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Polen Zehntausende Nationalisten zogen beim Unabhängigkeitsmarsch durch Warschau

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Am 11. November 2022 fand in Warschau der rechte Unabhängigkeitsmarsch statt (Quelle: Kira Ayyadi)

Bereits am Vormittag waren zahlreiche Stände im Stadtzentrum von Polen aufgebaut. Hier wurden Kuscheltiere, Obst und allerhand Kitsch in den polnischen rot-weißen Nationalfarben verkauft. Von Schals, Blumenkränzen und Armbinden war alles dabei, was das patriotische polnische Herz höher schlagen lässt. Auch Embleme mit antikommunistischer, christlicher und anti-queerer Symbolik wurden hier verkauft. Immer mehr Menschen versammelten sich bis 14 Uhr auf dem Rondo Romana Dmowskiego. Der Platz versank in einem Fahnenmeer. 

Bevor der Marsch begann, beteten die Teilnehmenden noch gemeinschaftlich. Viele knieten auf dem Boden und hielten ihre Rosenkränze in den Händen.

Dann wurden etliche rote Bengalische Fackeln gezündet.

Schließlich setzte sich der Marsch in Bewegung. Vom Dmowski-Kreisverkehr, über die Aleje Jerozolimskie und die Poniatowski-Brücke zum Gelände des Fußballstadions.

Vorweg fuhr eine Motorradgruppe, dahinter kamen Männern auf Pferden in historischen Kostümen und Menschen in unterschiedlichen Militär-Kostümierungen. Dann kamen die zahlreichen verschiedenen Blöcke der Demonstration. 

Das zentrale Thema an diesem Tag war der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Der rechtsextreme Politiker Grzegorz Braun forderte mit seinem Transparent etwa „Stoppt die Ukrainisierung Polens“. Die meisten Teilnehmer*innen zeigten sich jedoch solidarisch mit der Ukraine. Am sichtbarsten war dies wohl im letzten Demo-Block, bei den Neonazis, den Autonomen Nationalist*innen. 

Die Transparente und die Symbolik in den Neonazi-Blocks waren eindeutig. Sie reichten von „White Lives Matter“, schwarzer Sonne bis hin zu „White Pride“-Symbolik. Die Neonazis waren beinahe ausschließlich mit Sturmhauben vermummt. Viele von ihnen scheinen einen Hooligan- oder Ultra-Bezug zu haben.

An der Poniatowski-Brücke wurde eine lebensgroße Puppe mit dem Gesicht von Wladimir Putin erhängt. Ein Teilnehmer, der sich pro-russisch gegenüber dem rechtsextremen schwarzen Block äußerte, wurde von Neonazis die Straße lang gejagt und schließlich von knapp 15 Rechtsextremen verprügelt. Er erlitt eine stark blutende Wunde am Kopf.

Während der gesamten Strecke war kaum Polizei zugegen. Die hatte im Vorfeld die Demonstrations-Route großflächig abgeriegelt. Die Sicherung der Veranstaltung oblag ausschließlich einer extrem rechten, paramilitärisch auftretenden Gruppe, dem „Straż Marszu Niepodległości“ (SMN), die gleichzeitig auch Veranstalter des Marsches sind. Da zu jener Zeit keine Sicherheitskräfte zugegen waren, entstand damit ein quasi rechtsfreier Raum.

Die Geschichte des Marsches beginnt 1996. Bis 2001 wurde er von der rechtsextremen Partei Nationale Wiedergeburt Polens (Narodowe Odrodzenie Polski, NOP) organisiert. 2003 übernahm dann die rechtsextreme Jugendorganisation Allpolnische Jugend (Młodzież Wszechpolska, MW). Ab 2006 beteiligte sich das antisemitische National Radikale Lager (Obóz Narodowo-Radykalny, ONR) an der Organisation. Später wurden Allpolnische Jugend und National Radikale Lager von der rechtsextremen Dachorganisation und politischen Partei Nationale Bewegung (Ruch Narodowy, RN) unterstützt. 2011 gründeten die Organisatoren die Vereinigung „Unabhängigkeitsmarsch“, (Straż Marszu Niepodległości, SMN). Seither tritt dieser paramilitärische Sicherheitsdienst als Organisator der Veranstaltung auf. Ihr Vorsitzender ist Robert Bąkiewicz, ein ehemaliger Führer der ONR. Der alljährlich stattfindende Marsch gilt als die größte von Rechtsextremen organisierte Demonstration in Europa.

Der Block von Obóz Narodowo-Radykalny (ONR)

Auch aus dem Ausland reisten Nationalist*innen an, etwa aus Spanien, Italien, Belarus und Deutschland. Eine Person trug Symbolik der deutschen faschistischen Kleinpartei „III. Weg“. Auch Personen mit der Fahne des rechtsextremen ukrainischen Asow-Batalion waren vor Ort.

Asow-Fahne

In den vergangenen Jahren kam es immer wieder zu Ausschreitungen und regelrechten Straßenschlachten. Entweder richtete sich die Gewalt gegen rechte Feindbilder oder gegen die Polizeikräfte. In diesem Jahr blieben Gewalteskalationen glücklicherweise größtenteils aus.

Zwar ist die Veranstaltung durch die amtierende Regierung legitimiert und selbst der polnische Justizminister Zbigniew Ziobro beteiligte sich. Und obwohl sie einen starken Volksfestcharakter hat und viele Familien samt ihrer Kinder hier jährlich herkommen, war der Unabhängigkeitsmarsch in Warschau auch dieses Jahr wieder die größte rechte Demonstration Europas. Obwohl mit Sicherheit nicht alle Beteiligten rechtsextreme Ideologien teilen, so werden hier doch nationalistische und Ungleichwertigkeitsvorstellungen vertreten und verbreitet. 

Familien besuchten den Marsch teilweise mit ihren Kindern. Im schwarzen Block der Neonazis saß ein Kind mit Sturmhaube auf den Schultern eins Erwachsenen.

Antifeministische Abtreibungsgegner*innen schockierten etwa mit grausamen Transparenten, auf denen blutverschmierte Föten zu sehen sind. Ein anderes Plakat machte deutlich, dass Muslime, nicht willkommen seien. 

Rassistisches Plakat

Personen aus einem der neonazistischen Blocks inszenierten sich medienwirksam und verbrannten eine Europa- und eine Pride-Flagge. Sie schrien antisemitische Parolen und riefen dazu auf, Palästina im Kampf gegen Israel zu verteidigen. 

Der Marsch endete schließlich am Fußballstadion, wo eine große Bühne mit Programm die Teilnehmenden empfing. Diese jedoch feierten sich in der Mehrzahl lieber selbst, zündeten Bengalos und schwenkten ihre Fahnen mit rechter Symbolik.  

Der Marsch diente offenbar auch als rechtsextremes Vernetzung-Treffen

 

Noch mehr Bilder vom Unabhängigkeitsmarsch aus Warschau:

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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