Wir sprechen mit Markus Klein über die Gida-Ableger in Brandenburg. Er ist kommissarischer Leiter des Brandenburgischen Instituts für Gemeinwesenberatung „demos“ in Potsdam.
Gibt es in Brandenburg regelmäßige Aufmärsche einer Gida-Bewegung?
Es gibt an verschieden Orten in Brandenburg Anti-Asyl-Initiativen. Seit Januar 2015 gibt es „BraMM“ (Brandenburger für Meinungsfreiheit und Mitbestimmung), was wohl als erster „Pegida“-Versuch gewertet werden kann. Das Projekt ist in Brandenburg an der Havel gestartet und wurde von den Republikanern organisiert. „BraMM“ scheiterte schließlich, weil die Demonstrationen augenscheinlich von Rechtsextremen unterwandert wurden. Ursprünglich waren die Adressaten wohl die sogenannten „besorgten Bürger“, die man ähnlich wie bei „Pegida“ mobilisieren wollte.
Dem „Bürgerbündnis Havelland“ in Rathenow und dem Verein „Zukunft Heimat“ in Lübben gelang es zunächst erfolgreich, Bürgerinnen und Bürger zu mobilisieren. Die Unbescholtenheit der Organisatoren war dabei ein wichtiger Faktor. Es handelte sich nämlich nicht um bekannte Rechtsextreme – so entfiel die abschreckende Wirkung von Neonazis auf die Bevölkerung. Dies ist in Brandenburg regelmäßig so: Ruft beispielsweise die NPD zu Demonstrationen auf, dann bleibt die Bevölkerung fern. Vielleicht auch deshalb wählten die Brandenburger Anti-Asyl-Initiativen selten die Selbstbezeichnung (Pe-)Gida.
Aber was ist mit „Pogida“?
„Pogida“ in Potsdam ist die eine der wenigen Anti-Asyl-Initiativen in Brandenburg, die Pegida im Namen tragen und sich auch offen als Pegida-Ableger verstehen. Tatsächlich hat sich Organisator Christian Müller wohl bei „Bärgida“ in Berlin inspirieren lassen. Ich vermute ganz stark, dass „Pogida“ aus dem „Bärgida“-Umfeld unterstützt wird – auch mit Demoteilnehmer_innen aus Berlin. „Pogida“ kann man also meines Erachtens eher als ein Berliner Projekt ansehen, das so gut wie keinen Wiederhall in der Potsdamer Bevölkerung fand. Lediglich Teile der rechtsextremen Szene in Potsdam fühlen sich von „Pogida“ inspiriert.
Gibt es in Brandenburg Gida-Initiativen, die erfolgreicher verlaufen?
Derzeit würde ich den regelmäßigen Demonstrationen in Rathenow und Lübben beziehungsweise Lübbenau die größte Bedeutung in Brandenburg beimessen. Die Teilnehmer_innenzahl ist im Vergleich zur Einwohner_innenzahl beachtlich, auch wenn man bedenkt, dass diese Orte weitaus schwerer zu erreichen sind als beispielsweise Potsdam.
Können Sie die Menschen beschreiben, die in Brandenburg auf die Straße gehen?
Die Teilnehmer_innenstruktur ist landesweit natürlich sehr divers. Die Anti-Asyl-Demos wirken auf Rechtsextreme wie ein Magnet. Es gibt keine Initiative, die nicht von rechtsextremen Akteur_innen begleitet, häufig unterstützt, aber auch organisiert wird.
In Rathenow und Lübben, aber auch in anderen Orten wie Oranienburg, Strausberg und Nauen sind die Demo-Teilnehmer_innen tendenziell männlich, mittleren Alters und stellen einen Querschnitt der Gesellschaft dar. Dominierende Motivation scheint für sie Frust zu sein, aufgestauter Ärger, aber auch die Angst vor Veränderung und dem sozialen Abstieg.
Wie haben sich die Anti-Asyl-Initiativen bisher entwickelt?
Neben dem Effekt, dass die Teilnahme von rechtsextremen Akteur_innen die „Durchschnittsbürger_innen“ vertreibt, wie etwa bei der BraMM, beobachten wir generell, dass die Teilnehmer_innenanzahl nach einem anfänglichen Ansteigen einen bestimmten Peak erreicht und nach einer Weile wieder abnimmt. Häufig, bis nur noch ein rechtsextremer Kern übrigbleibt. Auch saisonbedingte Einflussfaktoren sind nicht zu unterschätzen: In der Lauben-Saison, sprich, wenn das Wetter schöner wird und die Leute sich verstärkt um ihren Garten kümmern, nimmt erfahrungsgemäß das Interesse am Demonstrieren ab.
Wer meldet die Demos an?
Bei der „BraMM“ kommen die Organisator_innen aus dem Umfeld der Republikaner. „Pogida“ wird von jemandem geleitet, der sich in der Presse als ehemaliger NPD-Kader dargestellt hat. An anderen Orten wie etwa in Cottbus versuchte und versucht die NPD, solche Demos zu initiieren Anders ist das in Rathenow. Die Demos dort wurden von zwei bis dahin nicht einschlägig in Erscheinung getretenen Männern initiiert. Sie galten als unbescholten. Es waren also Bürger, die vorher politisch nicht in Erscheinung getreten sind, aber – in ihrer Selbstdarstellung – die aktuelle Situation nicht mehr tatenlos hinnehmen und ihren Protest auf ihre Straße tragen wollten. Trotzdem ist nicht auszuschließen, dass örtliche rechtsextreme Strukturen von Anfang an beteiligt waren. Aber sichtbar waren sie nicht.
Haben sich die beiden Organisatoren von der Nazi-Szene distanziert?
Sie haben jede Nähe oder jeden Kontakt zum organisierten Rechtsextremismus bestritten und sich verbal einigermaßen distanziert. Auf der Straße hatten sie dann sichtlich kein Problem mit den örtlichen rechtsextremen Akteur_innen gemeinsam zu demonstrieren. Selbst als die Beteiligung und Unterstützung durch Rechtsextreme immer eindeutiger und offenkundiger wurde, fand keine faktische Distanzierung statt. Eher das Gegenteil war der Fall.
Man muss sich das so vorstellen: der anfängliche Erfolg hat die beiden Organisatoren unglaublich euphorisiert. Das war für die beiden eine Selbstwirksamkeitserfahrung, die sie bestimmt so noch nicht erlebt hatten. Kritik perlt da dann natürlich an ihnen ab. Man will bestimmte Dinge nicht sehen und wahr haben. Darüber hinaus sind viele Dinge neu. Deshalb scheint jede Unterstützung hilfreich. Die rechtsextremen Kader sind geschult und erfahren, kennen sich etwa mit Versammlungsrecht aus. Sie übernehmen unliebsame Funktionen wie Ordnerdienste. So werden die Rechtsextremen vor Ort immer wichtigere Partner. Die Angriffe von außen bewirken ebenfalls eine stärkere Kooperation mit den rechtsextremen Strukturen. Folglich gewinnen diese im laufenden Prozess an Einfluss. Damit einher geht eine Radikalisierung der Akteur_innen sowie der gesamten Bewegung.
Wie sieht die Abgrenzung zur Nazi-Szene vor Ort bei anderen Demos aus?
Um der Stigmatisierung vorzubeugen und um bürgerliche Demoteilnehmer_innen nicht abzuschrecken, wird im Vorfeld klar formuliert, dass nicht mit einschlägig bekannten Fahnen und Emblemen rechtsextremer Gruppierungen demonstriert werden darf. Es wird sich beschränkt auf die Fahnen, die man aus den Fernsehbildern kennt: Deutschlandfahne, die sogenannte Wirmer-Flagge, Brandenburg-Fahne, Preußenflagge etc.
Welche Rolle spielt die AfD bei all dem?
Einzelne AfD-Funktionäre, Landtags-, Kreistagsabgeordnete oder Stadtverordnete, treten manchmal als Redner_innen auf, bestimmt sind auch einige AfD- Politiker_innen als Teilnehmer_innen dabei. Generell würde ich jedoch sagen, dass sich die AfD bisher eher zurückhält. Möglicherweise liegt das auch an der starken rechtsextremen Beteiligung. Die AfD in Brandenburg möchte auf keinen Fall mit rechtsextremen Akteur_innen in Verbindung gebracht werden.
Welche Themen werden in Reden und auf Plakaten benannt?
Eigentlich dreht sich alles um das Thema Zuwanderung. Werden lokale Themen aufgegriffen, was immer erfolgsversprechend ist, geschieht dies häufig in Bezugnahme auf Zuwanderung. Wenn etwas in der Kommune nicht gut läuft, werden die Probleme immer mit der falschen Zuwanderungspolitik der Bundesregierung verbunden. Also: Wir haben keine ausreichenden Kita-Plätze, aber die Flüchtlinge kommen hier her und halten nur die Hand auf. Die Schule musste geschlossen werden, weil wir Geld für die Flüchtlinge brauchen.
Ist Gender ein Thema?
Wenn über Gender gesprochen wird, dient es vor allen Dingen dazu, sich darüber lustig zu machen und rhetorisch Kapital daraus zu schlagen. Allgemein wird die als auferlegt empfundene Political Correctness angefeindet. Sie wird als Maulkorb empfunden. Und jetzt reicht es, wir wollen endlich sagen können und aussprechen, was wir denken.
Generell ist das vorherrschende Frauenbild meiner Meinung nach kein besonders wertschätzendes. Bei den Reden, die vor allem von Männern gebrüllt werden, offenbart sich ein abwertendes, rückwärtsgewandtes Frauenbild.
Darüber hinaus wird immer wieder Bezug auf die Silvesternacht in Köln genommen und Gerüchte gestreut, die Aussagen wie „ich kann meine Tochter nachts nicht mehr alleine auf die Straße lassen“ untermauern sollen und ein rassistisches Klima erzeugen, erweitern und manifestieren sollen.
Treten auch manchmal Frauen als Rednerinnen auf?
Ja, aber die Männer dominieren das Bühnengeschehen. Und manchmal bringen sie dann eine Frau mit, die dann auch mal was sagen darf. Dann ist es oft eine NPD-Kader-Frau, die sich als besorgte Mutter von 1,2,3 Kindern inszeniert.
Es ist eine „Wolf im Schafspelz“- Strategie. Die Reden beginnen gerne mit: „Als deutsche/r Vater/Mutter von 3 Kindern bin ich sehr besorgt darüber, was derzeit in Deutschland passiert, und weil ich das nicht mehr einfach tatenlos hinnehmen kann, bin ich hier um mit euch zusammen den Protest auf die Straße zu bringen…“
Die rechtsextremen Akteur_innen sehen aktuell eine für sie nutzbare Stimmung in der Gesellschaft. Sie wissen allerdings auch, dass es die Menschen abschreckt, wenn sie selbst in Erscheinung treten. Deshalb tarnen sie sich im „Schafsfell“, um sich die Situation nutzbar zu machen.
Als Gegenbewegung versuchen die örtlichen Aktionsbündnisse für die allgemeine Bevölkerung sichtbar zu machen, welche rechtsextremen Strukturen und menschenverachtenden Ideologien in den Bewegungen enthalten sind.
Immer wieder ist von Hate Speech und Hetze in den Sozialen Netzwerken die Rede. Welche Bedeutung hat Facebook Ihrer Meinung nach für die Proteste?
Facebook ermöglicht eine große Reichweite. Das machen sich erfahrene Campaigner und Demagogen durchaus zu Nutze. Gerade ihnen gelingt hier das Spiel mit den Massen. Parallel dazu gibt es erfahrene Akteur_innen vor Ort, die Proteste und Aktionen auf der Straße organisieren können. Das Aufeinandertreffen dieser beiden Phänomene ermöglicht dann Situationen wie in Freital, als geflüchtete Menschen im Bus am Aussteigen gehindert wurden. Die Offline-Mobilisierung ist mittlerweile ohne die Online-Mobilisierung kaum zu denken – dasselbe gilt umgekehrt.
Und Gegenprotest …?In Brandenburg bleibt asylkritischer Protest fast nirgends unwidersprochen. Viele lokale Initiativen oder örtliche Aktionsbündnisse gegen Rechts haben aber sichtlich Schwierigkeiten in der Auseinandersetzung mit den sogenannten „Pegida“-Bewegungen.
Es ist deutlich leichter Menschen gegen Nazis zu mobilisieren, die auch offensichtlich als solche erkennbar sind. Gegen eine Demonstration wie jene des „Bürgerbündnisses Havelland“ ist es schwieriger, Menschen auf die Straße zu bekommen. Da sind eben nicht nur Nazis, sondern vielleicht auch meine Nachbarin und der Bäcker um die Ecke. Aber dennoch vertreten die Demonstrant_innen eine Ideologie und ein Menschenbild, das die Menschen an diesem Ort nicht haben wollen. Diese Doppelbotschaft muss klar formuliert werden. Das bedarf einer differenzierten Auseinandersetzung und ist alles andere als einfach.
Es ist immer wieder zu hören, dass man mit den Menschen sprechen und ihre Ängste ernstnehmen müsse. Wie sehen Sie das?
Schon alleine durch die Situation eines Protestes und des Gegenprotestes entwickeln sich zwei aufeinander reagierende Pole. Die zwei Pole sind jeweils am anderen orientiert, so wird eine Polarisierung weiter vorangetrieben – sie stoßen sich dynamisch ab.
Daher bin ich davon überzeugt, dass es wenig bringt, wenn ein Bürgermeister bei einer „Pegida“- ähnlichen Veranstaltung den Menschen Rede und Antwort steht. Es fände keine Diskussion statt, da die Bereitschaft des Zuhörens bei solchen Veranstaltung häufig nicht stark ausgeprägt ist. Daher sollte man über kleinere Gesprächsrunden nachdenken und Angebote schaffen, die eine wirkliche Diskussion ermöglicht.
Hat sich durch die GIDA-Bewegung das Klima in der Kommune (nachhaltig) verändert?
Die Gründe, warum die Leute auf die Straße gehen, sind nicht weg, nur weil die Teilnehmer_innenzahlen abnehmen. Die Menschen sind unzufrieden. Ich glaube, dass es längerfristig darum gehen muss, die lokale demokratische Praxis zu überdenken: Gibt es andere Formen von Beteiligung und Mitsprachemöglichkeiten als bisher? Kann man bestimmte Entscheidungsprozesse transparenter und leichter zugängig zu machen? Die Generalkritik lautet ja, die da oben hören mich gar nicht und interessieren sich nicht für mich.
Ob sich das Klima durch die Proteste nachhaltig verändert, liegt vor allem daran, wie die Kommune damit umgeht. Wenn die Verantwortlichen nur ein Schulterzucken für die Probleme der Menschen übrig haben, sich umdrehen und weitermachen wie bisher, wird der Unmut bleiben und wieder an anderer Stelle ausbrechen. In diesem Sinne sollten die Demonstrationen ernst genommen werden: Als Anreiz, zu schauen, woher die Unzufriedenheit kommt. Es gilt, zu erkunden: Welche Themen stecken hinter den vorgetragenen Themen und wie können wir die in Angriff nehmen?
Das Interview führte Theresa Singer, freie Mitarbeiterin der Fachstelle Gender und Rechtsextremismus.
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