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„Nordadler“ und Chris Ares Wie Rechtsextreme mit Siedlungsprojekten Schrecken verbreiten

Rechtsextreme Nachbarn verheißen nichts als Ärger, denn sie bringen ihre Ideologie und in deren Schlepptau oft Bedrohung und Gewalt mit. Die Gruppe „Nordadler“ muss ihre Siedlungsträume in Thüringen begraben – sie wurde vom Bundesinnenminister verboten. Der den „Identitären“ nahe stehende Rapper Chris Ares kündigt derweil ein unbescheiden „Chris-Ares-Dorf“ genanntes Siedlungsprojekt in Sachsen an – wobei er im Ankündigen besser ist als im Ausführen.

 
Neo-nationalsozialistische Ideologie, verschwurbelt: So präsentierten sich "Nordadler" im Internet auch als "Völkische Renaissance" (Quelle: Screenshot)

Endlich mal ungestört die rechtsextreme Ideologie ausleben, ohne mit kritischen demokratischen Nachbar*innen in Konflikt zu geraten, Kinder im Geistes des Nationalsozialismus großziehen oder sich gemeinsam auf den Zusammenbruch Deutschlands und das Ende der Demokratie vorbereiten – rechtsextreme Gruppierungen aller Art lieben Siedlungsprojekte als Rückkzugsräume, zur vermeintlichen Elite-Schulung und um völkisch-autoritäre Ideologie zu leben, in der der Einzelne nichts ist und die Gemeinschaft alles.

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Neu verboten: „Nordadler“

Ein geplantes Siedlungsprojekt hat Bundesinnenminister Horst Seehofer am 23.06.2020 mutmaßlich erschwert: Er verbot die 2017 gegründete Gruppe „Nordadler“, die unter anderem ein Siedlungsprojekt im thüringischen Mackenrode im Auge hatte und dazu sogar bereits ein Gebäude erwarb, was seit dem Kauf für Veranstaltungen genutzt worden war (vgl. mdr). Die Gruppe, der rund 30 Menschen angehören sollen, bezeichnet sich selbst als nationalsozialistisch, verbreitet Rechtsextremismus ältester Schule inklusive völkischer Ideologie, „Rassenkunde“, Holocaustleugnung und zugleich – imaginiertem – eliminatorischen Antisemitismus. Entsprechend ist ein Kopf der Gruppe, ganz unironisch, ein 24-jähriger mit schütterer Hitler-Scheitelfrisur (vgl. Interview NDR von 2018). In ihrer „Siedlung“ wollten die „Nordadler“-Anhänger*innen entsprechend auch nicht nur wohnen, sondern sich mit paramilitärischen „Wehrsportübungen“ und mit „Schulungszentren für politische Soldaten“ nach dem Vorbild des NS-„Reichsarbeitsdienstes“ auf eine anvisierte Machtübernahme vorbereiten. Sie wollten eine „NS-Elite“ bilden, laut eigenen Schriften ein „arteigenes Leben“ führen, Familie und Freunde „von Fremdlingen“ rein halten. Ein einzelner „Kamerad“ sei lediglich „ein Splitter der Rassenseele Deines Volkes“.

Mehr zur Ideologie von „Nordadler“:

Die „Nordadler“-Nazis – sie nannten sich bisweilen auch „Völkische Revolution“, „Völkische Jugend“, „Völkische Gemeinschaft“ und „Völkische Renaissance“ – wünschten sich zwar den klassischen Nationalsozialismus zurück, vernetzten sich dazu aber modern: Die „Nationalsozialist*innen“ kommunizierten über Discord, Instagram und Telegram, und taten dabei, was Rechtsextreme tun: Rassismus, Antisemitismus, Demokratie- und Islamfeindlichkeit verbreiten, über Anschlagsziele und geeignete Waffen diskutieren, Listen von Menschen anlegen, die sie gern gleich erschießen wollen, oder von solchen, die sie erst nach einer imaginierten „Machtergreifung“ hinrichten wollten. Bei solchen Online-Kommunikationen ist bisweilen schwierig, zu entscheiden – was ist nur so dahingesagt, und wann droht echte Gefahr?

„Nordadler“ gab den Sicherheitsbehörden Anhaltspunkte zur Besorgnis – etwa, dass Wladislav S., der junge Mann mit der Scheitelfrisur und einer der Anführer der Truppe, bereits einem Neonazi-Kumpel, Sascha L., der später zum IS gewechselt war, bei Anschlagsplänen geholfen hatte und dafür verurteilt worden war. Außerdem sammelte die Gruppe offensiv Geld, offiziell für das Siedlungsprojekt in Thüringen. Online wurden gezielt junge Menschen angesprochen – so gaben Mitglieder der „Nordadler“-Gruppe an, noch minderjährig zu seiner, einer outete sich selbst als Sohn einer Linken-Politikerin. Es gab auch Mitglieder aus Österreich und der Schweiz (vgl. ZDF).

Ohne Zweifel war ein Wunsch der Gruppe, die Demokratie zu „überwinden“ und den Nationalsozialismus wiedereinzuführen. Bereits 2018 gab es polizeiliche Razzien bei Beteiligten der Gruppe – Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung, Verdacht auf Gründung einer rechtsterroristischen Vereinigung – allerdings ohne dass diese zu Konsequenzen führten für die vier Männer, die betroffen waren: Patrick Sch. aus Appen (Schleswig-Holstein), Marco A. aus Dörpen (Niedersachsen), Brian W. aus dem Bremer Stadtteil Blumenthal und eben Wladislav S. aus Katlenburg-Lindau (Niedersachsen).

Nun wurde „Nordadler“ am 23.06.2020 von Bundesinnenminister Horst Seehofer verboten. Dies war der Tag, an dem der Verfassungsschutzbericht 2019 vorgestellt werden sollte – bis die Presseveranstaltung kurzfristig abgesagt wurde, obwohl vielleicht einige Pressevertreter*innen auch gern gewusst hätten, warum Seehofer der taz-Kolumnistin Hengameh Yaghoobifarah eine Strafanzeige angedroht hatte – eine Ankündigung, die er übrigens inzwischen wieder zurückgezogen hat.

Stattdessen wurde also staatliche Stärke demonstriert durch das „Nordadler“-Verbot, zwei Jahre nach Aufdeckung der Gruppe. Es fanden zugleich Razzien bei sieben „Führungspersonen“ in Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Brandenburg und Niedersachsen statt – und verblüffenderweise keine Razzia in Thüringen, wo in den letzten Jahren mehrere „Nordadler“-Mitglieder rund um Mackenrode ein neues Heim gefunden haben sollen. Die Waffen, über die die Gruppenmitglieder online so viel debattiert hatten, fanden sich nicht. Dass muss nicht heißen, dass es keine Waffen gibt oder gab. Aber sie wurden nicht gefunden.  Stattdessen wurden Stahlhelme der früheren Wehrmacht und NS-Schriften beschlagnahmt. Am Ende des Tages gab es nicht einmal Verhaftungen.

Noch mehr Siedlungsträume – für Kämpferbarden

So wird erst die Zukunft die Gefährlichkeit der „Nordadler“ be- oder widerlegen. Ähnlich unklar verhält es sich mit einem weiteren rechtsextremen Siedlungsprojekt des der „Identitären Bewegung“ nahestehenden HipHoppers Christoph Aljoscha Zloch alias „Chris Ares“. Der ist bekannt für vollmundige Ankündigungen, die aber sehr lange für ihre Realisierung brauchen – so hat er etwa jahrelang ein Debütalbum angekündigt – fast schon ein Anachronismus in der Zeit von Musiksharingplattformen – dass bisher immer noch nicht erschienen ist, stattdessen veröffentlichte der Musiker im März ein „Best-of” mit ganzen sechs Titeln. Auch Ares träumt schon seit längerem, belegt seit Dezember, von einem „Chris-Ares-Dorf“ (sic), in dem mit Musikworkshops und Kampfsporttraining die neurechen Kämpferbarden von morgen ausgebildet werden sollen. Auf Twitter kündigte er nun an, sein „Haus der Patrioten“, ein rechtsextremes Jugendzentrum, werde im sächsischen Bischofswerda entstehen, dazu eine Siedlung mit vier Häusern für „Gleichgesinnte“. Start sei im September. Auf Telegram sprach er von 25 Rechtsextremen, die vor dem Einzug stünden.

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Davon weiß das zuständige Landratsamt Bautzen allerdings nichts: Es lägen weder Bauanträge noch Nutzungsänderungsanträge vor, die man für das Betreiben eines Jugendzentrums bräuchte (vgl. mdr).

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Mehr zum Thema:

Bei der Bundeszentrale für politische Bildung gibt es einen neuen Podcast zum Thema „Rechtsextreme Rückzugsräume“:

https://www.bpb.de/veranstaltungen/dokumentation/311216/podcast-rechtsextreme-rueckzugsraeume-die-reihe

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