Die Namen der selbsternannten russischen „Sittenwächter*innen“ klingen krude: „Occupy Pedofiljaj“ („Occupy Pädophilie“) oder „Occupy Gerontiljaj“ („Occupy Gerontophilie“) nennen sich rechtsextreme Gruppierungen, die sich nominell den Schutz von Kindern und Jugendlichen auf die Fahnen geschrieben haben – aber in Wirklichkeit nur auf Hass und Gewalt aus sind. Und anders als bei deutschen Neonazis, die sich ja auch gern gegen Sexualstraftäter aussprechen, haben die Organisationen in Russland nicht etwa Menschen im Visier, die wirklich Kinder sexuell missbrauchen – sondern Homosexuelle. In den „Occupy Pedophilia“-Gruppen, von denen es über ganz Russland verteilt um die 30 Gruppen in verschiedenen Städten gibt, schlägt die Homophobie in massive Gewalt um, die Homophobie, die die russische Regierung von oberster Stelle propagiert, seit Putin im Sommer 2013 das Gesetz gegen „homosexuelle Propaganda“ erlassen hat, das jegliche positive Erwähnung „nicht-traditioneller“ Beziehungen verbietet.
„Occupy Pedofiljaj“
Dabei ist „Occupy Pedofiljaj“ die aktuell brutalste rechtsextreme Struktur, deren führender Kopf der Neonazi Maxim Sergeyevich Martsinkevich (aka Tesak, Slasher, Cleaver) ist. Der Neonazi sammelte seine ersten Erfahrungen mit Gewalt auf YouTube als Aktivist der ultranationalistischen Gruppe „Format 18“, die ihre Übergriffe auf Migrant*innen filmte und ins Internet stellte. Nun hat er sich eine neue Gewaltkampagne ausgedacht: „Occupy Pedofiljaj“ setzt Homosexualität mit Pädophilie gleich. Die Gruppenmitglieder inszenieren sich als „Retter*innen“ und „Verfechter*innen“ der Rechte „russischer Familien“. Was für westliche Ohren unsinnig klingt, ist in Russland eine so verbreitete Ansicht, dass selbst Wladimir Putin erst am 17. Januar 2014 bei der Besichtigung der Vorbereitungen zu den Olympischen Winterspielen in Sotschi zu einer russischen Nachrichtenagentur sagte, Schwule seien bei den Winterspielen willkommen, wenn sie nur von den Kindern fernblieben. Entsprechend ist es laut dem Gesetz gegen „homosexuelle Propaganda“ ja auch verboten, in der Öffentlichkeit positiv über Schwul-, Lesbisch- oder Transgender-Sein zu sprechen, besonders gegenüber Kindern. Putin selbst vermittelt also den Eindruck, Kinder seien durch den Kontakt zu Homosexuellen in Gefahr. Die rechtsextremen Aktivist*innen wissen um den Unterschied, er ist ihnen aber egal. In einer BBC-Dokumentation berichtet „Occupy Pedofiljaj“-Aktivistin namens Yekaterina: „Unsere Priorität ist der Kampf gegen Pädophile. Aber wir sind auch gegen Schwule. Wenn wir Leute angreifen, die eine nicht-traditionelle sexuelle Orientierung haben, können wir zwei Vögel mit einem Stein töten.“
Videos bei vk.com
Die Strategie der Gruppe „Occupy Pedofiljaj“, die sich vorgeblich für eine „gesunde russische Familie“ engagiert, ist brutal und menschenverachtend. Über gefälschte Social Media-Profile nehmen Mitglieder mit jungen LGBTs Kontakt auf und bitten sie um ein Treffen. In Russland ist das eine übliche Art, andere LGBTs zu treffen – sich öffentlich als homosexuell zu erkennen zu geben, ist ja verboten. Was die jungen Männer dann statt eines Dates erwartet, ist eine Gruppe gewaltbereiter, rechtsextremer Menschen, die auf Erniedrigung und Gewalt aus sind. Zu den „Techniken“, die Martsinkevich und seine „Kamerad*innen“ anwenden, gehören, die Opfer zum Urin-Trinken zu zwingen, sie tanzen zu lassen, sie mit Sexspielzeug zu dekorieren und anzumalen – und sie schlussendlich zusammenzuschlagen. Dies ist ausgesprochen gut dokumentiert, weil die Nazis die Aktionen auf Video aufnehmen und ins Internet stellen – um ihre Opfer ultimativ zu demütigen und selbst stolz ihre Brutalität zu präsentieren. Tatsächlich war das den Nazis fast ein Jahr lang in allen möglichen populären Netzwerken wie YouTube und Facebook möglich. Erst als Putin im Sommer 2013 das Gesetz gegen „Homosexuellen-Propaganda“ verabschiedete, wurden Beobachter*innen aus anderen Ländern auf die Videos aufmerksam und skandalisierten sie erstmals. Inzwischen sind die brutalen Videos, von denen der „Human Rights Watch“-Clip eine Ahnung gibt, vor allem auf dem russischen rechtsextremen Netzwerk vk.com zu sehen. Dort feiern sich „Occupy Pedofiljaj'“-Anhänger*innen in über 500 Gruppen. Für Neonazi Maxim Sergeyevich Martsinkevich ist „Occupy Pedofiljaj“ auch ein PR-Erfolg: „Früher haben mich die Leute nur als Skinhead gesehen, der Hitler verehrt. Jetzt bekämpfe ich Pädophile und alle finden mich gut“, sagt er in einem Video.
„Occupy Gerontiljaj“
Etwas anders ist die Strategie von „Occupy Gerontiljaj“ („Occupy Gerontophilie“): Hier richten die Mitglieder Fake-Profile ein, in denen sie sich als ältere Männer ausgeben, die jungen Homosexuellen Geld für Sex anbieten. Deshalb sieht sich „Occupy Gerontiljaj“ als Kämpfer*innen gegen die Prostitution von Minderjährigen. „Gerontophilie“ bezeichnet eine sexuelle Präferenz für ältere Partner*innen. Auch hier erwartet die jungen Männer, die auf das Angebot eingehen, ein Trupp gewaltbereiter Rechtsextremer mit Kameras, die ihre Opfer ebenfalls zu Erniedrigungen zwingen, vor allem aber dazu, ihrer Homosexualität „abzuschwören“. Besonders perfide bei „Occupy Gerontiljaj“: Die Aktivist*innen sind selbst noch minderjährig – und damit nicht strafmündig.
In einer BBC-Dokumentation zum Thema umschreibt ein Homosexueller die Situation mit den Worten: „Sie haben die Jagdsaison ausgerufen. Und wir werden gejagt“. Tasächlich blieb die russische Polizei lange untätig. Entsprechend berichtet BBC-Filmemacherin Liz Mackean, dass nur sehr wenige der Rechtsextremen, die sie interviewt hat, darum baten, unkenntlich gemacht zu werden: „Sie glauben, dass sie das Richtige machen.“ Es dauerte über ein Jahr, bis erstmals Aktivisten von „Occupy Pädophilie“ strafrechtlich belangt wurden – dafür, Menschen zu sexuellen Handlungen zu zwingen. Viele der Opfer zeigen die Straftaten allerdings nicht bei der Polizei an, weil sie weitere Repressionen befürchten. Zumindest im Fall von Maxim Sergeyevich Martsinkevich wurden die Strafverfolgungsbehörden dann doch tätig: Er wurde im Dezember 2013 in Abwesenheit angeklagt wegen gewalttätigen Hassverbrechen gegen die menschliche Würde. Der Neonazi hatte sich im November 2013 in die Ukraine abgesetzt, wo er erneut homophob gewalttätig wurde. Ende Dezember floh Martsinkevich nach Kuba floh. Im Januar 2014 wurde er allerdings ausgewiesen und bei seiner Rückkehr nach Russland verhaftet. Je nach Prozessausgang stehen ihm drei bis fünf Jahre Haft bevor.
Homophobie entgegentreten
Die Organisation „Human Rights Watch“ ruft dazu auf, während der olympischen Winterspiele in Sotschi sein Facebook-Profilbild zu ändern, um sich gegen Russlands homophobe Gesetze auszusprechen und russische Menschenrechts- und LGBT-Aktivist*innen zu unterstützen. Mehr Informationen gibt es auf ihrer Facebook-Seite oder ihrer Website.
Mehr im Internet:
| Video von „Human Righs Watch“ (Achtung: gewalttätiger Inhalt)
| BBC-Reportage über „Occupy Gerontiljaj“
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