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Neues Polizeigesetz in Niedersachsen Wer bestimmt wer ein Gefährder ist?

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Die Polizei in Niedersachsen soll künftig als gefährlich erkannte Menschen mit Meldeauflagen an einem Ort festhalten, kann ihnen eine Fußfessel umbinden, den Kontakt zu mutmaßlichen Mitwissern untersagen und kann „Gefährder“ bis zu 74 Tage in Gewahrsam nehmen. (Quelle: Flickr / Klaus Friese / CC BY-SA 2.0)

 

 

In Steven Spielbergs Science-Fiction-Blockbuster „Minority Report“ aus dem Jahr 2002 können Straftäter bereits vor Begehen ihrer Tat verhaftet werden. Das soll so ähnlich nun auch in Niedersachsen möglich sein. Die Polizei Niedersachsen plant ein neues Polizeiaufgabengesetz, nach dem sie in Zukunft schon dann Menschen überwachen, verfolgen und gefangen nehmen darf, wenn ihnen unterstellt wird, über Straftaten nachzudenken, ohne sie tatsächlich ausgeführt zu haben. Um terroristische Bedrohungen wirkungsvoller bekämpfen zu können, so die Begründung der rot-schwarzen Landesregierung für die geplante Gesetzesänderung. Dazu gehören unter anderem die Überwachung des Online-Verkehrs, die Festsetzung mutmaßlicher terroristischer Gefährder, die Wohnraumüberwachung, die Anordnung einer Fußfessel ohne richterliche Entscheidung und viele andere Einschränkungen und Verhaltensvorgaben. Noch vor Dezember soll das „modernste Gefahrenabwehrrecht in Deutschland“, wie es Innenminister Boris Pistorius (SPD) einst bezeichnete, den Landtag passieren. Es sind Verschärfungen, die in fast allen Bundesländern anstehen. Die Polizei soll reagieren, noch bevor etwas passiert ist – auch wenn das heißt, Menschen einzusperren, die noch keine Straftat begangen haben.

Durch die erweiterten Instrumente, die der Polizei an die Hand gegeben werden, können aber letztendlich Freiheits- und Grundrechte eingeschränkt werden, so die Befürchtung von FDP, Grünen und Kritiker*innen aus der Zivilgesellschaft. Beifall kommt dagegen von der AfD.

 

Worum geht es in dem neuen Polizeiaufgabengesetz aus Niedersachsen?

Präventivgewahrsam

Zukünftig sollen sogenannte Gefährder bis zu 74 Tage in Präventionshaft genommen werden können. Es reicht ein „individuelles Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet“, dass eine terroristische Straftat begangen wird, um sie wegzusperren. Allerdings ist zunächst für 30 Tage ein richterlicher Beschluss nötig, ein weiterer für 30 Tage Verlängerung und eine dritte Entscheidung, damit weitere 14 Tage Haft verhängt werden können.

In Niedersachsen liegt die Höchstdauer des Gewahrsams bisher bei zehn Tagen. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Stefan Birkner warnte angesichts der harten Verschärfung auf 74 Tage vor einer „Banalisierung der Gefährderdefinition“. Und die niedersächsische Datenschutzbeauftragte Barbara Thiel monierte bei einer Anhörung im Innenausschuss des Landtags: „Unter dem Deckmantel den internationalen Terrorismus zu bekämpfen, beschneiden die vorgeschlagenen Regelungen die Freiheitsrechte der Bürger bis zur Unkenntlichkeit.“ Die Regierung verfolge offenbar das Ziel, der Polizei „alle nur denkbaren Maßnahmen gegen sogenannte terroristische Gefährder an die Hand zu geben“. Auch, dass dem Festgehaltenen nicht zwingend ein Anwalt zur Seite gestellt wird, stößt bei Jurist*innen auf Kritik.

 

Videoüberwachung im öffentlichen Raum

Bei Verdacht auf „Straftaten oder nicht geringfügige Ordnungswidrigkeiten“ kann Videoüberwachung im öffentlichen Raum eingesetzt werden.

Bislang sind Bildaufzeichnungen durch die Polizei nur an Orten erlaubt, an denen mit erheblichen Straftaten zu rechnen ist. Künftig soll dies schon eher möglich sein. Inwieweit bloße Bildaufzeichnungen sich zur Prävention eignen ist laut aktueller Forschungen fraglich. Sie kommen zu dem Schluss, dass die Effekte von Videoüberwachung zur Verhinderung von Straßenkriminalität sehr gering ausfallen.

 

Staatstrojaner

Auch das Abhören von Telefongesprächen und Abfangen von E-Mails und Chat-Nachrichten  wird neu geregelt. Spionagesoftware soll zum alltäglichen Ermittlungsinstrument werden. Computer oder andere informationstechnische Systeme sollen dauerhaft infiltriert werden, um Kommunikations- oder andere Daten auszuleiten.

Alle bisherigen Versuche, Staatstrojaner für deutsche Behörden zu entwickeln und einzusetzen, seien entweder gescheitert oder als rechtswidrig eingestuft worden, kritisiert etwa der „Chaos Computer Club“ (CCC), zumal von der Überwachung Betroffene im Nachhinein nicht einmal informiert werden müssten. Heimliche Telefonüberwachungen und Online-Durchsuchungen stellten massive Eingriffe in die Grundrechte auf Datenschutz und auf Vertraulichkeit dar, so Thilo Weichert vom Netzwerk Datenschutzexpertise.

 

Was ist ein „Gefährder“ und wer bestimmt das?

Die Polizei soll künftig als gefährlich erkannte Menschen mit Meldeauflagen an einem Ort festhalten, kann ihnen eine Fußfessel umbinden, den Kontakt zu mutmaßlichen Mitwissern untersagen und kann „Gefährder“ bis zu 74 Tage in Gewahrsam nehmen. Das neue Polizeigesetz soll vorrangig dem Kampf gegen islamistischen Terror dienen – daran ist nichts Verwerfliches. Allerdings ist der Gesetzesentwurf so schwammig formuliert, dass nicht eindeutig klar hervorgeht, was als „Gefahr“ bewertet wird und wer diese „Gefahr“ wie und weshalb als solche bewertet.

Immer wieder werden in Deutschland Menschen allein aufgrund ihres Erscheinungsbilds, z.B. Haut-, Haar- und Augenfarbe unterstellt, potentiell gefährlich zu sein. Mit dem Polizeigesetz ist die Gefahr groß, dass die noch immer allgegenwärtige Praxis des „Racial Profilings“ weiter untermauert wird, nämlich dann, wenn es nicht um konkrete Hinweise auf eine Tat geht, sondern um den bloßen Verdacht. Das eröffnet rassistischen Praktiken der Sicherheitsbehörden noch mehr Spielraum.

Zuletzt wurde das niedersächsische Polizeigesetz 2007 reformiert. Damit ist es besonders in einer immer digitaleren Welt nicht mehr zeitgemäß. Doch vor allem viele der Anordnungen, die ohne richterliche Entscheidungen zulässig sein werden, sind eher ein Schritt zurück.

 

Protest gegen das geplante Gesetz

Der Unmut gegen das geplante Polizeigesetz wächst. In dem breiten #noNPOG-Bündnis sammeln sich verschiedenste Akteure, darunter neben der Grünen Jugend auch die Jusos, der Jugendverband von Ver.di, Antifagruppen, Linkspartei, aber auch der Niedersächsische Flüchtlingsrat oder Vertreter von Fußball-Fangruppen. Das Bündnis plant eine Großdemonstration in Hannover voraussichtlich am 08. September und einen niedersachsenweiten dezentralen Aktionstag am 18. August. Proteste in Bremen führten dazu, dass die dortige rot-grüne Landesregierung ihren Entwurf für ein neues Polizeigesetz erstmal auf Eis gelegt hat.

 

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