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Politiker*innen fordern „digitales Vermummungsverbot“, aber Warum Klarnamenpflicht nicht gegen Hass im Netz hilft

Ob Menschen im Internet Hass verbreiten, liegt nicht an Anonymität oder Klarnamen (Symbolbild). (Quelle: Pixabay/Ryan Mc Guire)

„Ich bin für Meinungsfreiheit. Aber ich möchte über den Umgang miteinander im Netz reden“, erklärte Karrenbauer in einem Interview mit der „Bild am Sonntag“ (Paywall) weiter. „Wir müssen darüber reden, ob im Netz alles erlaubt sein darf. Oder ob wir nicht eine strengere Netiquette brauchen.“ Die CDU-Chefin hatte zuvor viel Kritik für ihre „Meinungsmache“-Aussagen eingesteckt und Nutzer*innen warfen ihr vor, die Meinungsfreiheit im Internet einschränken zu wollen.

Doch auch andere Unionspolitiker*innen haben sich für eine eindeutige Identifizierbarkeit von Internet-Nutzer*innen ausgesprochen. Dem Nachrichten-Magazin „Der Spiegel“ gegenüber begründete der Bundestagspräsident und ehemalige Innenminister Wolfgang Schäuble seine Forderung nach Klarnamen im Netz: „Für eine offene Gesellschaft ist es schwer erträglich, wenn sich die Menschen bei Debatten im Internet nicht offen gegenübertreten“.

Und dabei ist die Forderung nach der Klarnamenpflicht keine genuin konservative Sache: „Politische Debatte funktioniert nur mit Gesicht. Ob im Bierzelt oder im Netz“, schreibt Daniel Mack, ein ehemaliger hessischer Landtagsabgeordneter für Bündnis 90/Die Grünen. In seinem Kommentar aus dem September 2018 für die Tageszeitung taz heißt es weiter, dass „Kommunikation von persönlich Verantwortlichen lebt. Dass auf einem politischen Plakat oder Flyer neben einer Adresse auch ein Name stehen muss.“ Die Namen der Nutzer*innen müssten seinem Vorschlag folgend nicht zwingend öffentlich sichtbar sein. Die Netzwerke jedoch sollten sie – gesetzlich vorgeschrieben – erheben und speichern, etwa durch eine Anmeldung mit einer Kopie des Personalausweises. Auf richterliche Anordnung hin könnten die Netzwerke dann gezwungen werden, diese Daten auch herauszugeben.

Genau diese Vorgehensweise sieht ein geplantes Gesetz in Österreich vor, auf den sich auch Schäuble positiv bezieht: Die inzwischen zerbrochene Regierungskoalition aus ÖVP und FPÖ hatte in ihrem Gesetzentwurf zum „digitalen Vermummungsverbot“ geplant, dass sich Nutzer*innen von Plattformen mit mehr als 100.000 Nutzer*innen registrieren und mit Namen und Adressdaten identifizieren müssten – egal ob Online-Foren, Nachrichten-Angeboten oder Sozialen Netzwerken. Nach dem Scheitern der Koalition gilt die Umsetzung im Nachbarland zunächst aber als unwahrscheinlich.

Klarnamenpflicht – was bringt das im Kampf gegen Hass und Menschenverachtung?

Ist eine solche Regelung ein angemessenes Instrument, um menschenverachtende Aussagen im Internet zu verhindern? Hinter der Forderung nach einer Pflicht zum bürgerlichen Namen steht der Gedanke, dass die Nutzer*innen enthemmt andere beleidigen oder ganze Gruppen von Menschen diffamieren und herabwürdigen, weil sie sich hinter Pseudonymen und falschen Profilbildern verstecken könnten. Die Regelung soll außerdem eine einfachere Strafverfolgung ermöglichen.

Zunächst zum zweiten Argument: Tatsächlich ist es den Behörden bereits heute möglich, Verfasser*innen rechtswidriger Kommentare zu identifizieren ­– und zwar in Zusammenarbeit mit den Netzwerkbetreibern und anhand der IP-Adresse mit den Internetprovidern. Das zeigen auch die öffentlichkeitswirksamen Razzien, die erst in der vergangenen Woche stattfanden. Im Rahmen des vierten „Aktionstags zur Bekämpfung von Hasspostings“ ging das Bundeskriminalamt in 38 Fällen gegen die mutmaßlichen Urheber von Hasskommentaren vor – in 13 Bundesländern wurde Wohnungen durchsucht, Geräte beschlagnahmt und Verdächtige vernommen.

Facebook fordert seine Nutzer*innen ohnehin seit jeher dazu auf, ihre echten Namen zu verwenden. Immer wieder werden auch Accounts vorübergehend gesperrt und die Nutzer*innen aufgefordert, die Scans von Ausweispapieren hochzuladen, um echte Namen zu erzwingen.

Und bremst ein Zwang zu echten Namen die häufig diagnostizierte Enthemmung? Ein erheblicher Teil von strafbaren und nicht-strafbaren, aber menschenfeindlichen Postings wird ohnehin unter den echten Namen der Autor*innen veröffentlicht – wie der Fall Sigrid Maurer oder jüngst der Fall des getöteten Walter Lübcke unter Beweis gestellt haben. Klarnamen sind eben kein Schutz vor Angriffen, wenn es unter den User*innen gar kein Unrechtsbewusstsein gibt. Die Tatsache, dass Menschen auch mit ihren echten Namen hetzen, ist sogar wissenschaftlich erwiesen.

Wissenschaftlich belegt: Menschen hetzen auch unter Klarnamen

Die Züricher Forscher*innen Katja Rost, Lea Stahel und Bruno Frey haben in ihrer Untersuchung aus dem Jahr 2016 mehr als 500.000 Kommentare auf der deutschen Plattform „Open Petition“ untersucht. Die Untersuchung ergab, dass die Verfasser*innen von Hasskommentaren, die unter ihrem vollen Namen posten, sogar häufiger sind als anonyme Hasskommentatoren. Die Forscher*innen erklären dieses Verhalten damit, dass echte Namen überzeugender wirkten. Die Kommentator*innen würden mit ihrem Verhalten eine vermeintliche Risikobereitschaft signalisieren, indem sie ihre Meinungen öffentlich kundtun – und dabei häufig gegen eine zumindest von ihnen imaginierte „political correctness“ verstoßen. „Die Abschaffung der Anonymität führt daher nicht automatisch zum Verschwinden von Hass-Stürmen, sondern möglicherweise gar zu deren Zunahme“, gibt die Soziologin Lea Stahel zu bedenken.

In Südkorea gab es ein Online-Anonymitätsverbot sogar schon seit 2007. Alle, die auf großen Websites kommentieren wollten, mussten sich vorher mit ihrer Einwohnernummer registrieren. Wie die Journalistin Ingrid Brodnig in ihrem Blog schreibt, löste die Identifikationspflicht das Problem keinesfalls: „Kurz nach Einführung des Gesetzes hielten sich die Internetuser tatsächlich leicht zurück – bald darauf wurde der Ton aber wieder härter. Dezidierte Schimpfworte gingen zwar leicht zurück, aber dafür nutzten User andere, kreativere Beleidigungen.“ Die staatlich verordnete Datensammlung hatte einen anderen, unschönen Nebeneffekt: Hacker, die in die Datenbanken der betreffenden Websites eindrangen, erbeuteten nun nicht nur Namen und Mailadressen – sondern auch dazugehörige Einwohnernummern im großen Stil.

Eine Einschränkung der Meinungsfreiheit im Netz?

Das Gesetz wurde als sehr ineffizient eingestuft – und schon 2012 wieder abgeschafft. Südkoreanische Richter urteilten: „Einschränkungen der Meinungsfreiheit können nur damit gerechtfertigt werden, dass sie dem öffentlichen Interesse dienen. Eine massive Abnahme illegaler Postings hat sich bisher nicht gezeigt.“ Eine Einschränkung der Meinungsfreiheit fürchtet auch Markus Hartmann, Oberstaatsanwalt in Nordrhein-Westfalen und engagiert im Projekt „Verfolgen statt nur Löschen“. Aus seiner Sicht genügen die bereits bestehenden gesetzlichen Instrumente, erklärte er gegenüber dem Kölner Staats-Anzeiger: „Als Strafverfolger mit großem Interesse, Personen eindeutig identifizieren zu können, bin ich der Meinung: Es muss ein Recht auf anonyme Äußerungen geben. Sind diese strafrechtlich relevant, müssen wir die Anonymität im Einzelfall durchbrechen. Für diese Aufgabe sind wir mit den IT-Instrumenten, die wir haben, gut aufgestellt.“

Außerdem ist Möglichkeit, sich anonym über Themen austauschen zu können, ein essentielles Moment des Internets: Etwa für Betroffene von rechtsextremer und rassistischer Gewalt, die vor Ort keine oder nur wenig Unterstützung erfahren. Für Whistleblower. Für Menschen, die über ihr Leben als Transperson in Mecklenburg-Vorpommern twittern. Für Journalist*innen, die in Facebook-Gruppen investigativ über rechtsextreme Terrorpläne recherchieren.

Gegen Hate Speech und Menschenverachtung müssen wir entschlossen kämpfen. Aber ein Ende der Anonymität im Internet ist dabei nicht hilfreich. Besser wäre es, wenn den Strafverfolgungsbehörden mehr Ressourcen und besser geschultes Personal im Hinblick auf Internetkriminalität zur Verfügung stünden. Wenn die Politik konsequent an der Seite von Betroffenen von Hate Speech stehen würde und ihnen Anonymität und kompetente Beratung zusichern würde. Wenn die Sozialen Netzwerke endlich anfangen würden, alle Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit konsequent zu sanktionieren und gezielte Desinformation nicht als Mittel zur Reichweitensteigerung anzusehen. Wenn Medienseiten mehr Moderator*innen für ihre Kommentarbereiche einsetzen und Hate Speech dort nicht unkommentiert stehen lassen würden. Wenn alle User*innen sich schützend vor angegriffene Minderheiten stellen würden.

 

Die Studie der Universität Zürich als Volltext

Katja Rost, Lea Stahel, and Bruno S. Frey. Digital Social Norm Enforcement: Online Firestorms in Social Media. PLoS ONE. June 17, 2016. DOI: 10.1371/journal.pone.0155923

 

Autor Oliver Saal arbeitet für Civic.net – Aktiv gegen Hass im Netz der Amadeu Antonio Stiftung.

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