„Demokratie ist ein Multi-Player-Game“, so der NRW – Innenminister Herbert Reul in einer Pressemittelung, in welcher vor allem die Vorstellung zweier Satire-Youtube-Kanäle zur Salafismus-Prävention im Vordergrund steht (vgl. Presseportal). Die 35 Millionen Gamer*innen werden gebraucht, um auch im Netz extremistischen Inhalten entgegen zu wirken, so der Chef des Nordrhein-Westfälischen Verfassungsschutzes. Tatsächlich macht Reul hier einen wichtigen Punkt. Videospiele sind längst nicht mehr aus dem gesellschaftlichen Alltag wegzudenken. Jugendliche verbringen durchschnittlich 103 Minuten am Tag in Videospielen. Entsprechend erfolgreich sind auch Spiele-Inhalte auf Youtube und dem Streamingdienst Twitch. Über 2 Milliarden Zuschauerminuten sammeln sich hier monatlich alleine von deutschen User*innen an. Twitchs Erfolgskurs ist wenig verwunderlich, denn die wenigsten Jugendlichen verfolgen beispielsweise das abendliche TV-Programm, sondern klicken viel lieber die Lieblingsstreamerin und den Lieblingsstreamer bei Twitch. Der enorme Einfluss von Videospielen auf Jugendliche und junge Erwachsene macht sich nicht nur an Zahlen fest. Auch Sprache, sozialer Umgang und politisches Bewusstsein wird innerhalb der Gaming-Communitys beeinflusst und von diesen stark geprägt.
Umso ärgerlicher, dass auf der weltweit größten Spielmesse die Verbreitung von Hate Speech, das Posten von strafbaren Inhalten in Gamechats oder auch der Versuch von rechtsextremen Gruppen, in Videospielen neue Mitglieder*innen zu mobilisieren, kaum Beachtung fand. Dabei nutzen Neonazis und Rechtspopulist*innen längst die Videospielwelt, um ihre menschenverachtenden Inhalte zu verbreiten. Gamechats, Communityforen oder Gruppen auf Verkaufsplattformen sind längst Teil des „Infokrieges“ geworden, indem sich viele Neonazis sehen. Videospiele sind für viele rechtsalternative Netzakteure dabei die Antwort auf das Deplatforming (also das bannen und entfernen rechtsextremer Accounts in Sozialen Medien), welches mal mehr oder weniger konsequent von Youtube, Instagram und Facebook verfolgt wird.
Da wäre beispielsweise die rechtsextreme Identitäre Bewegung, die mit eigenen Gruppen auf der Videospielvertriebsplattform Steam für geschlossene Grenzen und eine inhumane Geflüchtetenpolitik wirbt (siehe Titelbild). Mit wenigen Klicks lassen sich Diskussionen wie „Deutschland? Oder Asylschland“ beitreten oder auch eine Auswahl der beliebtesten Videos der IB-Galionsfigur Martin Sellner auffinden.
Steam ist die größte internationale Vertriebsplattform für Videospiele. Über 90 Millionen Nutzer*innen loggen sich hier monatlich ein, um Spiele käuflich zu erwerben, einzelne Games zu modifizieren oder eben um sich in einer der unzähligen Gruppen auszutauschen. Auch das rechtsextreme Trollnetzwerk „Reconquista Germanica“ rekrutierte in ihren Hoch-Zeiten über den Distributionsdienst. Noch immer tummeln sich auf Steam unzählige Gruppen und User*innen, welche mit Reichskriegsflaggen, Hakenkreuzen oder SS-Runen in ihrem Profilbild ganz offen ihre rassistische Weltanschauung nach außen tragen. Auch nach dem rechtsterroristischen Anschlag in Neuseeland verwendeten viele User*innen den Namen des Christchurch Attentäters, um ihm zu huldigen. Die Zahl der Opfer wurde wie ein Highscore angeführt, das Manifest des Schützen geteilt.
Games haben also für die rechtsextreme Szene eine klare strategische Komponente und reihen sich damit in die lange Liste der Orte ein, an denen eine digitale Zivilgesellschaft für demokratische Werte streiten muss. Das unterstreicht nicht nur ein Blick in rechtsextreme Steam-Gruppen. In vielen Spielchats und Communityforen gehört rassistische und sexistische Sprache zum Gaming-Alltag dazu. Vor allem in Online-Multiplayer-Games sehen sich Angehörige marginalisierter Gruppen mit abwertenden Äußerungen konfrontiert. Es sind vor allem die eher kurzweiligen Online Games, welche Spieler*innen ständig mit einer neuen Auswahl an menschlichen Gegnern und Verbündeten zusammenwürfelt, in welchen rassistische, sexistische und homophobe Kommentare die Spielerchats fluten. Vor allem das MOBA (Multiplayer Online Battle Arena) Spiel „League of Legends“ fällt mit einer besonders toxischen Community auf. Es sind drei Faktoren, welche dazu führen, dass fast alle Dimensionen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit hier vermehrt auftauchen. Zum einen ist es die mangelnde Sanktionierung von Hate Speech-Äußerungen. Von den Spieleherstellern*innen implementierte Wortfilter können leicht umgegangen werden und auch das Report-System, mit welchem nach einer Partie toxisches Verhalten gemeldet werden kann, führt in zu wenigen Fällen zu konkreten Spielsperren oder Account-Bans. Ein weiterer Grund sind die auf Twtich aktiven Streamer*innen, welche leider noch immer viel zu häufig einen problematischen Sprachgebrauch vorleben. Als letzten Punkt, der toxisches Verhalten in Videospielen erklärt, muss die Attitude vieler Spieler*innen an sich genannt werden. Frei nach der Maxime „It‘s just a game“ werden hier abwertende Äußerungen als nicht real verstanden. Dass der toxische Sprachgebrauch jedoch unmittelbar Betroffene angreift und zu einer Normalisierung ausgrenzenden Verhaltens beiträgt, wird von vielen gewollt ignoriert. Bei League of Legends ist es vielen Gamer*innen egal, was geäußert wird, Hauptsache der große goldene „Victory“ Schriftzug schmückt zum Ende der Partie den Computermonitor. Eine Einstellung, welche Solidarität und Schutz mit Betroffenen vermissen lässt.
All diese Themen hätten beispielsweise auf der Eröffnungsveranstaltung des Gamescom-Messe-Kongresses besprochen werden können. Wurden sie aber nicht. Dafür lieferten sich u.a. die Generalsekretäre der CDU, SPD und FDP bei der „Debatt(l)e Royale“ eine handzahme Debatte über Themen wie den Breitbandausbau, die Anerkennung des E-Sport als richtige Sportart und den Medienstaatsvertrag. Alles wichtige Themen, die jedoch so und in ähnlicher Form schon unzählige Male diskutiert wurden. Als dann Paul Ziemiak von der CDU anführt, dass rechtsextreme Netzwerke verstärkt im Gamingbereich aktiv werden, wird nur von der Moderation abgewunken. Schade, Chance vertan. Dabei wäre dieser Ort genau der richtige gewesen, an dem Influencer*innen gemeinsam mit Akteur*innen aus der Politik eine wichtige Debatte hätten voranbringen können. Immerhin mit zwei weiteren Panels zu Queerer Spiele-Geschiche und Frauen im Gaming signalisierte die Messe Kongress eine verstärkte Öffnung des gewohnten Themenrepertoires.
Videospiele sind längst im Alltag angekommen. Es wird Zeit, dass nicht nur die Politik, sondern auch die Spielehersteller*innen, Plattformbetreibende und Gamer*innen Videospiele als zentralen Ort gesellschaftlicher Debatten ernst nehmen. Games sind keine digitalen Parallelwelten, in denen rechtsextreme Äußerungen oder Handlungen unkommentiert bleiben dürfen. Es braucht auch innerhalb der digitalen Zivilgesellschaft ein stärkeres Bewusstsein darüber, was in- und um Videogames herum passiert. „Good Game – Well played“ heißt es meist am Ende einer Partie des Online – Videospiels „League of Legends“. Es bleibt offen, ob uns das mit Blick auf die nächste Gamescom 2020 auch ein GG WP über die Tastatur rutscht.
Der Autor Mick Prinz arbeitet bei Civic.net – Aktiv gegen Hass im Netz.