Von Hellmuth Vensky
Die Reihen der Rechtsextremen sind selten fest geschlossen: Flügelkämpfe, Intrigen und Verdächtigungen sind an der Tagesordnung. Derzeit liefert die Affäre um Schatzmeister Erwin Kemna den Anlass für Stunk in der braunen Führungsetage. Er wurde im September zu zwei Jahren und acht Monaten Haft verurteilt, weil er mehr als 740.000 Euro aus der Parteikasse abgezweigt hatte. Die Strafe muss er in diesen Tagen antreten.
Im Hintergrund stehen aber die Streitereien zwischen eher bürgerlichen Kadern und jenen Parteigenossen, die mit gewaltbereiten Neonazi-Kameradschaften sympathisieren. Voigt, bisher Vermittler zwischen beiden Lagern, könnte nun zwischen die Fronten geraten.
Im November wurde ein Brief bekannt, demzufolge „der Vorstand“ der NPD „mit deutlicher Mehrheit beschlossen“ habe, „einen Sonderparteitag zur Neuwahl des Parteivorstandes abzuhalten, um so die Weichen für das Superwahljahr 2009 zu stellen“. Generalsekretär Peter Marx sagte jetzt, er erwarte, dass die Partei einen neuen Vorsitzenden wähle.
Es sieht also danach aus, dass zumindest ein Teil der NPD-Führung Voigt loswerden möchte. „Schnellstmöglich, spätestens jedoch bis Anfang April“ solle der Parteitag stattfinden, um „dem Wunsch von Mitgliedern und Verbänden nach Aufarbeitung jüngster Geschehnisse entgegenzukommen“, heißt es in dem Schreiben aus dem Vorstand.
Ende November durchsuchte die Polizei dann erneut die NPD-Zentrale in Berlin und den Verlag des Parteiblattes Deutsche Stimme in Riesa. Verdacht: gefälschte Rechenschaftsberichte. Wegen derartiger Unregelmäßigkeiten musste die NPD, notorisch knapp bei Kasse, 2007 schon 870.000 Euro Staatszuschüsse zurückzahlen. Diesmal heißt es, Kemna habe mehrere hunderttausend Euro in die Bücher gemogelt, um seinen Betrug zu kaschieren. Das habe er Mitte September bei einem Treffen mit Voigt und anderen Funktionären gebeichtet, will der Spiegel erfahren haben.
Schon der Parteitag in Bamberg im Mai war vom Programm- zum Wahlparteitag umfunktioniert worden ? damals, vor dem Urteil gegen Kemna, um Voigt den Rücken zu stärken, der die Partei für den jungen braunen Rand geöffnet und ihr so Wahlerfolge und neue Mitglieder beschert hatte. Eine Wahl wäre erst 2010 wieder nötig. Voigt hatte angekündigt, sich schon 2009 einem Votum zu stellen, aber erst nach der Bundestagswahl.
Jetzt behauptet er, es sei seine Idee gewesen, den Parteitag auf das Frühjahr vorzuziehen ? auch, um „Finanzgerüchten“ entgegenzutreten. Udo Voigt orakelt, „das BRD-System scheint einen anderen Parteivorsitzenden zu wollen“. Wortreich nimmt er Stellung zu Darlehen, die auf ein Konto seiner früheren Firma geflossen, aber „selbstverständlich zu Parteizwecken verwandt worden“ seien. Voigt will in jedem Fall wieder antreten.
Neonazis munkeln über „belastendes Material“
Das Neonazi-Webforum Altermedia munkelt von „belastendem Material“ gegen den Parteichef, das eine parteiinterne Untersuchung zur Affäre Kemna erbracht habe. Mit deren Aufarbeitung waren die NPD-Funktionäre Jürgen Rieger und Udo Pastörs betraut. Dass dabei nicht viel herauskommen würde, war klar: Beide sind Erzfeinde. Während Rieger beim Parteitag im Mai die Affäre herunterspielte und dafür zum Vizevorsitzenden gewählt wurde, machte der Schweriner Fraktionsvorsitzende Pastörs Stimmung gegen Voigt: Es könne doch nicht sein, dass Hunderttausende aus der Parteikasse abflössen, ohne dass der Vorsitzende etwas davon mitbekomme, argumentierte er.
Wer aber betreibt jetzt die Abwahl Voigts? Offene Kritik am Parteichef und an Riegers Wahl hatte Andreas Molau geäußert. Doch der zog sich im Oktober aus dem Vorstand zurück. Er zählt zum Flügel der auf ein pseudodemokratisches Erscheinungsbild Bedachten wie Generalsekretär Peter Marx, Justitiar Frank Schwerdt und Kassenrevisor Uli Eigenfeld. Möglich, dass die alte Garde für einen Schlussstrich unter die Affäre Kemna bereit ist, Voigt zu opfern.
Marx brachte Holger Apfel als Nachfolger ins Spiel, Bundesvize neben Rieger und Sascha Roßmüller sowie Fraktionschef in Sachsen. Doch Apfels Stern sinkt: Drei von elf seiner Abgeordneten sind aus der Landtagsfraktion ausgetreten, ein weiterer wurde wegen seines Finanzgebarens (und gar zu offener Hitlerverehrung) ausgeschlossen; Neonazis verlassen in Scharen die sächsische NPD.
Ambitionen auf die Führungsrolle werden sowohl Udo Pastörs als auch Jürgen Rieger nachgesagt, die beide der gewaltbereiten Szene nahe stehen. Pastörs gilt aber selbst in der NPD vielen als unangenehmer Wadenbeißer. Neonazi-Anwalt Rieger hatte im Mai den altgedienten Multifunktionär Marx aus dem Amt des Parteivize verdrängt; ihm wäre eine erfolgreiche Kandidatur zuzutrauen.
Eine Hürde müsste allerdings auch er überwinden: Ein Parteitag, lässt der Vorstand wissen, sei erst möglich, „wenn wir einen Mietvertrag für einen geeigneten Saal unterzeichnet haben“. Bisher habe man nur Absagen kassiert.
Dieser Text erschien am 4. Dezember 2008 auf Zeit-Online. Wir bedanken uns für die freundliche Unterstützung.