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Neue Zahlen zu Rechtsextremismus und Antifeminismus Antifeminismus als zentraler Bestandteil rechtsextremer Ideologie bestätigt

Seit 2002 untersucht die Leipziger Arbeitsgruppe um Elmar Brähler und Oliver Decker rechtsextreme Einstellungen in Deutschland. Im Rahmen dieser als Leipziger „Autoritarismus-Studien“ bekannt gewordenen Studienreihe werden im Zwei-Jahres-Rhythmus repräsentative Erhebungen durchgeführt. Die gewonnenen Daten und die sozialpsychologischen Analysen sind ein wichtiger Baustein zur Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und ein Barometer politischer Einstellungen in Deutschland. In diesem Jahr hat die Studie zum ersten Mal das Phänomen Antifeminismus erfasst.

 

 

Wichtige Ergebnisse in Kürze:

Rechtsextreme und autoritäre Einstellungen erfahren nach wie vor große Zustimmung. Sehr deutlich wird dies in den Ergebnissen zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit: Fast die Hälfte der Befragten (46,8 Prozent) stimmt der Aussage „Durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land“ zu. Und über die Hälfte der Befragten ist der Meinung, Sinti und Roma neigten zu Kriminalität. Sogar 41 Prozent finden, Reparationszahlungen würden nur einer „Holocaust-Industrie“ nützen. Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus sind also weiterhin weit verbreitet, wenn die Zahlen zu antimuslimischem Rassismus auch etwas zurückgegangen sind. Besonders auffällig ist die die steigende Verbreitung der Verschwörungsmentalität. Hier zeigt sich ein Anstieg von fast 8 %, während insbesondere COVID-19 bezogene Verschwörungsmythen starke Zustimmung erfahren.

Die Studie spricht darüber hinaus von rund 4,3 Prozent mit einem manifesten rechtsextremen Weltbild. Der Wert lag 2018 bei 6 % und ist damit leicht gesunken. Die Forscher*innen zählen vor allem sechs Dimensionen dazu: Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur, Chauvinismus, Rassismus, Antisemitismus, Sozialdarwinismus und Verharmlosung des Nationalsozialismus dazu.

Größere Verbreitung von Verschwörungserzählungen

Im Vergleich zu den früheren Erfassungen hat die Verbreitung von Verschwörungsmentalitäten zugenommen. So stimmen fast die Hälfte der Befragten der Aussage „Die Hintergründe der Corona-Pandemie werden nie ans Licht der Öffentlichkeit kommen“ zu (stark ausgeprägt: 47,8 % und ausgeprägt: 14,6 %). Rund ein Drittel befürwortet die Aussage „Die Corona-Krise wurde so groß geredet, damit einige wenige davon profitieren können“ (stark ausgeprägt: 33 % und ausgeprägt: 15,4 %). Rund 38,4 % (2018: 30,7 %) der Bevölkerung bescheinigen die Forscher eine “Verschwörungsmentalität”. Dass sie noch einmal gestiegen ist, zeigt, welche Bedeutung in der Bekämpfung von Verschwörungserzählungen liegt.

 Antifeminismus als zentrale Dimension rechtsextremer Weltbilder

Antifeminismus ist ein zentraler Bestandteil rechtsextremer Ideologie und wird von Rechtsextremen als Instrument der politischen Auseinandersetzung rege genutzt. Dadurch, dass in den letzten Jahren in Deutschland rechtspopulistische und rechtsextreme Bewegungen und menschenfeindliche Ideologien stärker und vor allem auf der Straße, im Netz und in den Parlamenten sichtbarer geworden sind, ist auch der Antifeminismus erstarkt. Die dazu im Rahmen der Studienreihe erstmalig vorgelegten Zahlen sind also wenig überraschend, wenngleich sie deutlich das Ausmaß sichtbar machen und vor allem statistisch unterstreichen, welche Gefahr in antifeministischen Bewegungen liegt.

So zeigen die Wissenschaftler*innen, dass „jeder vierte Mann und jede zehnte Frau in Deutschland ein geschlossen antifeministisches Weltbild“ (264) aufweist und 47,3 Prozent der Männer und 28,7 Prozent der Frauen mindestens einer antifeministischen Aussage zustimmen.

Antifeminismus ist eine Ideologie mit Anknüpfungspunkten zu verschiedenen politischen Einstellungen von neoliberal, konservativ, bis zu männerbündisch, rechtsnational oder verschwörungsideologisch.

Antifeministische Einstellungen hängen eng mit Sexismus, also der Betonung der Unterschiede der Geschlechter und der angeblichen Höherwertigkeit des Mannes, zusammen. Sexismus ist daher immer mit dem Versuch verbunden, traditionelle Rollenverteilungen zu erhalten.

Nimmt man die bisher verwendeten Erhebungs-Fragen, so lässt sich ein Trend in die positive Richtung ablesen: Sexismus ist demnach heute gesellschaftlich weniger verbreitet als noch 2006 und auf 13,7 Prozent gesunken, dabei hat er im Westen Deutschlands seit 2006 abgenommen, im Osten ist er leicht gestiegen (von 13,9 auf 16,6 Prozent).

Die Forscher*innen der Leipziger Autoritarismus-Studie weisen jedoch mit neuen Items nach, dass 25,3 Prozent der Befragten ein geschlossen sexistisches Weltbild haben. Sie machen deutlich, dass „sexistische und antifeministische Positionen […] oft nah beieinander“ liegen (261). Das ist auch der Grund, weswegen antifeministische Mobilisierungen so erfolgreich sind, denn sie können an einen über die Szenen des Rechtsextremismus hinausreichenden Sexismus in der Gesellschaft andocken.

Antifeministische Einstellungen sind dabei oft mit anderen Einstellungen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit wie Rassismus oder Antisemitismus verbunden. Besonders hohe Übereinstimmungen zeigen sich mit den Dimensionen Rassismus, Antisemitismus und Sozialdarwinismus. Und sie weisen hohe Verknüpfungen zu rechtsextremen Einstellungen auf: „Wer rechtsextrem ist, neigt zu Antifeminismus, und wer antifeministisch ist, neigt zu Rechtsextremismus“ (276).

Auswirkungen von Antifeminismus auf die Praxis

Die von der Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus in Kooperation mit dem Deutschen Frauenrat aktuell vorgelegte Expertise Auswirkungen von Antifeminismus auf Frauenverbände – Demokratie-Empowerment als Gegenstrategie kann die Befunde der 10. Leipziger Autoritarismus Studie um subjektive Erfahrungen zum Thema Antifeminismus ergänzen. Für die Expertise wurden Personen aus der frauenpolitischen Arbeit anonym befragt. Dabei zeigte sich vor allem, dass digitale Gewalt gegen Mädchen und Frauen auch bei frauenpolitisch engagierten Vereinen und Verbänden angekommen ist. Außerdem wird darin deutlich, dass eine ablehnende Haltung konservativer Akteur*innen, Personen oder Kolleg*innen gegenüber frauenpolitischer Verbands- und Vereinsarbeit zunehmend mit einem antifeministischen Wording und rechtsextremen Positionen verknüpft wird. Antifeministische Angriffe – so zeigt die Expertise – sind personalisiert und Weiblichkeit wird abgewertet. Zuletzt wird deutlich, dass Verbände, die sich für von Mehrfachdiskriminierung betroffene Frauen einsetzen, sexualisierten und gewaltvollen Anfeindungen in besonders heftigem Maß ausgesetzt sind. Mit der Expertise, die in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Frauenrat entstanden ist, wollen wir einen Beitrag dazu leisten, dass Antifeminismus als praktische Bedrohung und Einschränkung von weiblichem Engagement ernstgenommen und stärker bearbeitet wird.

Die Gefahr des Antifeminismus liegt darin, dass in ihm auch eine Ablehnung der Demokratie angelegt ist. Denn das zentrale Ziel antifeministischer Bewegungen ist die Abwehr des Kampfes für gleiche Rechte (demokratisch, ökonomisch, privat) für Frauen und marginalisierte Menschen. Im Umkehrschluss sind es feministische Bewegungen, die sich in vielen Staaten der Welt nicht nur für die Anliegen von Frauen, sondern für den Erhalt der Demokratie einsetzen.

Antifeminismus als zentraler Angriffspunkt aus dem extrem-rechten Spektrum auf demokratische und pluralistische Gesellschaftsvorstellungen muss in der Rechtsextremismusprävention sehr viel stärker berücksichtigt werden. Dazu leistet die neue Autoritarismus-Studie der Universität Leipzig einen wichtigen Beitrag.

Studie:

Autoritäre Dynamiken: Alte Ressentiments – neue Radikalität. Die 10. Leipziger Autoritarismus Studie

  • Prof. Dr. phil. Oliver Decker, Direktor des Kompetenzzentrums für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung, Universität Leipzig, Professor für Sozialpsychologie, Sigmund-Freud-Universität Berlin
  • Prof. Dr. Elmar Brähler, ehemaliger Leiter der Abt. Med. Psychologie und Med. Soziologie, Universität Leipzig

 

Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus

Die Fachstelle berät und schult mit einem Fokus auf Gender bundesweit Zivilgesellschaft, Politik, Jugendarbeit, Bildungseinrichtungen und Medien im Umgang mit Rechtsextremismus, Rechtspopulismus und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Fokus der Beratungsarbeit und Analysen sind reaktionäre Geschlechterpolitiken und antifeministische Ideologien, die wichtige Elemente einer autoritären, antidemokratischen Agenda und eines „Kulturkampf von rechts“ sind. Antifeminismus hat dabei in der Praxis viele Gesichter: als Angriffe auf Gleichstellungsbeauftragte und Kommunalpolitikerinnen, Hate Speech gegen Feminist*innen im Netz oder Diffamierungen gegen Vereine, die sich für sexuelle Vielfalt einsetzen. Entsprechend unterstützen wir zivilgesellschaftliche Akteur*innen in der Auseinandersetzung mit Antifeminismus und anderer Formen von Ungleichwertigkeit.

Zuletzt erschienene Expertise:
Auswirkungen von Antifeminismus auf Frauenverbände – Demokratie-Empowerment als Gegenstrategie

 

 

 

 

 

 

 

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