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„NSU2.0“, „Wehrmacht“ und „Staatsstreichorchester“ Weitere rechtsextreme Drohmails – trotz Festnahme

Die Serie rechtsextremer und antisemitischer Drohschreiben hält an, obwohl Ermittler*innen einen Tatverdächtigen festnehmen konnten. Auch die Amadeu Antonio Stiftung und Belltower.News erhielten antisemitische und menschenverachtende Drohungen.

 
Serie rechtsextremer Droh-Mails geht weiter

Seit Mitte 2018 gingen bei Politiker*innen, Journalist*innen, Initiativen, Aktivist*innen, und Promis rechtsextreme Drohschreiben ein. Die anonym verschickten Mails sind mit „NSU 2.0“, „Nationalsozialistische Offensive“, „Staatsstreichorchester“, „Elysium“ „Rote Armee Fraktion“ und „Wehrmacht“ unterzeichnet. Unter den Mails waren auch Bombendrohungen gegen Finanzämter und Gerichtsgebäude. Sprengsätze wurden allerdings nicht gefunden. Seit Donnerstag, den 4. April, gibt es zumindest einen Tatverdächtigen, André M. (31). Ermittler*innen haben seine Wohnung in Schleswig-Holstein durchsucht und Beweismittel sichergestellt. Die Serie der Droh-Mails geht unterdessen weiter.    

„Apfelfest-Bomber“: Der Tatverdächtige ist kein Unbekannter

Der festgenommene André M. ist für die Ermittler*innen kein Unbekannter: 2007 wurde er als „Apfelfest-Bomber“ bekannt. Die Staatsanwaltschaft warf ihm vor, mit seinem Komplizen Kevin W. einen Bombenanschlag auf das Rellinger Apfelfest geplant zu haben. Ein dazu im Internet veröffentlichtes Bekennerschreiben wurde mit dem Pseudonym „Felix Steiner“ unterschrieben – Felix Steiner war Obergruppenführer und General der Waffen SS. Da das Gericht an der Ernsthaftigkeit des angekündigten Sprengstoffanschlags zweifelte, wurde M. freigesprochen. Dennoch verbrachte er wegen unterschiedlicher Delikte einige Zeit in Haft und in der Psychiatrie. Während der Prozesse wurde nicht auf die rechtsextreme Gesinnung des Täters eingegangen.

„Wir werden nicht nur dafür sorgen, dass sich kein jüdischer Untermensch mehr in Deutschland und weltweit sicher fühlt, sondern Prämien für jeden toten Juden ausloben […] Sieg Heil und Heil Hitler! Mit freundlichen Grüßen Die Musiker des Staatsstreichorchesters.“ (Mail vom 23. Januar 2019)

Auf Facebook posiert M. in einem Pulli der „Weiße Wölfe“. Er liked zahlreiche martialische Videos und Bilder mit Schusswaffen. Außerdem gefällt ihm ein Bild, das „Freiheit für Horst Mahler“ fordert.

Auch die Amadeu Antonio Stiftung und Belltower.News haben diese Schreiben erhalten

Obwohl mit M. nun ein mutmaßlicher Absender geschnappt wurde, werden weiterhin Drohschreiben verschickt. Auch an die Amadeu Antonio Stiftung und Belltower.News. Obwohl die Mails explizite Gewaltandrohungen und drastischen Rassismus und Antisemitismus enthalten, stachen sie in ihrem konkreten Drohpotenzial nicht übermäßig heraus, da die Stiftung und auch Belltower.News derartige Mails in erschreckender Regelmäßigkeit erhalten, auch von anderen Absendern.

Am 9. November 2018, genau 80 Jahre nachdem in Deutschland Synagogen brannten und Jüdinnen und Juden erschlagen wurden, verschickte der Absender „Wehrmacht“ eine Mail mit dem Titel „Advent, Advent, ein Jude brennt“. Nach einem antisemitischen und extrem gewaltverherrlichenden Reim, verlangen die Verfasser*innen zehn Millionen Euro.  

Größenwahnsinnig behaupten die Verfasser*innen, alle Länder „dieser Welt in den Abgrund […] reißen“ zu können, indem sie „das Morden und Vergewaltigen zu einem sehr lukrativen Hobby […] machen.“ Sie drohen damit, ein internationales Netzwerk von Rechtsterroristen und Pädophilen zu errichten. In einer Mail von Anfang Januar geben die Verfasser*innen an, die von sich im Plural schreiben, sie würden eine Dienstleistungsplattform zur Förderung von Rechtsterroristen und Pädophilen betreiben. Sie drohen damit Kinder zu vergewaltigen und töten zu lassen, sollten die Erpressten nicht die gewünschte Summe zahlen. Die rechtsextremen Erpresser*innen verlangen zunächst zehn, dann hundert Millionen Euro in Monero, einer Kryptowährung. So sei der Aufbau einer Terrororganisation zu verhindern.

Die Absender schwärmen für Rechtsterroristen

Die Spur der Absender*innnen führt dabei ins sogenannte „Dark Web“, speziell in das Forum „Deutschland im Deep Web“ (DiDW). Laut „Zeit“ tauschten sich auf DiDW Rechtsextreme über ihre Umsturzpläne aus. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde DiDW im Zuge der Ermittlungen um den Rechtsterroristen David Sonboly bekannt. Am 22. Juli 2016 tötete der rechtsextreme 18-Jährige am Münchner Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) neun Menschen. Sonboly zielte vor allem auf junge Menschen mit Migrationshintergrund. Anschließend tötete er sich selbst. Die Waffe, eine Glock 17 (als Referenz auf sein Idol, den norwegischen Rechtsterroristen Anders Breivik), und 500 Schuss Munition bestellte Sonboly über DiDW. Sowohl der Waffenhändler als auch der Administrator von DiDW sitzen derzeit in Haft. Und auch in den rechtsextremen Drohschreiben vom letzten Jahr wird sich immer wieder positiv auf David Sonboly bezogen.

„Wir zielen auf Klientel à la David Sonboly, Brenton Tarrant und möchten solchen und Helden, die es werden möchten, eine Plattform anbieten.“, „Auf der Seite ‘Deutschland im Deep Web‘ kaufte sich David Sonboly eine Glock, mit der er seine Heldentat vollbrachte“,

Nachdem das Bundeskriminalamt DiDW zwei Mal abgeschaltet hat, ging im Herbst eine dritte Version online, berichtet „Zeit“. Die Mails von „Wehrmacht“, „NSU 2.0“, „Elysium“ und der übergeordneten Selbstbezeichnung „Die Musiker des Staatsstreichorchesters“ wurden zumindest zum Teil im Forum „Deutschland im Deep Web 3“ veröffentlicht. Mittlerweile wurde jedoch auch DiDW 3 von den Betreibern abgeschaltet.

Der Journalist Roland Sieber meint, sprachlich und inhaltlich könnten die Behörden mit M. den richtigen Täter haben. Eingegangene Drohungen seit der Festnahme von M. sind mit „Staatsstreichorchester“ unterschrieben. „Die neuen Mails des ‘Staatsstreichorchester‘ sind meiner Meinung nach von einem anderen Autor.“ Schreibstil und Inhalt würden darauf hindeuten. Zwar haben die Versender*innen der neuen Mails einige ältere Mails mit angehängt, die mutmaßlich noch von André M. versendet wurden, allerdings können die neuen Täter*innen diese auch aus Foren kopiert haben. Daher müssen die jetzigen Absender*innen nicht zwangsläufig in persönlichem Kontakt zu M. gestanden haben.

„Wir werden alles daran setzen, dass es bald wieder Pogrome in diesem Land gibt und dass sich kein Jude, Moslem, Neger oder auch linke Journalisten und Politiker sicher fühlen […] Sieg Heil und Heil Hitler! Mit freundlichen Grüßen Die Musiker des Staatsstreichorchesters“. (Mail vom 7. April 2019)

Die Gefahr des rechten Terrors ernst nehmen

Die Drohschreiben, die mutmaßlich M. verschickte und nun seine Nachahmer*innen, klingen teils größenwahnsinnig, teils trollig. Denken die Verfasser*innen tatsächlich, dass Initiativen wie „NSU Watch“ oder die Amadeu Antonio Stiftung in der Lage wären, zehn Millionen oder gar hundert Millionen Euro zu zahlen? Wir wissen es nicht.

Was wir aber wissen ist, dass der ideologische Gehalt solcher Drohbriefe nicht verharmlost werden darf, weshalb die Stiftung auch diese Drohmails zur Anzeige gebracht hat. Taten von einem, der auch ansonsten kein Geheimnis aus seiner rechten Ideologie macht, müssen auch in diesen Kontext eingeordnet werden und dürfen nicht als Taten eines vermeintlich verrückten Einzeltäters entpolitisiert werden. Schon ein Blick in die Biografie des mutmaßlichen Täters M. zeigt, dass er Gewalt für ein legitimes Mittel hält. Drohungen, wie sie in den aktuellen Schrieben geäußert werden, gehören schon immer zum Repertoire der rechtsextremen Szene. Sie trifft alle die nicht in das nationalsozialistische Weltbild passen.

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