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NS-Vergangenheit Brücken in die Gegenwart: Zweitzeug*innen gegen das Vergessen

Immer weniger jüdische Zeitzeug*innen können von ihren Erfahrungen während der Shoah berichten. Gleichzeitig wächst die Distanz, die gerade Kinder und Jugendliche zu der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands empfinden. Um die Erzählungen der Überlebenden weiterzutragen, bildet der Verein ZWEITZEUGEN e.V. Kinder & Jugendliche zu zweiten Zeug*innen aus.

 
Zeitzeugin Shoshana Maze. Copyright: ZWEITZEUGEN e.V.

75 Jahre ist der nationalsozialistische Völkermord an Jüdinnen und Juden her. Obwohl die Folgen der Shoah bis heute zu spüren sind, drohen die Verbrechen der NS-Zeit in Vergessenheit zu geraten. Gerade Kindern und Jugendlichen ist die Bedeutung von Geschichte für ihr eigenes Leben oft nicht bewusst.

Der Verein ZWEITZEUGEN e.V. will das ändern. „Viele junge Menschen fragen sich ‚Na und, was hat das mit mir zu tun?‘“, sagt Ruth-Anne Damm, Vorsitzende von ZWEITZEUGEN e.V. „Darauf liefern wir eine Antwort.“ Wie die aussieht?

Emotionalen Zugang zu den Ereignissen schaffen

In Zusammenarbeit mit 32 Shoah-Überlebenden erarbeitet der Verein Materialien, die sich mit ihrem Leben auseinandersetzen. Die Zeitzeug*innen erzählen von ihrer Zeit während der Shoah, in der sie in Konzentrationslagern Leid und Tod erlebten, im Widerstand gegen die Nazis kämpften oder fliehen konnten. Gleichzeitig berichten sie auch von ihrer teils unbeschwerten Kindheit vor der Shoah und den sehr unterschiedlichen Lebenswegen danach. Die Engagierten des Vereins gehen dann als zweite Zeug*innen, sogenannte Zweitzeug*innen, an Schulen und vermitteln die Lebensgeschichten der Jüdinnen und Juden. Sie schaffen einen emotionalen, biografischen Zugang zu den Ereignissen der Geschichte – sodass sie für die Schüler*innen begreifbar werden.

„Die Schüler*innen schlagen immer ganz von selbst den Bogen in die Gegenwart“, erklärt Ruth-Anne Damm. Die Überlebensgeschichten zeigen den Kindern und Jugendlichen auf, wie die Mechanismen von Ausgrenzung wirken und zu Gewalt und Verfolgung führen können. Der Verein ermutigt die jungen Menschen, selbst aktiv gegen Antisemitismus und Rassismus zu werden. „Jede*r Schüler*in nimmt etwas Persönliches mit. Das Engagement kann dann ganz unterschiedlich ausfallen.“ Eine Klasse hat im Musikunterricht ein Stück für die Shoah-Überlebenden komponiert. Manche organisieren Lesungen oder Vorträge in ihrer Schule. Und sie alle tragen als Zweitzeug*innen die Geschichten weiter in ihr Umfeld.

Neue Möglichkeiten Kinder und Jugendliche zu erreichen

Die Förderung durch die Amadeu Antonio Stiftung im Rahmen der Kampagne „Melting Pott“ nutzt der Verein, um mehr Schulen im Ruhrgebiet zu erreichen. In der Region gibt es viele soziale Herausforderungen, „sie ist von Arbeitslosigkeit und ökonomischer Ungleichheit geprägt“, so Damm. Mangelnde Perspektiven könnten schneller dazu führen, dass Jugendliche sich demokratiefeindlichen Bewegungen zuwenden. Mit regelmäßigen Workshops will ZWEITZEUGEN e.V. auf die Gefahr dieser Bewegungen aufmerksam machen.

Zusätzlich möchte der Verein eine ganz neue Möglichkeit etablieren um Kinder und Jugendliche zu erreichen. Gemeinsam mit den Lernzentren der Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund und Borussia Mönchengladbach werden ab August „Zweitzeug*innen“-Workshops am Lernort Stadion angeboten. „Oft gibt es große Unterschiede im Umgang der Schulen mit der deutschen Vergangenheit. Durch die außerschulische Möglichkeit kann ein breiteres Bildungsangebot geschaffen werden.“, so Damm.

Insgesamt hat ZWEITZEUGEN e.V. bisher mehr als 9.000 Kinder und Jugendliche erreicht. Ein Video zeigt, wie die Shoah-Überlebenden zahlreiche Briefe der Schüler*innen öffnen. „Ich bin so berührt davon. Die Kinder verstehen, sie können meinen Schmerz fühlen, sie können fühlen was ich mitgemacht habe,“ erklärt die Zeitzeugin Chava Wolf, die in den Lagern von Transnistrien, damals Teil von Rumänien, Dinge erlebte, über die sie 60 Jahre lang nicht sprach. In ihren Briefen sind sich die Schüler*innen vor allem in einem Punkt einig: So etwas, darf nie wieder passieren.

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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