Neue Petition: Gegen transfeindliche Berichterstattung in den Medien
Der Bundesverband Trans* (BVT* e. V.), die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti e. V.), TransInterQueer (TrIQ) e. V. und die Inter*Trans*Beratung Queer Leben starten heute eine Petition auf der neuen Initiativenplattform innn.it.
Warum? Transfeindlichkeit schickt sich gerade an, das neue Mobilisierungs- und Verschwörungsthema der antimodernen, rechtsextremen und verschwörungsideologischen Szene zu werden, wie Belltower bereits berichtet hat. Medien spielen dabei eine nicht unerhebliche Rolle: Wenn sie Hassnarrative aus dem Internet adaptieren, aus Unkenntnis oder weil sie sich davon Klicks erhoffen, schaden sie damit Menschen, die nichts wollen, als in Frieden leben mit der Identität, die zu ihnen passt.
Der Bundesverband Trans* (BVT* e. V.), die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti e. V.), TransInterQueer (TrIQ) e. V. und die Inter*Trans*Beratung Queer Leben wollen trans*feindlicher Medienberichterstattung in Deutschland etwas entgegensetzen.
ben sechs Forderungen an deutsche Medien formuliert:
1. Wir fordern Einordnung und Ausgewogenheit.
2. Wir fordern eine respektvolle und menschenwürdige Berichterstattung, die Diskriminierung entgegenwirkt.
3. Wir fordern die Abbildung des aktuellen wissenschaftlichen Standes.
4. Wir fordern sachlich und fundierte Berichterstattung.
5. Wir fordern, dass Trans*- Selbstorganisationen verstärkt als kompetente Ansprechstellen genutzt werden.
6. Wir fordern, auch in den Medien Trans*feindlichkeit als Problem für eine demokratische Gesellschaft zu kennzeichnen.
Mit Besorgnis nehmen wir – Trans*-Organisationen und Unterstützer*innen – problematische Tendenzen in der aktuellen Berichterstattung wahr: zunehmend werden Medienbeiträge veröffentlicht, in denen von „Trans* als Trend“, von angeblich unsicheren Frauenschutzräumen, von einer sogenannten „Trans-Lobby“ oder von „Mädchen, die keine Mädchen sein wollen” die Rede ist. Diese Berichterstattungen gehen soweit, die Existenz von trans* Personen zur Debatte oder sogar in Frage zu stellen. Sie schüren Ängste und Hass gegenüber trans* Personen, ihre rechtliche Anerkennung und gesellschaftliche Gleichstellung, indem diese als „gefährlich“ für die Mehrheitsbevölkerung dargestellt werden. Gleichzeitig erfahren trans* Personen überproportional viel physische und psychische Gewalt.
Journalist*innen und Medien kommt eine besondere Verantwortung zu. Sie sind dem Pressekodex verpflichtet, und unterliegen der journalistischen Sorgfaltspflicht. Sie tragen zudem einen wichtigen Teil zur öffentlichen Meinungsbildung bei. Doch zunehmend wird durch Medien ein verzerrtes und lückenhaftes Bild der vielfältigen Lebensrealitäten von trans* Menschen vermittelt, indem Bilder und Begrifflichkeiten von trans*feindlichen Bewegungen aufgegriffen werden. In der Darstellung von trans* Personen und auf trans* bezogene Themen mangelt es häufig an sorgfältiger Recherche und einer nuancierten Betrachtung der Schwierigkeiten und Diskriminierungen, mit denen trans* Personen konfrontiert sind. Unerwähnt bleibt z. B. die rechtlich, finanziell und sozial immer noch prekäre Lage von vielen trans*Menschen und ihre anhaltende [Psycho-]Pathologisierung. Anstelle einer sachlichen Auseinandersetzung und Aufklärung im Sinne einer demokratischen Gesellschaft und gleichgestellten Teilhabe, tragen unkritisch übernommene Darstellungen zur Trans*feindlichkeit bei. Dass die Qualität der Berichterstattung zu Trans*-Themen die mediale Öffentlichkeit beeinflusst, hat die Studie [Quelle: thehill.com] nachgewiesen.
Meinungsfreiheit ist ebenso wie die Würde des Menschen höchstes Gut für eine demokratische Gesellschaft. Sie umfasst allerdings nicht. nachprüfbar unwahre Tatsachenbehauptungen. Und sie endet mit der Verletzung der Menschenwürde. Genau hier setzt die Verantwortung der Medien für eine tatsachenbasierte und menschenwürdige Berichterstattung ein. Deswegen appellieren wir an Medienmacher*innen, Meinungsäußerungen nicht unhinterfragt zu übernehmen. Wohin trans*feindliche Berichterstattung führen kann, zeigt z. B. das abschreckende Beispiel von Großbritannien und den USA. In Großbritannien wurde Trans*feindlichkeit durch mediale Berichterstattung so salonfähig, dass Verbesserungen der Menschenrechte für trans* Personen bisher nicht umgesetzt werden konnten [mehr dazu bei pinknews oder CNN]. In Gesetzesbeschlüssen wie dem Konversionstherapieverbot von Schwulen und Lesben wurden trans* Personen sogar ausgeschlossen [Quelle: pinknews]. In den USA wurde innerhalb weniger Monate von 35 Staaten trans*feindliche Gesetzesentwürfe vorgelegt [Quelle: tracktranslegislation.com]. Verzerrte Berichterstattung kann dazubeitragen, dass Suizidversuche und Mobbing insbesondere bei trans* Kindern und Jugendlichen steigen. Fast die Hälfte aller trans* Kinder und Jugendliche haben einmal ernsthaft Suizid in Erwägung gezogen und sind sechsmal wahrscheinlicher von Mobbing betroffen [The Trevor Project und Cornell University].
Wir wollen trans*feindlicher Berichterstattung in Deutschland etwas
entgegensetzen:
1. Wir fordern Einordnung und Ausgewogenheit.
Wir fordern eine ausgewogene und einordnende Berichterstattung. Zu oft wird auf Quellen zurückgegriffen, deren Behauptungen zwar “schlagzeilentauglich” sind, denen jedoch der breite wissenschaftliche Konsens fehlt. Vermeintlich wissenschaftliche Einzelmeinungen erhalten somit verhältnismäßig große Aufmerksamkeit und Gewicht, und spielen damit falscher Ausgewogenheit [“False Balance”] in die Hände. Auch sparen sich viele Medien zu oft fundiert recherchierte Einordnungen. Aktuelle Beispiele in der Petition: http://www.innn.it/transmedienwatch
2. Wir fordern eine respektvolle und menschenwürdige Berichterstattung, die
Diskriminierung entgegenwirkt.
Respektvolle Berichterstattung umfasst, keine eindimensionalen Bilder von trans* Personen zu vermitteln, sie und ihre Selbstvertretungsorganisationen mit einzubeziehen, mit ihnen statt über sie zu sprechen, und sie in ihrer Würde und in ihren Rechten zu achten. Doch oft ist die Berichterstattung entwürdigend, werden durch hinzugezogene angebliche “Expert*innen” haltlose Ängste geschürt, menschenverachtende, nicht konsensfähige Meinungen nicht eingeordnet und die Existenz von trans* Personen in den Medien “debattiert”. Wie Journalist*innen auch
sprachlich angemessen zu Trans*-Themen berichten können, zeigen mehrere Handreichungen auf: Ein paar Beispiele für eine respektvolle Sprache: In der Berichterstattung sollte das Pronomen verwendet werden, das die Person für sich selbst nutzt. Der abgelegte Name sollte nicht erwähnt werden, es sei denn die Person wünscht dies ausdrücklich selbst. Trans* sollte als Adjektiv und statt „transsexuell“ sollte lieber “trans*” als Sammelbegriff genutzt werden. [Weitere Informationen: Broschüren von TrIQ: “Trans in den Medien”, TGEU “Guide for Journalists” (auf
englisch), TGNS: Medienguide und dem BVT* “Trans ganz einfach”.]
3. Wir fordern die Abbildung des aktuellen wissenschaftlichen Standes.
Die Biologie betrachtet Geschlecht als ein Spektrum und mehrdimensional: Es gibt mehr als zwei Geschlechter, und Geschlecht setzt sich aus vielen körperlichen, psychischen und sozialen Merkmalen zusammen. Der Fokus der Berichterstattung über trans* Personen sollte auf der Geschlechtsidentität liegen, und nicht auf Genitalien. Die geschlechtliche Identität ist in der Psychologie das tiefe innere Wissen um das eigene Geschlecht. Die Geschlechtsidentität ist als Teil von Geschlecht und Persönlichkeit auch rechtlich schützenswert [hlcmr.de]. Während in der Medienberichterstattung oft lediglich Meinungen dargestellt werden, gibt es zum Thema Trans* einen gesicherten wissenschaftlich konsertierten Stand.
4. Wir fordern sachliche und fundierte Berichterstattung.
Mythen nein, Aufklärung ja! Trans* Personen sind in ihrem Geschlecht genauso gefestigt wie cis Personen – auch schon als Kinder [Quelle: ncbi.nlm.nih.gov]. Trans*geschlechtlichkeit tritt nicht plötzlich auf. Viele trans* Personen warten über Jahre, bis sie sich ihrem Umfeld anvertrauen und über ihre geschlechtliche Identität sprechen [Quelle: dji.de]. Trans*geschlechtlichkeit ist kein “Fluchtversuch” aus einem Geschlecht: Es bedeutet, die eigene geschlechtliche Identität zu leben und eine unpassende Zuschreibung von sich zu weisen. Es geht nicht um einen “Trend“. Trans*geschlechtlichkeit gibt es schon so lange es Menschen gibt – an unterschiedlichen Orten zu unterschiedlichen Zeiten wurden trans* Personen unterschiedlich bezeichnet [mehr dazu von BVT* und von TransInterQueer]. Fälschlicherweise galt Trans*geschlechtlichkeit lange Zeit in der Psychologie und Medizin als “psychische Störung”. Mit der Verabschiedung des ICD-11 durch die WHO wurde Trans*geschlechtlichkeit offiziell ent-psychopathologisiert. Trans* Personen sind Expert*innen: Keine Ärzt*in, keine Gutachter*in, kein Gericht weiß besser über die Geschlechtsidentität einer Person Bescheid als sie selbst [thieme-connect.de, Volltext als PDF hier].
5. Wir fordern, dass trans* Personen, insbesondere auch Trans*-Selbstorganisationen, in der Berichterstattung hinzugezogen werden.
Wir fordern eine respektvolle Berichterstattung, die trans* Personen als selbstbestimmte Personen anerkennt und ihre Expertisen mit einbezieht. Berichterstattung sollte über unterschiedliche individuelle Erfahrungen von trans* Personen hinaus, rechtliche, medizinische und soziale Bedingungen benennen, d. h. über “Einzelschicksale” hinaus einordnen. Wir als Trans*-Selbstorganisationen stellen unser Wissen über rechtliche, soziale, medizinische Hintergründe gerne zur Verfügung – ob mittels Interviews, Hintergrundgespräche, Kommentare, rechtlichen
Einordnungen oder der Vermittlung von Interview- und Gesprächspartner*innen.
6. Wir fordern, auch in den Medien Trans*feindlichkeit als Problem für eine demokratische Gesellschaft zu benennen.
Desinformationen über trans* Menschen, Erzählungen über „Gender-Ideologie“ und einen angeblichen „Trans*-Hype“ werden aktuell in zahlreichen Ländern, auch in Deutschland, u. a. von antifeministischen, rechten und rechtsextremen sowie queerfeindlichen Akteur*innen genutzt. Ziel dahinter ist, Ressentiments zu schüren und die Einschränkungen von Selbstbestimmungs- und Freiheitsrechten aller Menschen zu begründen. Trans*feindlichkeit ist demokratiegefährdend. Wir appellieren an Journalist*innen, sich im Rahmen ihrer journalistischen Sorgfaltspflicht mit der Gefahr von Trans*feindlichkeit für die gesamte Gesellschaft auseinanderzusetzen, anstatt ohne jegliche Grundlage trans* Menschen als “Gefahr” darzustellen.
Natascha Strobl ist Rechtsextremismus-Expertin, ihre Analysen veröffentlicht sie in Büchern, Vorträgen und Artikeln für verschiedene Medien. Auf Twitter schreibt sie…
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