ein Gericht den Auszug angeordnet hatte.
Nun haben Biczysko und Co. den Verein „Neue Stärke Erfurt“ in die „Neue Stärke Partei“ verwandelt: Michel Fischer und Bryan Kahnes (ebenfalls Ex-„III. Weg“, aus Gera) wurden zu Bundesvorsitzenden gewählt, Biczysko selbst ist neben Florian Grabowski aus dem rheinland-pfälzischen Wöllstein und Patrick Schmidt aus Magdeburg Stellvertreter. Hinzu kommen zwölf Beisitzer.
Die Gründung einer Partei mag auch pragmatische Gründe haben: Denn Parteien genießen den Schutz des Parteiprivilegs und können nur vor dem Bundesverfassungsgericht verboten werden – was im Fall der NPD zweimal nicht gelungen ist. So gründeten unter anderem Kader aus dem 2014 verbotenen „Freies Netz Süd“ die Partei „Der III. Weg“, „Die Rechte“ ging aus der 2012 verbotenen Kameradschaft „Nationaler Widerstand Dortmund“ hervor. In einem Beitrag schreibt die „Neue Stärke Partei“: „Die Partei hat an sich keinen Selbstzweck, sie ist ein Werkzeug in den Händen von nationalistisch-völkisch-sozialistischen Aktivisten.“ Doch die Partei wolle auch gemeinsame Wahllisten aufstellen, heißt es weiter.
Trotz Abspaltung vom „III. Weg“ ist die „Neue Stärke Partei“ visuell und inhaltlich kaum von der älteren Neonazi-Partei zu unterscheiden: Die völkischen Programmpunkte klingen verdächtig ähnlich, von „Volksschutz“ über Tierrechte bis hin zur „deutschen“ Familienpolitik. Auch die Farben der Partei bleiben gleich: dunkelgrün mit weißer Schrift. Selbst der „III. Weg“-Kranz bleibt im neuen Logo. Fast könnte man meinen: Biczysko hat damals zu viel Partei-Merchandising bestellt, das er immer noch loswerden muss.
Immerhin hat die „Neue Stärke Partei“ ein neuer Spruch: statt „national, sozialistisch, revolutionär“ sind sie nun „sportlich, aktivistisch, gemeinschaftlich“, wie sie in ihrem Logo prominent verkünden. „Sport ist in der heutigen Zeit, welche von Selbstsucht, Neid und Missgunst zerfressen ist, elementar wichtig“, erklärt die Partei. Denn er fördere Disziplin und Zusammenhalt. Aktivistisch sei die Gruppe, weil sie ihre Heimatstadt „nicht dem antideutschen Gutmenschentum“ überlasse. Und schließlich gemeinschaftlich, weil sie die „Ellenbogengesellschaft“ ablehne. Wie lange Biczysko es dieses Mal ohne parteiinternen Streit schafft, bleibt abzuwarten. Das dürfte tatsächlich einiges an Disziplin fordern.