Eine neue Verschwörungserzählung verbreitet sich derzeit in den Anti-Coronamaßnahmen-Communities: „The Great Reset”. Grob gesagt: Eine globale Finanzelite plane ein Zurücksetzen der derzeitigen Weltwirtschaftsordnung, bezeichne dies als „The Great Reset“ und nehme als Begründung dafür die Covid-19-Pandemie her.
Was ist der Beginn in der Realität?
Namensgeber für diese neue Verschwörungserzählung, die sich gerade in Anti-Coronamaßnahmen-Communities verbreitet, ist das Weltwirtschaftsforum, dass jährlich in der Schweiz stattfindet. Auch im nächsten Jahr treffen sich Superreiche, Journalist*innen und Wirtschaftsmächte wieder, dieses Mal im Mai in Luzern und unter dem Motto „The Great Reset“. Es gibt auch ein gleichnamiges Buch von Klaus Schwab – dem Gründer des Weltwirtschaftsforums – und Thierry Malleret. Es beschreibt, wieso es nach der Pandemie eine neue Ordnung geben müsse: die Weltwirtschaft müsste grüner und sozialer werden. Die Autoren plädieren für eine Verschmelzung von Kapitalismus und Sozialismus, was zu mehr Gerechtigkeit in der Welt führen solle. Mehr soziale und finanzielle Gerechtigkeit sind grundsätzlich gute Ideen, jedoch liefert das Vorhaben Anknüpfungspunkte für eine neue konspirative Erzählung. Sie dreht sich um das Buch „The Great Reset“ und das Treffen des Weltwirtschaftsforums unter gleichem Motto und erinnert sehr an die klassischen antisemitischen Verschwörungserzählungen, bei welchen reiche Personen oder Familien – meist jüdischen Glaubens, wie George Soros, die Rothschilds oder bestenfalls die „Illuminaten“ als reiche Weltmacht agieren und entscheiden, wie die Weltordnung aussehen soll.
Die Verschwörungserzählung entwickelt sich: Vom „Great Reset” zur „Digitalen Diktatur”
Dass gerade Finanzeliten und reiche Menschen sich für eine solche Veränderung aussprechen, mag bei einigen Menschen Skepsis auslösen, anderen liefert es gleich das argumentative Fundament ihrer Verschwörungserzählungen: Bereits Ende Juli 2020 erschien auf YouTube ein Video mit einer Erklärung des „Great Reset“ von Ernst Wolff. Der selbsternannte Wirtschafts-Experte, der sich schon Anfang der Covid-19-Pandemie sicher war, die internationale Finanzelite hätte ihre Finger auch hier wieder im Spiel, hat jetzt die „Beweise“ für seine kruden Theorien geliefert bekommen und erklärt in dem Video, was die Wirtschaftseliten von der Covid-19-Pandemie haben. Das bisherige kapitalistische System stehe vor einem Zusammenbruch: Die „Robotisierung“ und Künstliche Intelligenz gepaart mit Algorithmen führe dazu, dass Menschen ihre Jobs verlören und dies würde zu sozialen Aufständen führen. Den Superreichen passe es daher gut, dass für diese Umstände und die Spaltung der Gesellschaften nun die Covid-19-Pandemie verantwortlich gemacht werden könne und nicht mehr nur die eigene „Selbstsucht der Eliten“.
Das heißt dann wiederum laut Wolff, alle staatlichen und internationalen Maßnahmen, um die Covid-19-Pandemie einzudämmen, seien vor allem „im Sinne der 0,001% reichsten Menschen der Welt“ und sollten dazu beitragen, ihr System aufrechtzuerhalten. Positiv erscheinende Neuerungen wie Diskussionen um das bedingungslose Grundeinkommen oder der Klimaschutz seien nur der Deckmantel für die katastrophalen Auswirkungen des Kapitalismus und dienten dazu, neuen Anreize zu schaffen, um künstliche Nachfrage zu schaffen.
Doch das, so Wolff, ließen sich die „aufgeklärten” Menschen weltweit nicht mehr gefallen: Sie sähen es als ihre Herausforderung, die ahnungslosen Menschen – „Systemlinge“ – aufzuklären und in den Widerstand zu gehen. Der bevorstehenden „Digitalen Diktatur“ würden sie sich widersetzen, indem sie ihre alternativen Wahrheiten verbreiteten und sich dem Impfzwang widersetzen würden. Am Ende des Videos wird übrigens nach einer Spende für den konspirativen Kanal „KenFM“ gebeten. Das Video hat nicht allzu viele Klicks, aber einem Mitglied des „Neuen Schmalkaldischen Bundes“ (welcher ebenfalls mit verschwörerischen Ideologien auftritt) gefällt es:
Wo die Verschwörungserzählung verbreitet wird
In einem anderen Video mit mehr Klicks hält Robert Stein von dem verschwörungsoffenem NuoViso.TV auf dem „Regentreff-Kongress“ einen Vortrag über den bevorstehenden „Great Reset“. In den Kommentaren finden sich Beifall und Anerkennung für die Ehrlichkeit und den Klartext, den er sich zu sprechen traue. Bei der „Querdenken“-Demonstration vom 21. November 2020 in Hannover hält der mittlerweile suspendierte Hauptkommissar Michael Fritsch eine Rede und appelliert an die Zuschauer*innen, sich mit Klaus Schwab und dem „Great Reset“ auseinanderzusetzen, denn „darum gehe es und nicht um Covid-19“. Da fragt man sich, wo die Skeptiker*innen bei den vorherigen Treffen des Weltwirtschaftsforums waren, da ging es nämlich um „Shaping the Post-Crisis World“ (Motto 2009) oder „The Great Transformation“ (Motto 2012).
„The Great Reset” in den USA
In den USA sorgen unter anderen Glenn Beck und Steve Bannon – beide Medienschaffende sind empfänglich für rechte Agitationen – dafür, dass die Verschwörungserzählung weiterverbreitet wird. Die Hauptfigur der Verschwörungserzählung dort ist Joe Biden, der neu gewählte Präsident der USA. Sein Slogan „Build Back Better“ aus dem Wahlkampf soll eine Umschreibung für den geheimnisvollen Plan der Wirtschaftselite sein. Mit dem Sieg Bidens soll der Grundstein für die Vorhaben der Superreichen gelegt sein: Sie wollen Privateigentum abschaffen und Menschen einen Mikrochip einsetzen, der ihre Gedanken liest (vgl. Frankfurter Rundschau).
Ein Brief des Erzbischofs Carlo Maria Viganò, in dem er schreibt, Bill Gates entwickelte ein Impfprogramm gegen Covid-19 und im gleichen Zug auch ein Programm zum Verzicht auf Eigentum, schaffte es, mit Ernsthaftigkeit im Trump-nahen Sender FOX News vorgelesen zu werden. Lara Logan, Journalistin beim gleichen Sender, klärt auf: der Slogan „Build Back Better“ bedeute eigentlich „alles in Stücke zerschlagen“. Die Journalist*innen des Senders zeigten außerdem auf, Joe Biden hätte eine „verstörende Verbindung“ zum „Socialist Great Reset Movement“. Der kanadische Premier Justin Trudeau übrigens ist auch Teil der Verschwörung, schließlich habe er in einer Rede relativ oft über eine Möglichkeit für einen Neustart gesprochen – „opportunity for a reset“ (vgl. Handelszeitung). Das Staatschef*innen in sowas verwickelt sein sollen, mag die Wenigsten verwundern, aber dass sogar die Sesamstraße für eine Gesundheitsdiktatur Werbung macht, zeugt von enormer Kreativität – oder einem Wahn: James Delingpole, Journalist des rechtsalternativen Blogs „Breitbart“, sieht auch in der Sesamstraße die versteckte Propaganda der Wirtschaftselite: Elmo bringe den Kindern bei, für eine Pandemie vorzusorgen und sich impfen zu lassen, was den Superreichen natürlich nütze – klar.
Die Verschwörungserzählung einer „Neuen Weltordnung” ist ein antisemitischer Klassiker, der immer wieder neue Gewänder annimmt: Nun ist es also unter dem Schlagwort „The Great Reset” wieder so weit. Ähnlich wie bei „QAnon” ist eine große Anpassbarkeit der Verschwörungserzählung an lokale Begebenheiten, lokale Politiker*innen und „Eliten” zu erkennen, die dann auch den länderübergreifenden Erfolg ausmacht.
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