Wer prominent ist und wem in der Pandemie Aufmerksamkeit fehlt, wen die Angst vor Bedeutungsverlust quält, der erreicht mit der Hinwendung zur Coronaleugnung, Regierungsverschwörungsclique und natürlich Medienbashing einen hundertprozentigen Treffer. Man erreicht egoschmeichelnde Zustimmung in Hundertausenderhöhe in alternativen Medienkanälen und kriegt auch noch die Aufmerksamkeit von empörten und /oder enttäuschten Andersdenkenden auf Social Media und dann auch in den Medien.
Wir wissen, dass wir deshalb nicht über Michael Wendler schreiben sollten. Aber wir sind auch nur Menschen.
Der radikalisierte Mann
Also, es muss sein: Wir haben das Muster dieser Radikalisierung 2020 bereits diverse Male erleben müssen. „Avocadolf“ Attila Hildmann, bei dem nur die Frage ist, warum er immer noch nicht wegen Aufrufen zu Gewalt und Umsturz und/oder Volksverhetzung angeklagt ist (wobei mehrere Strafanzeigen aktuell bei der Polizei geprüft werden (vgl. Tagesspiegel) und eine Unterlassungsklage gegen Formen der Holocaustleugunung, die Hildmann nutzte, erfolgreich war). Xavier Naidoo, bereits langjähriger Verschwörungsgläubiger, hatte erst mit dem Weinen um die angeblich eingeknasteten Kinder, von denen er bei QAnon gehört hat, sein bundesweit beachtetes Coming out als antidemokratischer Verschwörungsfan (vgl. Belltower.News, II). Um Kinder weint inzwischen auch Bodo Schiffmann, Anfang 2020 ein noch leidlich anerkannter Arzt, inzwischen Kronzeugenpapst der Coronaleugner*innen bundesweit, und jetzt offenbar im Besitz von noch mehr Geheimwissen, denn er weint um angeblich durch Masketragen gestorbene Kinder, die allerdings nicht existieren, die Polizei nun zu Ermittlungen bringen und – besonders niederträchtig – sogar die Eltern eines der angeblich „durch die Maske“ gestorbenen Kinder in der Trauer um ihren toten Sohn stört, so dass sich da Bestattungsinstitut erbarmte und in Absprache mit den Eltern den Lügen öffentlich widersprach (vgl. Volksverpetzer). Wer sich um Kinder und ihre Eltern sorgt, müsste so viel Anstand haben, das nicht zu tun.
Was zum Wendler?
Nun aber zum „Wendler“, Schlagermusiker, Medienphänomen, Sexist, aktuell durch die Jury zu „Deutschland sucht den Superstar“ versorgt und Werbebotschafter von „Kaufland“, und offenbar trotzdem bedürftig nach Zuspruch und Hass und deshalb bereit, der Verschwörungsbranche eine Chance zu geben. Dazu hat er eine Videobotschaft verbreitet, Werbung für seinen neuen Telegram-Channel – den hat man unter Verschwörungsgläubigen gerade, ist praktisch die Eintrittskarte. Das Video ist so holzschnittartig und unintelligent, der Standardtext („… Regierung betrügt uns … Corona existiert nicht … Medien gleichgeschaltet …. keine Meinungsfreiheit, deshalb Telegram…“) mies vom Blatt abgelesen – so gab es massive Verwirrung: Ist das echt? Ein wirklich mieser Werbegag? Und wie überprüft man das eigentlich?
Der Fall zeigt das Verhältnis zu Wahrheit in diesen Pandemie- und Social-Media-Zeiten. Realität als Konstrukt mit ungewissem Ausgang. Also, erst einmal gucken: Gibt es den Telegram-Kanal? Überraschung: Es gibt bereits mehrere.
Neben dem Kanal, den der Wendler als „offiziell“ beworben hatte, gab es gleich noch drei weitere (inzwischen mehr), die ihre Inhalte teilweise permanent spiegeln. Einer der inoffiziellen Kanäle wurde schnell größer als der offizielle. Sind die anderen Backup-Kanäle vom Wendler selbst (gehört auch zum Stil, wenn man befürchtet, wegen des Blödsinns, dem man äußert, gelöscht zu werden)? Sind es Mirror-Kanäle von Unterstützer*innen, die seine bisher äußerst uninteressante Verschwörungsweltsicht sichern wollen? Sind es Gegner*innen, die seine Abkehr von Demokratie und Vernunft sichern wollen? Nichts mehr ist klar in diesen Zeiten.
Einer der Fake-Kanäle löste später auf, dass er nicht echt ist und warnen wollte: „Glaubt nicht an Irrlichter wie Attila Hildmann und Xavier Naidoo“. Der Kanal wurde übrigens besonders groß, weil er hinter dem Namen „Michael Wendler“ einen grünen Haken stehen hatte. Dabei handelt es sich um ein Emoji, das selbst hinter den Namen getippt wurde, keine Verifizierung des Kanals von „Telegram“. Geglaubt haben das trotzdem viele.
Auf den Kanälen: Fotos vom Wendler mit Avocadolf. Sie sind jetzt Freunde. Hildmann bewirbt den Wendler-Channel in seinen Verschwörungshölle-Kanälen. Hildmann hatte auch bereits vormittags angekündigt, dass er mit einem “sehr bekannten TV-Star” gesprochen habe, der “aussteigen will”.
Damit “gewinnt” er natürlich in den Verschwörungsnetzwerken noch einen ganzen Haufen neuer semi-prominenter Freunde, denn dort haben sich ja inzwischen alle wieder vertragen, Querdenker Ballweg und Avocadolf, und Holocaustrelativierer Nehrling darf auch wieder mitspielen (vgl. Belltower.News).
Anfänger oder Fake?
Im Telegram-Bewerbungs-Video kündigt der „Wendler“ vorsorglich bei RTL. Er verlässt die Jury, denn sie würden ihn jetzt ja wohl eh rausschmeißen. Das lässt vermuten, dass er entweder strategisch noch Anfänger ist – denn so ein Rausschmiss ließe sich aktuell ja super als „Cancel Culture“ vermarkten, rechtsaußen schwer en vogue. Oder dass die angebliche Schwurbelei nun doch ein Fake ist.
Also ein Blick auf die Arbeitgeber. Was sagt denn RTL?
RTL sagt, sie wüssten von nichts und distanzierten sich aufs Schärfste: „Wir sind völlig überrascht von den Aussagen von Michael Wendler. Sowohl zum Ausstieg aus #DSDS als auch von seinen Verschwörungstheorien. Davon distanzieren wir uns ausdrücklich. #Wendler“
Und was sagt „Kaufland“, die Supermarktkette, die aktuell mit dem Wendler wirbt (“Junges Gemüse gibt’s auch”, gezeigt wird dabei seine 18-jährige Freundin [sic]). Auch Kaufland sagt „Bei unserem Video mit Michael Wendler ging es um Spaß & Ironie. Die Grenze ist jedoch erreicht, wenn mit der Sicherheit & Gesundheit von Menschen gespielt wird. Daher haben wir den ganzen Wendler-Content gelöscht & distanzieren uns von seinen Aussagen. #nichtegal“
Also ist der Wandel zum Verschwörungs-Wendler doch real?
Nazis: „Willkommen im Widerstand“
Einer der es glaubt, freut sich derweil. Martin Sellner, alternder und weitestgehend deplattformter Medienaktivist der rechtsextremen „Identitären Bewegung“. Der begrüßt den Wendler: „Herzlich willkommen im Widerstand“ (in seinem Stream-Format “MS live”) und zeigt damit auch, dass er offenbar keine Berührungsängste zu nichts mehr hat. Früher gab sich die „Identitäre Bewegung“ mal jugendkulturell und im Rahmen ihrer rechtsextremen Möglichkeiten cool und avantgardistisch, heute läuft Sellner den Verschwörungsboomern von „Querdenken“ und sogar „Reichsbürgern“ hinterher, und jetzt noch einem alternden „Schlagerstar” – wobei er zuvor auch Soulsänger Xavier Naidoo bereits rechtsaußen begrüßt hat. Warum jetzt die Begeisterung für den “Wendler”? Dankenswerterweise liefert Sellner, weil er gerne redet und schreibt, die Begründung gleich mit: Prominente wie der „Wendler“ würden bei einem „Durchbruch“ helfen. Durch so bekannte Persönlichkeiten wie ihn würden „die Massen“ „offen für radikale Theorien“ werden. Corona wäre ein „Aufweck-Thema gegenüber dem Mainstream“. „Bei einer Corona Demo ist man noch nicht so verfemt.“ Der „Wendler“ könne „politisieren“. Sellner verlinkt den Telegram-Kanal des „Wendler“. Allerdings einen falschen.
Was ist real?
Aber ist der „Wendler“ denn nun ein Verschwörungsgläubiger? Es blieb an Zweifeln noch der Hinweis auf eine Analogfernsehsendung des Moderators Oliver Pocher, „Pocher – gefährlich ehrlich“, in der Dieter Bohlen (ebenfalls DSDS-Jury) und Michael Wendler angekündigt waren. War die Verschwörungsnummer eine Inszenierung? Oder sind wir selbst schon auf dem Weg in ein Verschwörungsdenken, wenn wir das vermuten?
Nun, in der Sendung sollte es um andere Themen gehen. Oliver Pocher wurde von der Entwicklung offenbar genauso überrascht wie der Rest der Republik, und hatte in der Sendung spontan “Wendlers” Manager Markus Krampe zu Gast, der mit den Tränen kämpfte und berichtete, dass der Sänger sich seit drei Wochen zunehmend radikalisiert habe und aufgehört habe, eine Maske zu tragen. Zuletzt habe der “Wendler” ihn angerufen, bevor er das Video auf Instagram teilte: „Es hörte sich für mich so an, wie ein Anrufen von jemandem, der einen zum letzten Mal anruft: ‚Ich beende jetzt meine Karriere, ich komme nie wieder nach Deutschland. Wir werden alle sterben. Ich will als Held sterben. Sieh zu, dass du nach Amerika kommst, vielleicht hast du dann noch eine Chance. Du warst immer ein treuer Begleiter, du hast immer ordentlich mitgearbeitet.‘ Das war schon krass.“ In etwa zeitgleich fragt einer der Fake-Kanäle, die sich „Michael Wendler“ nennen, die neuen “Freund*innen” auf Telegram per Umfrage, ob der seinen Manager feuern soll.
Und jetzt?
Der Telegram-Kanals des “Wendlers” hat inzwischen rund 43.000 Follower. Dort teilt er den ganzen Wahn-Korb der Verschwörungswelt: Neben altbekannten und zu neuen Ehren gekommenen Accounts wie dem von Eva Hermann oder aktuellem Esoterik-Verschwörungs-Mainstream wie Heiko Schrang eben auch extreme Positionen wie Attila Hildmann oder Oliver Janich, der inzwischen ins QAnon-Milieu gehört, also zu den Gewalt befürwortenden und extremsten Verschwörungsgläubigen aktuell. Miro Dittrich von der Amadeu Antonio Stiftung analysiert das Coronaleugner-Verschwörungsmilieu seit Anbeginn der Pandemie. Zum Einstieg des “Wendlers” sagt er: “Dass der Wendler zu Attila Hildmann aktiv Kontakt gesucht hat und diesen auch auf seinem Kanal teilt, zeigt deutlich, dass es ihm nicht um ein paar Fragen und etwas Kritik an den Corona-Maßnahmen geht. Auch im Corona-Leugner-Lager ist Hildmann eine spaltende, extreme Figur. In seinem Kanal geht es um QAnon, Nazi-Ufos in der Arktis, aber es werden auch Hitler-Reden und offen antisemtische Inhalte geteilt.”
Auf Instagram (291.000 Vor-Verschwörungs-Follower) hat sein Telegram-(An)Kündigung-Post inzwischen über 2.000 Kommentare (!), in überwiegender Anzahl sind sie kritisch. Es bleibt zu hoffen, dass Michael Wendler diese Fans nicht mit in die Verschwörungswelt nehmen kann.
Und es gehört auch zur neuen Medienrealität, dass am Endes dieses Artikels das Statement von Dieter Bohlen zu der Entwicklung geteilt werden soll, weil es, nun ja, einfach gut ist:
Text: Simone Rafael, Recherche: Miro Dittrich