Ganz egal ob Falschinformationen zur Energiekrise, der Mobilisierung zu rechten Protesten und im Zuge dessen gewonnene Mobilisierungserfolge zum sogenannten „Heißen Herbst“ oder „Wutwinter“: Desinformationen leisten einen bedeutenden Beitrag zu diesen Entwicklungen und zur Destabilisierung unserer Demokratie. Sie werden bewusst und oftmals auch koordiniert verbreitet, um gesellschaftliche Konflikte zu verstärken, anzustacheln und bergen damit die Gefahr in sich, die Demokratie nachhaltig zu gefährden.
Der de:hate report #4 beleuchtet mit seinen Einblicken in das systematische zivilgesellschaftliche Monitoring der Amadeu Antonio Stiftung nicht nur die gegenwärtigen Narrative rund um Pandemie, Krieg und Energiekrise. Er zeigt auch auf, inwiefern russische Desinformationen dabei eine tragende Rolle spielen, warum gerade verschwörungsgläubige Szenen davon betroffen sind und warum die von jungen Menschen genutzte Plattform TikTok für Desinformationen besonders anfällig ist. Doch damit nicht genug, unsere konkreten Handlungsempfehlungen zeigen Wege und Lösungen auf, Desinformationen entschieden und effizient entgegenzuwirken. Zudem skizziert er, was Plattformen zur Arbeit gegen Desinformation beitragen und was User*innen und Multiplikator*innen tun können, um dieser oftmals unterschätzten Gefahr für unsere Demokratie entgegenzuwirken.
Inhalt
- Desinformationen – Begriffe und Unterschiede
- Exkurs: Eine sozialpsychologische Sicht auf Desinformationen
- Russische Propagandakampagne: Desinformationen im Krieg
- Verschwörungsgläubige: Anfällig für Desinformationen
- Desinformationen auf TikTok
- „Heißer Herbst“ – Konflikte rund um die Energiekrise
- Umgang der Plattformen mit Desinformationen
- Handlungsempfehlungen zu Desinformationen auf Social Media
Desinformationen – Begriffe und Unterschiede
Falsch- und Desinformationen sind ein beständiger Teil unserer digitalen Umwelt – und können sich fatal auf unsere analoge Welt auswirken. Der Wahlkampf des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump 2016 wird oft als prominentes Beispiel für den Einfluss von Falschnachrichten angeführt. Aber auch in Deutschland sind Desinformationen spätestens mit der Bundestagswahl 2021 und dem Beginn der Pandemie zu Herausforderungen geworden, an denen sich die Demokratie messen muss.
Die Europäische Union warnte im Jahr 2020 bei Ausbruch von COVID-19 in einer gemeinsamen Mitteilung 5 eindringlich vor Desinformationen im Zusammenhang mit der Pandemie und verabschiedete eigens einen Aktionsplan, um dem entgegenzuwirken. Das jüngste Beispiel für gezielte Desinformation ist der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, der ebenfalls hier behandelt wird. Desweiteren wirft der Report einen Blick auf die demokratiegefährdenden Entwicklungen im Zuge von Desinformationen, die derzeit in Sozialen Netzwerken kursieren, und zeigt Möglichkeiten für Plattformen und Nutzer*innen im
Umgang damit auf.
Was genau sind Desinformationen?
Grundsätzlich ist es sinnvoll, zwischen bewusst und unbewusst verbreiteten Falschinformationen zu unterscheiden. Misinformationen oder Fehlinformationen sind unbeabsichtigt verbreitete Falschinformationen. Dazu gehören Recherchefehler, von Zweifeln begleitete Berichterstattungen, aber auch satirische Beiträge, wenn sie falsch zugeordnet oder wahrgenommen werden. Und: falsche Informationen, wenn sie von den verbreitenden Akteur*innen für wahr angesehen werden. Dann nämlich
liegt der Verbreitung keine bewusste Täuschungsabsicht zugrunde, sondern der Glaube, wahre Informationen zu teilen. Solche Akteur*innen finden sich beispielsweise in der verschwörungsideologischen Szene (s. Kapitel „Verschwörungsgläubige: Anfällig für Desinformationen“) und sind selbst eine Zielgruppe von Desinformationen.
Desinformationen sind absichtlich und bewusst verbreitete Falschinformationen. Die Verbreiter*innen von Desinformationen verfolgen in der Regel ein Interesse und Ziel dabei. Sie haben also eine Täuschungsabsicht. Beispielsweise kann durch Desinformationen ein Misstrauen gegenüber der Demokratie genährt werden, um bewusst gesellschaftliche Spannungen zu verstärken.
Desinformationen kennzeichnet nach den Kommunikationswissenschaftlern Fabian Zimmermann und Matthias Kohring Folgendes aus:
■ Sie sind eine Art der Kommunikation. Sie richten sich immer nach außen und suchen, anstatt im Privaten zu verbleiben, die öffentliche Bühne.
■ Sie sind zwar falsch, beanspruchen aber einen Wahrheitsgehalt für sich. Das heißt, dass sie in ihrer Form
und Darstellung Tatsachen verkörpern sollen, also vorgeben, die Realität so zu beschreiben, wie sie ist.
■ Sie sind immer aktuell. Desinformationen versuchen stets, an die aktuellen Diskurse anzuknüpfen, die einen größtmöglichen Einfluss auf die gesellschaftliche Meinungsbildung ausüben können.
■ Sie sind immer empirisch belegbar falsch.
Das Erscheinungsbild von Desinformationen ist vielseitig; sie sind daher mitunter schwer zu erkennen und zu benennen. Gängige Darstellungen sind sogenannten „Fake News“ zuzuordnen. Das bedeutet, dass Desinformationen pseudo-journalistisch aufbereitet werden, um bereits durch ihr Erscheinungsbild einen Wahrheitsanspruch zu vermitteln. Auch Informationen mit mangelndem Wahrheitsgehalt, sogenannte Teilunwahrheiten, fallen darunter. Dabei werden lediglich bewusst ausgewählte Teilbereiche einer Realität abgebildet oder wahre Begebenheiten bewusst falsch zugeordnet. In einem Rechtsgutachten zu Desinformationen für die Landesanstalt für Medien NRW führt das Hans-Bredow-Institut folgende Teilunwahrheiten auf:
■ „False connection“: Reißerische oder emotionale Überschriften oder Bilder stimmen mit dem Inhalt nicht überein. Dazu gehören beispielsweise sogenannte „Clickbait“-Artikel (deutsch: „Klickfang“-Artikel).
■ Falscher Kontext: Tatsachenberichte werden bewusst in einen anderen Kontext gesetzt. Dazu gehören unter anderem Fotos, bei denen der Zeitstempel geändert wurde, oder aus dem Kontext gerissene Zitate, durch die der Sinngehalt verändert wird.
■ Irreführender Inhalt: Durch irreführende Medieninhalte werden Deutungen bereits in bestimmte Richtungen gelenkt, die nicht mit dem eigentlichen Inhalt zusammenhängen.
■ „Imposter content“: Durch bekannte Namen, Fotos bekannter Persönlichkeiten oder Prominente sollen
Inhalte in ihrer Glaubwürdigkeit untermauert werden.
Desinformationen können im Internet theoretisch von jeder Person verbreitet werden. Wenn es sich aber um eine umfassende und koordinierte Aktion handelt, spricht man von einer Desinformationskampagne. Für deren professionelle Umsetzung ist in der Regel ein höherer Aufwand mit entsprechend höheren Ressourcen vonnöten. Wenn diese Desinformationskampagnen von Staaten ausgehen, spricht man zudem von einer hybriden Bedrohung, die laut der Bundesregierung das Ziel hat, „die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich [zu] gefährden“.
Malinformationen
sind dagegen gezielt verbreitete Informationen, die zwar wahr sind, aber mit einer schädigenden Absicht eingesetzt werden. Die Art der Information sowie der Zeitpunkt ihrer Verbreitung sind dafür entscheidend. Zu Malinformationen zählen beispielsweise Leaks, die zu einem bestimmten Zeitpunkt verbreitet werden, um gesellschaftliche Entwicklungen wie Wahlkämpfe zu beeinflussen.
Die Texte aus dem de:hate report #4 erscheinen in loser Folge auf www.belltower.news.
- Der Report als PDF zum Download:
https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/publikationen/desinformationen-von-prorussischen-kampagnen-zu-narrativen-im-heissen-herbst/