In Anlehnung an Feit (1987, S.12) und Brauner-Orthen (2001, S.12,14) kann man den Begriff „Neue Rechte“ wie folgt definieren:
„Neue Rechte“ bezeichnet diejenige Strömung des rechtsextremen Lagers, die Mitte/Ende der 1960er Jahre aus den Organisationsstrukturen des „Alten Rechtsextremismus“, vor allem der NPD, ausgebrochen ist, um unter Rückgriff auf die (auch von der französischen Neuen Rechten verfochtenen) Ideen der Weimarer Konservativen Revolution und durch Entwicklung metapolitischer Konzepte eine Erneuerung der ideologischen Grundlagen – und damit eine Intellektualisierung sowie Modernisierung – des rechten Lagers der Bundesrepublik zu erreichen.
Im Laufe der 1960er Jahre entstand ein akademischer und öffentlicher Diskurs um einen modernisierten Nationalismus in Deutschland, eine Auseinandersetzung um Kategorien wie Volk, Nation und „Normalisierung der Geschichte“. Diese Debatten boten jungen rechtsextremen Aktivisten Gelegenheit zu intensiverer Beschäftigung mit nationalistischen Theorien und zum Versuch, den traditionellen Antiintellektualismus sowie die Theoriefeindlichkeit des Rechtsextremismus zu überwinden. So bildete sich Mitte der 60er Jahre eine intellektuelle Avantgarde des rechtsextremen Lagers heraus – die „Neue Rechte“ – welche insbesondere in Zeiten des Wandels der politischen Parteienlandschaft (Große Koalition 1966-69), der Studentenbewegung und vor allem nach dem nur knapp verpassten Bundestagseinzug der NPD 1969 als jugendliche, politisch unbelastete Nachkriegsgeneration auftrat. Gerade das Festhalten an anachronistischen Rechtfertigungskonzeptionen des Nationalsozialismus mit paralleler Ausrichtung auf parlamentarischen Erfolg und demokratisches Wohlverhalten war eine Mixtur, die vor allem jüngere Mitglieder des organisierten Rechtsextremismus abschreckte. Man suchte neue Anknüpfungspunkte für eine rechtsextreme Ideologie, die nicht ohne Weiteres mit dem Hitler-Faschismus in Verbindung zu bringen sein sollten, und verfolgte das Ziel, nationalistische Einstellungen zu entstigmatisieren, aus dem „Schatten von Auschwitz“ herauszutreten und letztlich festgefügte politische Lagergrenzen zu verwischen. Ein wichtiger Bezugspunkt und bedeutende Inspirationsquelle für die deutsche Neue Rechte war und ist die „Nouvelle Droite“ Frankreichs unter ihrer Gallionsfigur Alain de Benoist. Manche Autoren bezeichnen rechtsintellektuelle Erscheinungsformen seit 1989 auch als „Neue neue Rechte“ (vgl. Brauner-Orthen 2001, S.14,16), um den Unterschied zur Neuen Rechten der 60er bis 80er Jahre hervorzuheben.
Der Ausdruck „Neue Rechte“ kann sich auf vier miteinander verwobene Betrachtungsebenen beziehen (vgl. Fröchling/Gessenharter 1995, S.279):
die Neue Rechte als politisch-ideologische Grundströmung und Weltanschauung,
die Neue Rechte als Akteur einer politisch-kulturellen und machtpolitischen Implementationsstrategie,
die Neue Rechte als Netzwerk und Organisationsgeflecht zwischen Intellektuellen, Wissenschaftlern, Publizisten, Verlegern und politischen Akteuren,
die Neue Rechte als politisch-ideologischer Ort im Rechts-Links-Spektrum.
1. Die Neue Rechte als politisch-ideologische Grundströmung und Weltanschauung
Auf politisch-ideologischer Ebene können einige Grundzüge herausgearbeitet werden, die viele Anhänger der Neuen Rechten teilen, selbst wenn es keine absolut einheitliche Linie gibt:
Als Vorbild bzw. Ideenlieferant dient weniger der Nationalsozialismus, sondern die teils sehr verschiedenartigen Vorstellungen der Weimarer Konservativen Revolution, welche in eine große Zahl mehr oder weniger bedeutender Diskussionszirkel zerfiel und auch programmatisch ein sehr heterogenes Phänomen war. Die konservativ-revolutionären Intellektuellen (Carl Schmitt, Ernst Jünger, Arthur Moeller van den Bruck, Oswald Spengler, Othmar Spann, Edgar Julius Jung, Hans Freyer, Ernst Niekisch etc.) begriffen sich nicht als politische Partei, sondern als geistige Avantgarde, als Metapolitiker. Sie bekämpften die Grundprinzipien der Weimarer Verfassung, vor allem das demokratische, parlamentarische System, den politisch-gesellschaftlichen Pluralismus und Liberalismus sowie das Gleichheitsprinzip. Die Ideologie der konservativen Revolutionäre verband traditionell konservative, klassisch-rechtsextreme, ständisch korporative, nihilistische und partiell auch syndikalistische Elemente. Was sie einte, war der Kampf gegen die „entwurzelnde Moderne“ und die Vision eines „Dritten Weges“: Man wandte sich gegen Kapitalismus und Kommunismus, wobei die Frontstellung zu letzterem meistens überwog. Allen Theoretikern gemeinsam war der Wunsch nach einer militärisch formierten, hierarchisch strukturierten und autokratisch regierten Gesellschaft. Der angestrebte autoritäre/diktatorische Staat sollte von einer „neuen Aristokratie“, von einer kleinen Elite oder einem Führer geleitet werden. Bisweilen beziehen sich neurechte Akteure ebenfalls auf die Ideen von Intellektuellen des europäischen Faschismus wie Julius Evola, Oswald Mosley oder José Antonio Primo de Rivera.
Die Neue Rechte strebt eine Vielzahl getrennt nebeneinander lebender, ethnisch homogener Kulturen bzw. Nationen an (Ethnopluralismus). Identität könnten die Menschen nur innerhalb ihrer eigenen ethnischen Gruppe bzw. „angestammten Kultur“ finden. Ausdrücke wie „Rasse“ oder „Höher-/Minderwertigkeit“ tauchen bei der Neuen Rechten kaum mehr auf. Die einzelnen Kulturen, denen von neurechter Seite ein „Recht auf kulturelle Verschiedenheit“ zugesprochen wird – welches realiter eine „Pflicht“ ist – gelten vordergründig als gleichermaßen wichtig und wertvoll. Nur müssen diese sich vehement gegen fremde Einflüsse, drohende Vermischungen (kulturell wie biologisch) und daraus folgenden Einebnungen von Differenzen wehren (differenzialistisch argumentierender Rassismus). Ziel ist die strikte Trennung ethnischer Gruppen, ein „Pluriversum“ (Carl Schmitt) antagonistischer Kulturen. Universalistischem Denken wird damit deutlich entgegen getreten. Zusammengefasst gleicht dieses Konzept einer Umschreibung für globale Apartheid. Die biologistische Begründung – Blut und Boden gehören zusammen – kommt sehr schnell zum Vorschein. Charakteristisch für die neurechten sprachlichen Verwirrspiele sind auch die Synonyme für Ethnopluralismus wie etwa „differenzialistischer Antirassismus“ oder „gemäßigter Multikulturalismus“.
Die ethnopluralistisch gegliederten Staaten Europas sollen sodann als „Nation Europa“ oder „europäisches Reich“ mutmaßlichen imperialistischen Attacken, seien sie wirtschaftlicher, politischer oder kultureller Art, von Ost und vor allem West (USA) trotzen (Großeuropa-Konzept, Antiimperialismus/Antiamerikanismus). Der insbesondere seit der Wiedervereinigung „selbstbewussten Nation“ Deutschland komme dabei innerhalb der „Großmacht Europa“ aufgrund ihrer geopolitisch günstigen Mittellage eine „natürliche Führungsrolle“ zu.
Während außenpolitisch (Ethno)Pluralismus als essenziell angesehen wird, schließt die Neue Rechte ihn innenpolitisch strikt aus: Deutschland soll mit einem streng autoritären, von einer kleinen Elite geführten Staat und mit einer „plebiszitären Demokratie“ (gemeint ist hier in der Regel die reine Akklamation oder bloße Duldung der Eliten-Entscheidungen) – inklusive großen Kompetenzverlustes, wenn nicht sogar Abschaffung des Parlaments – ausgestattet sein. Es wird von einer ethnisch homogenen, gleichförmigen Gesellschaft ausgegangen, die volksgemeinschaftliche Züge trägt. Zur Not müsse eben auch das stets Vorrang vor dem Individuum genießende Wir-Kollektiv zur Homogenität gezwungen und alles Heterogene (z.B. Parteien und Interessengruppen als „Teile der Gesellschaft“, politisch Andersdenkende) „aussortiert“ werden. Manchmal fordert die Neue Rechte des Weiteren einen nationalrevolutionären Befreiungskampf zur „Selbstverwirklichung des deutschen Volkes“, eine Neuschöpfung Deutschlands – und Europas – von unten, um die anvisierte neue Ordnung endlich in die Tat umzusetzen (Befreiungsnationalismus). Indes bedeutet neurechte „Befreiung“ jedoch die Eingliederung in ein völkisch-nationales Kollektiv.
Besonderen Hass hegt die Neue Rechte gegenüber der 68er-Generation, welche ein Mehr an Liberalität und Demokratie einforderte sowie die Aufarbeitung der NS-Zeit forcierte, und der so genannten Political Correctness. Letztere gilt, zum Beispiel in Form des kritischen Erinnerns an den Nationalsozialismus, für neurechte Akteure als unterdrückende, heuchlerische Pseudo-Moral, die sich durch Sprach- und Denkverbote auszeichnet. Diese Akteure stellen sich selbst gerne als Nonkonformisten, Querdenker, Tabubrecher und Rebellen gegen angeblich linken Meinungsterror und fortdauernde „Umerziehungs-Bemühungen“ der westalliierten Siegermächte (vor allem der USA) dar.
Alles in allem besteht politisch-ideologisch in der Neuen Rechten ein klassisch rechtsextremer Grundkonsens, der allerdings mit spezifischen, eigenständigen Begründungsmustern angereichert wird.
2. Die Neue Rechte als Akteur einer politisch-kulturellen und machtpolitischen Implementationsstrategie
Die Neue Rechte operiert häufig wie ein Wolf im Schafspelz: intellektuell geschickt, modern und moderat. Rechtsextremes Gedankengut wird zumeist verschleiert propagiert: Es ist fast durchweg als (neo-/jung-)konservative, teilweise als nationalrevolutionäre Sichtweise getarnt und mit einer systematischen semantischen Sprachverwirrung, sprachlichen Codes und Andeutungen, symbolischen, indirekten Diskursen sowie mit einer intellektuellen Ummantelung der politischen Positionen gespickt. Nicht mit aggressiven Parolen, sondern mit gebildetem Gestus auf der Grundlage des rationalen Arguments will man den eigenen Elite-Anspruch unterstreichen, mit Hilfe taktisch zurückhaltender, stilvoll aufbereiteter Inhalte (politische Mimikry/Selbstverbergung). Das Auftreten und die öffentlichen Äußerungen sind dementsprechend mit dem, was im Alltagsbewusstsein als „rechtsextrem“ verstanden wird, zum Teil nicht mehr zusammenzubringen.
Weder die Straße noch das Parlament ist das Aktionsfeld der Neuen Rechten, sondern die Diskurse, in die man langfristig einwirken möchte, um einen politischen Klimawandel herbeizuführen (Meta-Politik). Das Bestreben, durch publizistische Arbeit Meinung zu prägen, zielt primär auf Elitendiskurse, greift aber daneben immer mehr auf die Alltags- und Jugendkultur über. In strategischer Absicht versucht sich die Neue Rechte, sowohl inhaltliche wie auch personelle Schnittmengen zum etablierten Konservatismus offen zu halten, bemüht sich allerdings gleichfalls um Anschluss an linke Gruppierungen bzw. Organisationen (Querfront-Strategie). Ziel bleibt es, zum Beispiel durch eine „Umwertung von Werten“ und diskursive Besetzung zentraler Politikbegriffe, in den politisch-kulturellen Mainstream einzudringen, diesen nach rechts zu verschieben, eine vitale rechte Subkultur zu formen und letztendlich die „kulturelle Hegemonie“, die Meinungsführerschaft zu erringen. Dieser werde dann nach Ansicht des italienischen marxistischen Theoretikers Antonio Gramsci, auf den sich die Neue Rechte immer wieder direkt oder indirekt beruft, die „politische Hegemonie“ folgen. Den neurechten Kulturkampf kann man somit als „Gramscismus von rechts“ bezeichnen.
3. Die Neue Rechte als Netzwerk und Organisationsgeflecht
Insgesamt ist es für den Bereich der Bundesrepublik sehr schwierig, das Organisationsgefüge der Neuen Rechten in seiner Gesamtheit zu umreißen. Dies liegt auch daran, dass weder in der politikwissenschaftlichen noch öffentlichen Diskussion ein Konsens über den Inhalt und Umfang des Begriffs „Neue Rechte“ besteht. Es werden oftmals ganz unterschiedliche Phänomene inhaltlich nicht überzeugend mit diesem Terminus verknüpft. Die Unübersichtlichkeit bzw. Fragmentierung der Neuen Rechten erschwert dabei den Zugang ebenso wie ideologisch-programmatische Unterschiede: Sie ist keine festgefügte Organisation oder Partei, keine hierarchische Gruppe. Die Neue Rechte ist viel eher eine heterogene, informelle Strömung, ein loses Netzwerk aus Einzelpersonen, informellen Diskussionsrunden, politischen Kleingruppen, Schulungszentren, Instituten (Institut für Staatspolitik, Deutsch-Europäische Studiengesellschaft, Thule-Seminar etc.), Zeitungen/Zeitschriften (Junge Freiheit, nation24.de, Sezession, Sleipnir, Criticón, wir selbst etc.) sowie Verlagen (Zeitenwende, Verlag der Freunde etc.).
4. Die Neue Rechte als politisch-ideologischer Ort im Rechts-Links-Spektrum
Im politischen Koordinatensystem ist die Neue Rechte zwischen dem demokratischem Konservatismus und dem Rechtsextremismus zu verorten. Einige Autoren schreiben ihr eine eigenständige Stellung in dieser politischen Sphäre zu. Dabei erfülle die sich in einer „Grauzone“ (Mantino) befindliche Neue Rechte eine „Scharnierfunktion“ (vgl. Gessenharter 1989, S.431 ff.): Die Scharnierfunktion liege nun darin, dass es vereinzelt direkte Berührungen zwischen Konservativen und Rechtsextremen zu verzeichnen gebe, trotzdem aber die meisten Autoren der Neuen Rechten sowohl zusammen mit Konservativen als auch mit Rechtsextremen auftreten.
Andere Autoren rechnen die Neue Rechte komplett dem rechtsextremen Bereich zu, arbeiten als Bezeichnung für den Übergangsbereich zwischen Konservatismus und Rechtsextremismus mit dem Terminus „Brückenspektrum“ (vgl. Pfahl-Traughber 1994, S.160 ff.): Es gebe keine Anzeichen für Eigenständigkeit und Kohärenz der neurechten Ideologie. Zudem werde das spezifisch „Neue“ und die Differenz zur Alten Rechten nicht wirklich offensichtlich. Eine zwischen Konservatismus und Rechtsextremismus stehende Neue Rechte erscheine als eindeutig nicht-rechtsextremistisch, was sie aber eigentlich doch sei. Außerdem wirke eine solche Bezeichnung verharmlosend gegenüber derartigen intellektuellen Rechtsextremisten und ermögliche gleichzeitig die Diffamierung demokratischer Konservativer. Mit „Brückenspektrum“ ist das Phänomen einer „Erosion der Abgrenzung“ zwischen demokratischem Konservatismus und extremistischer Rechter gemeint. Hiermit werde lediglich ein bestimmter Ort von politischen Begegnungen und Kooperationen bezeichnet, nicht jedoch das Aufkommen einer neuen, eigenständig zwischen Konservatismus und Rechtsextremismus stehenden politischen Strömung behauptet. Die Neue Rechte bleibe klar im rechtsextremen Bereich angesiedelt.
Erscheinungsdatum 13.12.2004