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Pegida, quo vadis? Das Beispiel Chemnitz-Einsiedel

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Inszenierung als "gallisches Dorf": Kleine Blockade vor der Geflüchtetenunterkunft in Einsiedel. (Quelle: Johannes Grunert)

Einsiedel ist ein Stadtteil im Süden von Chemnitz und gilt als Teil des suburbanen Speckgürtels. In der „Perle des Zwönitztals“ ist man stolz auf das innerörtliche Gemeinschaftsleben. Dieses hat nach 1997 „durch die Eingemeindung keine Nachteile davon“ getragen, wie die heimatgeschichtliche Seite „Heimatwerk Einsiedel“ berichtet, die die asylfeindlichen Proteste seit September 2015 wohlwollend begleitet. Diese hatten bundesweit für Aufsehen gesorgt (vgl.: Einsiedel hält sich für den neuen deutschen Normalfall – Die ZEIT). Aktuell scheint das Thema Asyl die Einsiedler nicht mehr so sehr zu interessieren, eine Einwohnerversammlung Anfang Mai 2016 blieb weitgehend leer. Die ursprünglich für 500 Flüchtlinge ausgelegte Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) ist derzeit nur zu einem Fünftel belegt. 

Das Interview mit Johannes Grunert (Journalist, Sachsen) führte Christian Bach Ende April  2016. 

Wie lange gibt es in Chemnitz-Einsiedel Aufmärsche unter dem Label GIDA?

Die ersten flüchtlingsfeindlichen Demonstrationen gab es im November 2014 unter dem Namen „Chemnitz wehrt sich“. Der lokale PEGIDA-Ableger in Chemnitz demonstriert dann seit dem Winter 2014/15 unter dem Label „Pegida Chemnitz-Erzgebirge“. Im Sommer 2015 kamen Demonstrationen in Einsiedel dazu. Einsiedel hatte im Unterschied zu den mehr oder weniger ortsunspezifischen Inhalten bei PEGIDA einen konkreten Anlass, die geplante Einrichtung einer Erstaufnahmeeinrichtung. Dagegen wurde und wird demonstriert.

Mittlerweile gibt es „Pegida Chemnitz-Erzgebirge“ nicht mehr. Es gab eine Spaltung in „Pegida Chemnitz und Westsachsen“ und „Heimat und Tradition Chemnitz Erzgebirge“. Was der genaue inhaltliche Unterschied zwischen beiden ist, kann ich nicht genau sagen. Es hat wohl mit dem Label PEGIDA und damit mit Ansprüchen aus Dresden zu tun, aber auch damit, welche lokalen Akteur_innen man sich noch mit ins Boot holen will. Bei „Heimat und Tradition“ sind das zum Beispiel auch Katrin Köhler (Chemnitzer Stadträtin der NPD), bei PEGIDA gibt es da zumindest offiziell eine Abgrenzung. 

In Einsiedel wurde lange und relativ zahlreich demonstriert. Dabei wollten sich die Protestierenden den Anstrich eines zivilgesellschaftlich widerständigen Dorfes á la Gorleben geben?

Das betrifft vor allem die Zeit, bis das Heim eröffnet wurde. Danach hat der sogenannte „Widerstand“ stark abgenommen, wenngleich es etwa den symbolträchtigen Dauer-Info-Stand nach wie vor gibt. Auf Stadtebene gibt es mindestens acht einschlägige flüchtlingsfeindliche Facebook-Seiten, für Einsiedel eine Gruppe („Infostand Einsiedel“) und vier verschiedene Facebook-Seiten: „Einsiedel sagt nein zum Heim“, „Einsiedel sagt nein zur EAE“, „Informationen aus Einsiedel“ sowie „Bürgerinitiative gemeinsam für Einsiedel“. Vor allem die vorgebliche „Bürgerinitiative“ versucht, sich gemäßigt darzustellen, und gibt vor, für eine integrative Lösung zumindest für Familien zu sein.

Das Interesse am Thema hat aber aktuell in Einsiedel stark abgenommen. Bei der Bürgerversammlung Anfang Mai war der Saal nur noch zur Hälfte gefüllt. Die Demonstrationen sind auch nicht mehr so stark besucht. Im letzten Herbst waren es bis zu 2000 Teilnehmer_innen, jetzt sind des im Schnitt 200, die immer mittwochs demonstrieren.

 

In der Region Chemnitz gibt es Akteur_innen, die schon länger gegen Asyl und Flüchtlingsunterkünfte hetzen, wie besagte Katrin Köhler (NPD) oder auch die Gruppierung „Pro Chemnitz“. Beide sitzen auch im Stadtrat. Tauchen diese auf Demonstrationen in Einsiedel auf?, Sind die Demos die beschworenen lokalen „Bürgerproteste“?

Zum Teil laufen bekannte Akteur_innen auf. Die stammen auch nicht unbedingt aus Einsiedel. Als federführend erscheinen etwa Sven M. zusammen mit seiner Partnerin Peggy T.. Sven M. stammt aus Amtsberg, hat dort als freier Kandidat zur Kommunalwahl kandidiert, scheiterte aber an den Unterstützerunterschriften. Auf Facebook gefielen ihm in der Vergangenheit eindeutig neonazistische Postings, die er auch geteilt hat. Sven M. ist auf vielen Kundgebungen und Demonstrationen in der gesamten Region zugegen, organisiert diese (mit) und meldet auch „Heimat und Tradition“-Demonstrationen an. Der Einsiedler Ronny M. hat die lokale Leitung der Aufmärsche in Einsiedel  übernommen. In Videos der neurechten Initiative „1 Prozent“ wurden alle drei interviewt. 

Parallel zu den wöchentlichen Demonstrationen am Mittwoch gibt es seit mehr als 200 Tagen einen Infostand, lange Zeit als 24h-Dauerkundgebung, der von Anwohner_innen getragen und unterstützt wird. Die Betreiber_innen zählen jeden Tag als Erfolg. Am 1. Mai nahm dieser Infostand beim Einsiedler Festumzug als Themenwagen teil. 

Pro Chemnitz“ ist eine weitere rechte Gruppierung, die in Chemnitz sogenannte „Bürgerstreifen“ organisiert. Sie unterstützt die Proteste in Einsiedel durch Veröffentlichungen bei Facebook. Einzelne dort Aktive sind bei Demonstrationen mitgelaufen. Ein ehemaliger Stadtrats-Kandidat von „Pro Chemnitz“ wirkt bei vielen rassistischen Initiativen in der Region mit und tritt auch als Administrator der Facebook-Gruppe „Betroffene von Ausländerkriminalität in Sachsen“ auf. Er ist bei vielen Aktionen vor Ort und koordiniert auch die Vernetzung, zuletzt auch bei den Sternmärschen in Chemnitz, Zwickau und Aue im Frühjahr 2016 aktiv beteiligt. Auch bei der Veranstaltung am 1. Mai 2016 in Zwickau, bei der Justizminister Heiko Maas „verjagt“ wurde, war der Mann federführend an den Protesten beteiligt – zumindest laut seinen Facebook-Postings. Mit seiner Facebook-Gruppe mit mehr als 5000 Mitgliedern verfügt er über ein enormes Mobilisierungspotential.

 

Den Auftakt in Einsiedel bildete eine Bürgerversammlung, bei der über die Erstaufnahmeeinrichtung informiert wurde. Was hat sich da abgespielt?

Ich habe von außen die Übertragung mitverfolgt. Das war eine Veranstaltung der Landesdirektion in einer Mehrzweckhalle gegenüber der geplanten Erstaufnahmeeinrichtung. Die Veranstaltung wirkte schlecht vorbereitet. Das Podium konnte drängende, auch legitime Fragen überhaupt nicht beantworten, hat sie stattdessen herunter gespielt. Dafür wurde rassistischen Ressentiments nicht widersprochen. Diese konnten auch nicht entkräftet werden. Die Veranstalter_innen hatten der Stimmung vor Ort, die bereits deutlich rassistisch aufgeladen war, überhaupt nichts entgegensetzen. Sie konnten keine Menschen auf ihre Seite ziehen und für die Einrichtung gewinnen.

Insofern spielte die Veranstaltung eine Rolle in der Dynamik des Protestes. Leute, die sich dort informieren wollten, mussten feststellen, dass sich die asylfeindlichen Akteur_innen als besser informiert darstellten als das Podium. Weil keine demokratischen Antworten gegeben wurden, fühlten die sich im Stich gelassen. Das führte dazu, dass sich mehr Menschen dem rechten Protest anschlossen. Direkt nach der Veranstaltung fand vor Ort die erste Demonstration statt – übrigens schon im Vorfeld der Informationsveranstaltung angekündigt. Die Menschen mussten einfach aus der Halle kommen und nahmen teil.

 

Wer demonstriert in Einsiedel?

Die Proteste sind in Einseidel sehr stark verankert – so stark, dass sogar Menschen bedroht wurden, weil sie nicht zur Demonstration gehen wollten. Eine Teilnahme wurde regelrecht erwartet. Aber es nehmen auch Initiativen aus umliegenden Gemeinden wie Flöha oder Thalheim teil. Die durchschnittlichen Teilnehmenden sind ähnlich wie bei PEGIDA viele ältere Leute, hauptsächlich Männer ab 50. Frauen stellen etwa ein Drittel. Und es gibt jüngere Männer, die sich aktionsorientiert geben. Es nehmen auch Neonazis aus Kameradschaften teil, die NPD ist nicht offen aufgetreten.

 

Gibt es eine Abgrenzung zu Neonazis?

Eine reale und glaubhafte Distanzierung von Nazis findet in Einsiedel nicht statt, bloß Bekenntnisse wie  „Wir sind halt keine Neonazis“. Es wurde niemand von den Demonstrationen ausgeschlossen. Es hatten zum Beispiel Neonazis des „III. Weges“, deutlich erkennbar an Jacken, teilgenommen (vgl. Freie Presse). Selbst bei PEGIDA in Chemnitz wurde sich öffentlich stärker distanziert und waren entsprechend weniger organisierte Nazis dabei. Die Teilnehmenden behaupten allerdings, das stimme alles nicht, es seien keine Nazis da, und alles andere seien Denunzierungsversuche der Presse.

 

Die „Initiative Ein Prozent“ aus dem Umfeld der Identitären und von Götz Kubitschek, einem Vordenker der Neuen Rechten, hat Einsiedel für ihr Projekt entdeckt. Kannst du darüber etwas sagen?

Ein Prozent“ hat sich verschiedene Initiativen gesucht, die gut in ihr Bild einer Volksbewegung passen. Sie streben einen gesellschaftlichen Umsturz an. Für sie war Einsiedel als „gallisches Dorf“ ein schönes Symbol, weil dort kontinuierlicher Protest stattgefunden hat und zwar ein Protest, der zunächst nicht in Verruf gebracht werden konnte, zum Beispiel durch die offene Beteiligung neonazistischer Parteien. Vermittelt wurde das Bild einer friedlichen, parteiunabhängigen und lokalen Bürgerinitiative, obwohl die Proteste in Einsiedel inhaltlich überhaupt nicht gemäßigt waren, Flüchtlinge generell abgelehnt haben und auf direkten Widerstand wie Blockaden setzten. Damit hatte Einsiedel den Stellenwert einer radikaleren Initiative, ohne den störenden Eindruck von Nazis und Krawall.

Das haben sich die „Ein Prozent“-Aktivist_innen ausgesucht und mit ihren Videos dann auch Öffentlichkeitsarbeit für Einsiedel gemacht, die Proteste somit gepusht und ihnen zu einem gewissen Ruf verholfen. Sie konnten also die Proteste für sich nutzen und gleichzeitig die Einsiedeler Proteste unterstützen.

 

Welche Themen werden bei den Protesten in Einsiedel verhandelt?

Anfangs ging es um Sicherheit, Brandschutz, Löschwasser, Gebäudegrößen und Zäune, also direkt um die Einrichtung der EAE. Die Behandlung solcher Sachfragen hat den Protesten anfangs auch Legitimität verschafft. Dazu kommen aber die üblichen Themen ähnlicher Bewegungen wie die bundesdeutsche Asylpolitik, „Merkel muss weg“, positive Bezüge auf Russland.

 

Haben genderspezifische Themen eine Rolle gespielt? Wie sichtbar sind Frauen?

Das Feindbild „Genderismus“ hat meines Erachtens keine Rolle gespielt. Frauen sind sichtbar, die bereits erwähnte Peggy Thalmann hat eine tragende Rolle in den Protesten. Der Ordnerdienst wird in Einsiedel ausschließlich von Männern übernommen, dass im Unterschied zu PEGIDA Chemnitz Westerzgebirge, wo dieser von einer Frau organisiert wird.

Insbesondere die Absicherung des Infostandes sowie dessen Verpflegung wird von vielen Frauen, teilweise mit Kindern, übernommen. Ohne die Beteiligung von Frauen hätte der Protest somit nicht aufrechterhalten werden können.

Bei den Aufzügen laufen vorn hauptsächlich normale Bürger_innen. Einmal hatten sich sportliche jüngere Männer an der Spitze eingruppiert, diese wurden dann aber schnell nach hinten beordert.

 

Ich konnte auch selbst ein paar Demonstrationen ansehen. Mein Eindruck war, dass der Ort vielfältig eingebunden war: Beim Aufbau der Lautsprecheranlage, dann wurde Kuchen für den Infostand gebacken. Und es gab Jungen, die der Demonstration mit Fahrrad, Funkgerät und Warnweste vorausfuhren. Viele konnten mitmachen. Die Gespräche unter den Leuten vor Beginn der Veranstaltungen drehten sich auch um Neuigkeiten aus Familien und dem Dorf.

Das ist wirklich breit getragen im Einsiedel. Der Infostand war ja über viele Wochen Tag und Nacht besetzt. Da haben Leute Wache geschoben. Es wurde darauf geachtet, dass unterschiedlichste Leute mit viel Zeit sich einbringen können.

 

Kannst Du noch etwas zu der Situation sagen, als es hieß: „Die Flüchtlinge kommen“?

Von Anfang an begleiteten Blockade-Aktionen den Protest in Einsiedel. Im Oktober wurde die Zufahrtsstraße mit einem LKW und mehreren hundert Menschen blockiert (vgl. YouTube). Ende November kamen auf das Gerücht, die Einrichtung werde bezogen, auch mehrere Dutzend Menschen zusammen. Das wiederholte sich am 7. Januar 2016, als die EAE dann bezogen wurde und 400 Polizeibeamte den Bussen den Weg frei machen mussten (vgl. Freie Presse). 

Bei solchen Aktionen waren zum Teil auch Menschen aus Einsiedel. Der Anteil von außerhalb, auch von mehr oder weniger deutlich auftretenden Nazis, war dabei allerdings größer. Die Angereisten waren aber immer mit dem Infostand vernetzt, haben diesen an den Tagen wiederholt aufgesucht und sich dort gestärkt – gegenseitige Unterstützung.

 

Gab es in Einsiedel Gegenprotest?

Bis auf zweimal gab es in Einsiedel keinen öffentlichen Protest. Beide Protestaktionen wurden vom Bündnis Chemnitz Nazifrei organisiert, damit aus der Stadt und weniger aus dem Stadtteil. Bei beiden Demonstrationen kamen nur wenige Menschen, beim ersten Protest um ein vielfaches weniger als die asylfeindliche Demonstration. Beim zweiten Mal wurde die Demonstration von Gegenprotesten von Rassist_innen und Nazis begleitet, die den gesamten Zug abfotografierten.

Ein Grund für weitgehend ausgebliebene Protestaktionen ist sicherlich auch, dass es bereits nach der ersten Informationsveranstaltung zu Übergriffen auf (potentielle) kritische Beobachter_innen kam. Es war gefährlich dort dagegen zu protestieren – auch, weil es schwierig ist nach Einsiedel und wieder zurück in die Innenstadt zu kommen. Dazu kommt ein wenig die Trägheit der Städter_innen, die sich aber auch zur gleichen Zeit mit weiteren asylfeindlichen Demonstrationen beschäftigen mussten. Im Winter 2015/16 gab es in Chemnitz wöchentlich bis zu 4 einschlägige Kundgebungen und Proteste.

 

Wie sieht es jetzt konkret in Einsiedel aus?

Im Ort gibt es Leute, die sich entgegenstellen und sich für Geflüchtete positionieren, aber sie haben Probleme, die Kräfteverhältnisse vor Ort sind gegen sie. Die Menschen versuchen daher, ihre Unterstützung für Refugees nicht so öffentlich oder ganz anonym zu machen.

Es gibt einen Geflüchteten-solidarischen Kreis von etwa 70 Menschen, die vor Ort helfen. Das ist in vielen Orten im ländlichen Raum die einzige Möglichkeit, sich gegen solche rassistischen Bündnisse zu positionieren: einen Helfer_innenkreis zu bilden und zu merken, dass es noch andere Leute gibt, die ähnlich denken wie ich, um auch Solidarität zu spüren. Hier merken die Menschen: Ich bin nicht allein, ich kann mich mit Gleichgesinnten austauschen und ich muss das nicht öffentlich tun. Denn auf der Straße würden sie mit Aktionsformen konfrontiert, die nicht ihre sind, oder schlimmstenfalls mit Angriffen. Der Helfer_innenkreis ist dann eine gute Methode, um sich finden und austauschen zu können (auf Facebook: Flüchtlingshilfe Einsiedel).

 

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