Gleich nach dem Jahreswechsel 2014/2015 macht ein Aufruf in Dresden und in den sozialen Medien die Runde: „Am kommenden Montag, 05.01.2015, wird es im neuen Jahr wieder eine Demonstration von Pegida in Dresden geben. Ein guter Anlass, um vor der eigenen Haustür zu kehren. Werft euch in Warnwesten und packt eure Besen! Wir fegen nach der Demonstration von PEGIDA den Platz der Abschlusskundgebung.“ Initiiert wurde der von rund 5000 Demonstrant_innen unterstützte „Kehraus“ von Kulturschaffenden um die „Banda Comunale“, die bereits im November und Dezember auf Gegenprotesten und einem großen Sternlauf gegen Pegida anspielten. Für ihr ungebrochenes Engagement ist die „Banda Comunale“ mit der „Aktion Neujahrsputz“ und der „Angsthasen-Prozession“ nun für den Sächsischen Demokratiepreis der Amadeu Antonio Stiftung nominiert.
Die Idee zu einer neuen Form des Protests gegen die seit Oktober 2014 in Dresden spazierende rassistische Pegida-Bewegung ging von Mitgliedern der „Banda Comunale“ und Dresdner Kulturschaffenden aus. Im Januar 2015 galt es, ein eindeutiges Zeichen gegen „Pegida“ in der Altstadt zu setzen, da sich zu diesem Zeitpunkt weder Vertreter der Stadtpolitik noch der Regierung gegen den seit langem größten rassistischen Aufmarsch in Deutschland positioniert hatten. Anders als in München oder Leipzig beispielsweise hat sich bis heute keine breite bürgerschaftliche Mehrheit offen gegen Pegida bekannt. Und vor dem Hintergrund, dass sich die Stimmung gegen Fremde und Andersdenkende in Dresden auf beklemmende Weise verhärtete, dass das Miteinander und die Gespräche – selbst zwischen Freunden und Kollegen – zur Herausforderung wurden, initiierten „Banda Comunale“ und „Aktion Neujahrsputz“ weitere Protestaktionen wie auch die gemeinsam mit Dresdner Künstlern realisierte „Angsthasen-Prozession“ im März. Während der zahllosen Demonstrationen in 2014 und 2015 ist die elfköpfige Band „Banda Comunale“ regelmäßig für die Verteidigung demokratischer Werte und humanistischer Überzeugungen auf die Straße gegangen. Sie haben Umzüge in Dresden, Bautzen und im Umland angeführt, auf Kundgebungen gespielt und sich an der Organisation von öffentlichen Veranstaltungen beteiligt.
Schon seit 2001, ihrem Gründungsjahr, engagiert sich die „Banda Comunale“ gegen Rechtsextremismus. Als laufende „Marching band“ waren sie u.a. Bestandteil der Demonstrationen am 13. Februar. Der Name ihrer Gruppe, „Banda Comunale“, ist dem Italienischen entlehnt und bedeutet „Dorfkapelle“. In ihrer unmittelbaren Nachbarschaft, ihrer Stadt, in der sie zuhause sind, leben und arbeiten, spielen sie auf Willkommensfesten, Solidaritäts-Konzerten und sogar direkt in den Erstaufnahmeeinrichtungen mit ihrer Blasmusik auf, die sich unterschiedlichster kultureller Einflüsse aus Osteuropa, Südamerika, Nordafrika usw. bedient.
Dabei sind außergewöhnliche Begegnungen entstanden, wie sie kaum ein anderes Medium als die Musik möglich macht. Vergessen sind Sprachbarrieren, interkulturelle Missverständnisse und Hemmungen der ersten Begegnung. Es reicht ein schlichtes „You play. I dance, okay?“ und ein Gefühl von Gemeinschaft und Ausgelassenheit löst für einen kurzen Moment die erschreckenden Ereignisse des Alltags ab. Bei ihren Auftritten bekommt die „Banda“ auch immer etwas zurück. „Mein eindrücklichstes Erlebnis war, als wir in der Erstaufnahmeeinrichtung in Freital vor der Antilopen-Gang im Sommer spielten. Dort hatte sich über Tage hinweg ein aggressiver Mob aus Anwohnern und neonazistischen Gruppen vor dem Heim, dem Hotel Leonardo, formiert. Wir hatten Taschen voller Konfetti dabei und konnten den Flüchtlingen ein herzliches Welcome to Germany entgegenrufen und ihnen mit unserer Musik zeigen, dass wir froh sind, dass sie hier sind“, sagt Michal Tomaszewski, Klarinettist der „Banda“. Über den Augenblick hinaus sind Bekanntschaften entstanden, es gibt weiterhin Kontakt mit den Menschen aus Freital, dem Camp auf der Bremer Straße in Dresden und vielen weiteren Erstaufnahmeeinrichtungen.
„Es ist wichtig, den Aufmärschen entgegen zu treten, aber Engagement darf nicht nur aus Gegenaktionen bestehen“, so Tomaszewski. Aus diesen Erfahrungen heraus haben sich die elf Musiker im Frühsommer entschlossen, einen Schritt weiter zu gehen. In einem Zeitraum von ungefähr einem halben Jahr wollen „Banda Comunale“ wachsen, und zwar ungefähr auf die doppelte Größe. Gemeinsam mit zehn bis fünfzehn Musikern, die sie unter den geflüchteten Menschen in Dresden gefunden haben, gründeten sie eine neue Formation: die „Banda Internationale“.
Sie proben zusammen, lernen sich kennen, ergründen die Musik der jeweiligen Herkunftsländer ihrer neuen Bandkollegen, arrangieren neue Stücke, die viele Geschichten erzählen, aber ein Thema haben: Heimat. Ein Thema, dem in Deutschland – insbesondere in musikalischer Hinsicht – eher ein verstaubter Beigeschmack anhaftet, wird modernisiert und für Zusammenhalt sowie gegen rassistische Ideologien verwendet.
Kritik üben „Banda Comunale“ und die „Aktion Neujahrsputz“ weiterhin an der Dresdner Stadtregierung. Diese erkenne immer noch nicht, was für negative Konsequenzen „Pegida“ für die Stadt hat: „Professor_innen nehmen keine Stellen mehr an, ausländische Student_innen gehen in andere Städte und Migrant_innen leiden unter immer massiverem Alltagsrassismus. Pegida gegen No Pegida. Ein Riss geht durch unsere Stadtgesellschaft.“ Neben einer öffentlichen Ächtung des Rassismus würden sie sich auch juristische Konsequenzen wünschen. Das Strafverfahren gegen „Pegida“-Frontmann Lutz Bachmann wegen Volksverhetzung läuft seit über einem Jahr. In Freital standen eine Woche lang jeden Abend Nazis vor der Flüchtlingsunterkunft und konnten unbehelligt „Sieg Heil“ rufen und den Hitlergruß zeigen. Hierauf zu reagieren, könne nicht die Aufgabe von Bürger_innen sein, sondern die des Rechtsstaats. So wird die Öffnung Dresdens zu einer polykulturellen Gesellschaft der Zukunft verhindert.
Positiv sehen die Kulturschaffenden und die „Banda Comunale“-Musiker dagegen, wie die Kultureinrichtungen der Stadt agieren und beim Gegenprotest und der Integration von Flüchtlingen wichtige Aufgaben übernehmen. Die „Pegida“-Aufmärsche laufen an der Semperoper, Hof- und Frauenkirche und anderen Kultureinrichtungen wie den großen Museen in der Dresdner Innenstadt vorbei, die sich zum Glück alle eindeutig positionieren. Sie vernetzen sich miteinander und bieten Programme für Flüchtlinge und Helfer an. Es gibt unter anderem „ABC-Tische“ im Albertinum, ein Montags-Café vom Staatsschauspiel, interreligiöse Andachten und Konzerte in der Kreuzkirche. Solange die Politik allerdings zögere, sehen die Musiker und Kulturschaffenden die Wirkkraft dieser Initiativen und Aktionen jedoch als sehr begrenzt an.
Denn montags, und nicht nur dann, zeigt „Pegida“ weiterhin sein rassistisches Gesicht. Doch das Stadtbild hat sich in den letzten zwölf Monaten gewandelt. Immer mehr neue Gesichter sind zu sehen und die Stadt – so ihre gemeinsame Hoffnung – freundet sich allmählich mit den neuen Nachbarn und Kollegen an: für mehr Vielfalt und eine positive Zukunft ohne Ausgrenzung.
Info: Der Sächsische Förderpreis für Demokratie 2015
64 Bewerbungen für den Sächsischen Förderpreis für Demokratie – Preisverleihung am 9.11. in Dresden mit Laudatio von Anja Reschke
In diesem Jahr wird der Sächsische Förderpreis für Demokratie zum neunten Mal verliehen. Der Preis würdigt herausragendes Engagement von Initiativen und Kommunen gegen Rechtsextremismus und für Menschenrechte und eine demokratische Kultur in Sachsen. 64 Initiativen, Projekte, Kommunen und Landkreise bewarben sich für die Auszeichnung. Ende September tagte die Jury, um aus der Fülle spannender Einreichungen diejenigen auszuwählen, die am 9. November in Dresden ausgezeichnet werden.
Die Nominierten des Sächsischen Förderpreises 2015 sind:
Banda Comunale: Mit der Initiative Neujahrsputz und der Angsthasen Prozession setzten sie Pegida eine Protestform entgegen, die mit Satire und positiven Bildern viele Dresdner ermutigte, sich mit zu positionieren.Bündnis „Willkommen in Roßwein“: Die Bürgerinitiative organisierte sich, um mit Politik, Verwaltung, Kirchen und Vereinen Asylsuchenden die ersten Schritte im Ort zu erleichtern und der lokalen Pegida-Bewegung die Stirn zu bieten.Initiativkreis Antirassismus: Das Projekt „Die verschwiegenen Toten“ informiert über statistisch nicht erfasste Opfer rechter Gewalt in Leipzig und kämpft um ihre Anerkennung und ein an-gemessenes Gedenken.Legida? Läuft nicht. Leipziger Studierende gegen Rassismus: Die hochschulübergreifende Initiative ist eine der treibenden Kräfte der No-Legida-Bewegung und aktiv bei der Unterbringung von Asylsuchenden in Gebäuden der Hochschulen.Schüler für Flüchtlinge: Die Schüler des Goethe-Gymnasiums Bischofswerda setzen sich für Aufklärung und praktische Hilfe im benachbarten Asylbewerberheims ein und wurden zum Zentrum der ehrenamtlichen Unterstützungsstrukturen der Stadt.Bürgerinitiative „Gesicht zeigen“ – Netzwerk für demokratisches Handeln: Engagierte Eltern starteten trotz ständiger Bedrohung ein vielfältiges Programm zur Entwicklung einer demokratischen Soziokultur im ländlichen Raum um Penig und LunzenauJürgen Opitz, Bürgermeister der Stadt Heidenau: Der Bürgermeister positionierte sich klar gegen rassistische Ausschreitungen und gewalttätige Flüchtlingsgegner und schaffte es so, auch andere Bürger für Willkommensaktivitäten zu mobilisieren
Die Verleihung des Preises findet am 9. November im Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe in Dresden statt. Dort wird auch das Projekt bekannt gegeben, das mit dem Hauptpreis von 5.000 Euro ausgezeichnet wird. Die Laudatio hält die Journalistin und Panorama-Moderatorin Anja Reschke, die jüngst in einem Tagesschau-Kommentar klar Stellung gegen rechte Hetze in den Sozialen Medien bezog.
Der Preis wird ausgelobt von der Amadeu Antonio Stiftung, der Freudenberg Stiftung, der Sebastian Cobler Stiftung und der Stiftung Elemente der Begeisterung.
Mehr auf www.demokratiepreis-sachsen.de
Ergänzung 10.11.2015: