Ein paar Rentner*innen spielen Akkordeon und singen dazu. Um sie herum: Schilder und Fahnen, auf einer steht „Stalingrad – Mahnung zum Frieden“ geschrieben. Lutz Bachmann steht am „Pegida“-Wagen und unterhält sich mit ein paar Ordner*innen. Es ist Montagabend, kurz nach halb sieben. In ganz Sachsen gehen wie jede Woche Demonstrant*innen auf die Straße, um für eine Mischung aus verschwörungsideologischer und rechtsextremer Politik zu demonstrieren. Doch für „Pegida“ in Dresden ist heute ein besonderer Tag – der achte Geburtstag.
Eigentlich hätte der groß angekündigte Geburtstag vor zehn Minuten anfangen müssen. Die Demonstration ist mit einer erwarteten Teilnehmerzahl von 1.500 angemeldet. Doch gefolgt sind dem Aufruf nur wenige. Insgesamt finden sich nur ein paar hundert Demonstrant*innen. Und es werden auch nicht mehr. Für einen Moment wird das Akkordeon von einem lauten Bass übertönt. Die Zubringerdemonstration des Gegenprotestes ist angekommen. Nun stehen auf der Gegenseite deutlich mehr Personen.
Den mehrheitlich älteren Demonstrant*innen bei „Pegida“ gefällt das gar nicht. Immer wieder äußern sie sich abfällig über die Jugend, welche auf der anderen Seite demonstriert. Doch dann verschiebt sich die Aufmerksamkeit. Die „Pegida“-Hymne erklingt und die Demonstrierenden sind so mit dem Schwenken der unzähligen Fahnen beschäftigt, dass sie den Gegenprotest einen Moment vergessen.
Neben Sachsen- und „Pegida“-Flaggen gibt es selbstverständlich auch Deutschlandfahnen in allen Ausführungen – wahlweise als Hut, Flagge oder direkt in Kombination mit der Russlandfahne. Eine Person hält ein Kreuz mit umwickelter Lichterkette in die Luft. Ein anderer trägt ein Shirt mit der Aufschrift „Deutscher ohne Migrationshintergrund“.
Demogeld für Arbeitsvertrag
Die Musik verstummt, der erste Redner beginnt, den Protest einzustimmen. Wolfgang Taufkirch verspricht, den Gegendemonstrant*innen das „Demogeld“ zu bezahlen, wenn sie ihm zehn Personen unter sich mit unbefristetem Arbeitsvertrag zeigen können. Seine Rede nimmt schon nach kurzer Zeit verschwörungsideologische Züge an. Schnell wird der Weltuntergang herbeifantasiert. „Kommt der Blackout bei Dunkelheit, rechnet man schon ab Minute eins mit Plünderungen in Großstädten. Gewisse Gruppen warten nur darauf.“ Er spricht von einem geplanten Raubzug an der Bevölkerung, unter anderem durch „Umvolkung“ und „die Verarsche mit dem künstlichen Virus und den systematisch dosierten Giftspritzen“.
Anschließend ist „Siggi“ – Siegfried Daebritz – an der Reihe. Der hält es in seiner Rede relativ kurz. Das könnte auch daran liegen, dass die Veranstaltung ohne seine Zustimmung stattfindet: „Ich bin ganz ehrlich. Ich hätte heute keine ‚Pegida‘-Veranstaltung gemacht.” Aber letztendlich zählt für ihn nur eines: „Masse, Masse, Masse“. Die hat er heute nicht bekommen.
Schließlich setzt sich der Demonstrationszug in Bewegung. Ihr „Spaziergang“ verläuft wie üblich durch die Dresdner Altstadt. Der Gegenprotest möchte das nicht zulassen – es gibt einen Blockadeversuch. Doch die Rassist*innen werden an der Blockade vorbeigeleitet.
Von einer ausgelassenen Geburtstagsstimmung kann an diesem Tag keinesfalls die Rede sein. Die Teilnehmer*innen fallen vermehrt durch ihr aggressives Verhalten auf. Dem Gegenprotest werden von zwei Pegida Teilnehmer*innen die Transparente vom Gitter gerissen.
Grüße von Björn Höcke
„Pegida“ besteht nicht aus süßen Omas und Opas, die einfach die falsche Zeitung gelesen haben. Die meisten Personen auf der Demonstration sind tatsächlich fortgeschrittenen Alters – ihre Weltanschauung und ihr Verhalten jedoch nicht fortschrittlich. Unter ihnen finden sich aber auch vereinzelt jüngere Neonazis und Gruppen. Die „Identitäre Bewegung“ ist anwesend, genauso wie die rechtsextreme Rapperin Runa vom Label „Neuen Deutschen Standard“.
Zurück auf dem Dresdner Neumarkt vor der Frauenkirche werden die letzten Reden gehalten. Es spricht Daniel Haselhoff – Teil des Landesvorstandes der AfD Thüringen. Er richtet herzliche Grüße vom „zukünftigen Thüringer Ministerpräsidenten Björn Höcke“ aus.
Zum Abschluss ergreift Lutz Bachmann das Wort. Die Aufmerksamkeit schwindet zunehmend. Er lässt sich ausführlich über die Paragrafen 192a und 130 StGB aus – den Paragrafen zur verhetzenden Beleidigung und zur Volksverhetzung. Der 49-Jährige wurde bereits zweimal wegen Volksverhetzung verurteilt: 2016 zu einer Geldstrafe von 9.600 Euro. 2020 folgte die zweite Verurteilung zu einer Geldstrafe von 4.200 Euro. Dagegen legte er Berufung ein – und erhielt eine sechsmonatige Haftstrafe, ausgesetzt auf zwei Jahre Bewährung.
Für Bachmann ist es Völkermord
Gelernt hat er daraus scheinbar nicht: Kurz darauf bezeichnet er die Luftangriffe auf Dresden im Februar 1945 als Völkermord. Der 13. Februar wird bereits seit Jahren von Neonazis zur Mobilisierung für ein rechtsextremes geschichtsrevisionistisches Gedenken genutzt. Bachmann knüpft daran an und nutzt diese Erzählung, um gleichzeitig gegen Geflüchtete zu mobilisieren. Die Stadt sei damals voll gewesen mit „echten Flüchtlingen oder Vertriebenen, nicht wie das, was heutzutage hier ankommt“, so Bachmann.
Doch nicht nur die Bombardierung Dresdens betrachtet Bachmann als Völkermord. Wenn tausend Tote reichen, so sei „das, was hier passiert seit der illegalen Grenzöffnung durch Merkel durch die illegalen Migranten, Völkermord“.
Nach Bachmanns Verirrungen zum Völkermord wird die Versammlung beendet. Die Rassist*innen verlassen den Neumarkt, packen ihre Schildchen ein und geben den Blick frei auf die Frauenkirche. Bachmann kehrt nach Teneriffa zurück. Doch auch wenn der Neumarkt nun wieder sehr friedlich wirkt, laufen die Montagsspaziergänger*innen weiterhin durch die Welt und verbreiten irgendwo ihre menschenfeindliche Ideologie. In Dresden, in Sachsen und auch auf Teneriffa.