Am 17. April wird es soweit sein: Beate Zschäpe, die einzige Überlebende des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU), und ihre vier Mitangeklagten müssen sich vor dem Oberlandesgericht (OLG) München verantworten. Der Prozess wird ein Mammutverfahren werden, auf den sich die Augen der Öffentlichkeit richten wie auf kaum ein anderes Verfahren zuvor. Und der Prozess dürfte ferner eine wichtige Rolle bei der Aufarbeitung des NSU-Komplexes spielen. Das OLG hat also eine durchaus bedeutende Aufgabe mit enormer Verantwortung.
Aber kann das Münchner Gericht dieser Verantwortung überhaupt gerecht werden? Das Verhalten der Justiz erschien zuletzt immer wieder fraglich, die Kritik ist folglich groß. Bereits Anfang Februar hatte der Fachjournalist Robert Andreasch festgestellt, dass die Justiz das NSU-Verfahren anscheinend herunterzuspielen versucht. Bei einer Tagung der „Nordbayerischen Bündnisse gegen rechts“ unter dem Motto „Fünf NSU-Morde in Bayern – und alles bleibt wie es ist?“ übte er scharfe Kritik. Andreasch gewann den Eindruck, als wolle die Justiz das Verfahren – trotz seiner Dimensionen – „wie einen ganz normalen Prozess“ darstellen.
Das Bayerische Justizministerium informiert …
Im Rechtsausschuss des Bayerischen Landtags hatte in der vergangenen Woche nun ein Referent des Bayerischen Justizministerium zum anstehenden NSU-Prozess und der Kritik am Verhalten der Justiz Stellung bezogen. Dr. Thomas Dickert mahnte zur Achtung der Unabhängigkeit der Richter und wies einen Teil der Vorwürfe zurück. Auf einen anderen Gerichtssaal auszuweichen, um damit eine größere Öffentlichkeit herzustellen, sei nicht möglich. „Es handelt sich bei dem Saal um den bestgesicherten Gerichtssaal in ganz Bayern – und diese Sicherheit ist nötig“, führte Dickert aus. Zudem stehe die notwendige Infrastruktur nur vor dem Oberlandesgericht München „optimal zur Verfügung“. So benötige man etwa Aufenthaltsräume für die Anwälte und Nebenkläger, Aufenthaltsräume für die Polizei, Lagermöglichkeiten für die zahlreichen im Verfahren benötigten Akten und Zellen für die Angeklagten.
Eine Verhandlung in Kongress- oder Konzerthallen sei ausgeschlossen. Einerseits lasse sich ein Umbau so schnell nicht bewerkstelligen, andererseits wäre dies ein möglicher Revisionsgrund. Und eine Revision wegen einer Verfahrensverlegung sei „sicher nicht im Interesse der Opfer“, glaubt Dickert. Derzeit seien 55 Plätze für Journalisten und weitere 55 Plätze für Zuschauer vorgesehen. Der Referent des Justizministeriums rief den Grundsatz der Öffentlichkeit in Erinnerung, demzufolge aber nicht „jeder zu jeder Zeit Zugang haben muss“. Die Justizverwaltung werde ohnehin alles „tun, was möglich ist, um den ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens zu gewährleisten“, versicherte Dickert und will sich zugleich der „großen Herausforderung“ bewusst sein. Unter anderem habe es bereits eine „große Sicherheitskonferenz“ gegeben und die Justizwachtmeister würden durch „besondere Schulungen“ vorbereitet.
Mittlerweile habe sich das Gericht in einer Diskussion mit den Nebenklagevertretern auf einen separaten Eingang für die Nebenkläger und deren Anwälte verständigt sowie auf eine Videoübertragung für die Nebenkläger, damit die Aussagen besser verfolgt werden können. Eine allgemeine Videoübertragung in einen Nebenraum sei juristisch aber nicht möglich. Eventuell erscheinende Neonazis könne man allerdings nicht von Verhandlungen ausschließen, solange diese „nicht stören“ oder die Absicht einer Störung erkennen lassen, informierte Dickert die Abgeordneten des Rechtsausschusses am Donnerstag, den 21. März. Dennoch sei man darauf vorbereitet. Im Rahmen der „Vorfeldabsicherung“ arbeiten Polizei und Justizbeamte eng zusammen, außerdem werden beim Verfahren „natürlich Sanitäter“ eingesetzt sein.
Während die im Ausschuss vertretenen Abgeordneten den Referenten des Bayerischen Justizministeriums befragen konnten, entwickelte sich eine zum Teil kontroverse Debatte. So vertraten gerade Vertreter der CSU die Meinung, Kritik an der Justiz sei nicht gestattet. „Die Kritik der Öffentlichkeit ist vollkommen unangemessen“, sagte etwa Winfried Bausback (CSU). Und auch der CSU-Politiker Franz Rieger forderte, sich mit „Kritik“ an der Justiz „zurückzuhalten“. Der SPD-Politiker Franz Schindler, der dem Rechtsausschuss und auch dem NSU-Untersuchungsausschuss im Bayerischen Landtag vorsitzt, sagte hingegen an die Vertreter der CSU gewandt: „Das ist ein wichtiges Thema. Die Kritik der Öffentlichkeit ist zulässig!“
Das Fazit der Abgeordneten nach den Auskünften von Thomas Dickert geht dementsprechend auseinander. Der FDP-Abgeordnete Dr. Andreas Fischer bezeichnete das „dargestellte Verfahren“ als „sinnvoll und richtig“ und sprach sie für eine Vermeidung von „Show-Prozessen“ aus. Für Susanne Tausenfreund (Grüne) ist die „Situation“ jedoch „höchst unbefriedigend“. Sie mahnt, der Prozess müsse vor allen den Opfern und deren Hinterbliebenen gerecht werden. Doch obwohl die Situation „unbefriedigend“ sei, habe sie auch keine bessere Lösung. Parteiübergreifend betonten die Parlamentarier jedoch die Unabhängigkeit des Vorsitzenden Richters, auf dessen Entscheidungen keinerlei Einfluss genommen werden dürfe.
Viele offene Fragen…
Trotz der Auskünfte des Justizministeriums bleibt aber vieles unklar, hinter etlichen Punkten steht nach wie vor ein großes Fragezeichen. Allen voran steht weiterhin die fehlende Sensibilität im Fokus der öffentlichen Kritik. Und tatsächlich hat sich das Oberlandesgericht München in vielen Angelegenheiten bislang höchst unsensibel verhalten und/oder geäußert.
Beispielsweise beantwortete Gerichtspräsident Karl Huber in der „Süddeutschen Zeitung“ die Frage, wie er ausländischen Journalisten den verwehrten Zugang erklären wolle, mit dem Argument, dass es sich eben um ein „deutsches Verfahren“ handeln würde. Oder das Gericht verweigerte an anderer Stelle zunächst dem Türkischen Botschafter und dem Menschenrechtsbeauftragten des Türkischen Parlaments einen festen Beobachterplatz, was erst nach heftiger medialer Kritik rückgängig gemacht worden ist. Und obwohl jetzt ein fester Platz installiert wurde, ändert dies an der Gesamtsituation wenig. Denn jetzt, nachdem die Akkreditierungen vergeben worden sind, steht fest: Vertreter türkischer Medien dürfen nicht teilnehmen – und das wirf gleich noch mehr Fragen auf. Wieso dürfen denn türkische Medien an der Verhandlung nicht teilnehmen, obwohl zweifelsohne eine begründetes Interesse besteht? Und überhaupt: Wieso werden so viele ausländische Medien abgewiesen und warum werden die Verzichte von einigen Medien zugunsten türkischer Reporterinnen und Reporter nicht akzeptiert? Nachdem die Justiz bereits in der Vergangenheit immer wieder Kopfschütteln ob ihrer fehlenden Sensibilität hervorrief, geschieht genau das gleiche jetzt wieder – doch das Gericht erkennt noch nicht mal einen Fehler. Deshalb stellen sich nun etliche Fragen, mit denen sich das Gericht konfrontieren lassen muss: Wie will ein Gericht, das sich bereits jetzt so äußert, auch nur annähernd sensibel mit dem Verfahren umgehen? Ist sich das Gericht – angesichts solcher Äußerungen – überhaupt der Verantwortung bewusst, die auf diesem Verfahren lastet? Und droht das Verfahren zu einem Eklat oder sogar einem neuen Skandal in einer langen Reihe von unlängst bestehenden Skandalen im NSU-Komplex zu werden?
Aber auch die Anklage hinterlässt derzeit viele fragende Gesichter. Warum sitzen nur vier Mitangeklagte auf der Anklagebank, warum sind zwei davon nur in Untersuchungshaft, was ist mit einer Vielzahl von weiteren Unterstützern? Was ist mit den Verbindungen, die der NSU sicherlich nach Bayern gehabt haben muss? Was ist mit den Huldigungen an den NSU in der Zeitschrift der „Weiße Wolf“? Es sind diese und ähnliche Fragen, die nach bisheriger Kenntnis überhaupt keine Rolle spielen könnten. Und es sind diese und ähnliche Fragen, die für eine Aufklärung trotzdem elementar wären.
Die Erwartungen an die Justiz – und letztlich auch an den demokratischen Rechtsstaat – sind also enorm groß. Ob das OLG in München diese Erwartungen erfüllen können wird, ist fraglich. Zeigen wird es sich spätestens ab dem 17. April …