Allein im Jahr 2020 wurden über zwanzig Strafverfahren wegen rechtsextremer Vorfälle gegen Berliner Polizist*innen eingeleitet: Von der rechtsextremen Polizeichatgruppe bis zum Hakenkreuzradio reichte die Bandbreite. Erschreckend für Opfer rechtsextremer Gewalt und unangemessen für die Polizei eines demokratischen Staates. Um solchen Entwicklungen nun entgegen zu treten, gab die seit 2018 amtierende Polizeipräsidentin Barbara Slowik am 22. Februar 2021 die Einrichtung einer polizeiinternen Ermittlungsgruppe bekannt. Der Hintergrund sind diverse rechtsextreme Vorfälle und Verwicklungen, insbesondere rund um die Neuköllner Anschlagsserie (vgl. Belltower.News). Allein im Jahr 2020 gab es 24 Strafverfahren gegen Berliner Polizist*innen, aufgrund rechtsextremer Vorfälle und 47 Disziplinarverfahren wegen rechtsextremen und/oder rassistischen Verdachtsfällen. Dabei war es neben rechtsextremen Chats unter anderem auch zu einem besonders skurrilen Fall gekommen, bei dem Polizeibeamte in Uniform ein Radio mit Hakenkreuz-Motiv kauften (vgl. rbb24). Nicht skurril, aber dafür umso erschütternder, waren die Vorwürfe gegenüber dem Beamten Stefan K., der sich an einer rassistisch motivierten Gewalttat gegen einen 26 Jahre alten Afghanen beteiligt haben soll, um nur ein paar Beispiele zu nennen (vgl. Belltower.News).
Die Fälle innerhalb der Berliner Polizei reihen sich in eine Vielzahl von bundesweiten rechtsextremen Vorkommnissen, Gruppen und Verbindungen ein, die 2020 bekannt wurden. Hierzu zählten unter anderem die Drohbriefe des sogenannten „NSU 2.0“, deren Empfängeradressen die Täter*innen von Polizeicomputern aus abgefragt hatten; die rechtsextreme Terrorzelle S., die mehrere Anschläge plante und in der ein Polizist aus Hamm Mitglied war; sowie unzählige polizeiinterne Chatgruppen, in denen rechtsextreme und rassistische Inhalte ausgetauscht wurden. Ebenfalls zur Problematik gehören die Vorfälle rund um eine seit 2016 andauernde Anschlagsserie im Berliner Stadtteil Neukölln. Die Serie zählte seit Beginn 73 Vorfälle, darunter 23 Brandstiftungen (vgl. Belltower.News). Grund für das negative Medienecho zu den Ermittlungen zur Anschlagsserie war lange Erfolglosigkeit. Dann lag der Verdacht auf eventuell befangene Staatsanwält*innen und der Verdacht von Verbindungen zwischen einem der ermittelnden Beamten und dem Haupttatverdächtigen, Tilo P., vor. Im August vergangenen Jahres wurden schließlich zwei der verantwortlichen Staatsanwält*innen von den Ermittlungen abgezogen (vgl. taz). Auslöser für den Schritt war der Verdacht, einer der ermittelnden Staatsanwälte habe Verbindungen zum Tatverdächtigen Neonazi Tilo P. Der Verdacht entstand in einem Telefonat, das Behörden observierten. Dort äußerte der Verdächtige sinngemäß, dass der ermittelnde Staatsanwalt ihm gesagt habe, er bräuche sich keine Sorgen um eine Verurteilung zu machen, da er (der Staatsanwalt) selbst AfD wähle. Inwiefern dies tatsächlich der Wahrheit entspricht ist noch unklar. Im Bericht zum Zwischenstand sagte Polizeipräsidentin Barbara Slowik im Februar 2021, es habe keine Hinweise auf Beschönigungen und Versäumnisse gegeben. Der Sonderermittler Herbert Diemer, ein früherer Bundesanwalt, sagte laut Berlin.de: „In der Hinsicht müsse man Vertrauen haben.“ Nur ist das Betroffenen abhanden gekommen.
Im September 2020 wurde, laut Berichten des Tagesspiegels, ein Ermittler des Landeskriminalamts verdächtigt, sich mit dem ebenfalls Hauptverdächtigen Sebastian T. in einer Kneipe getroffen zu haben (vgl. Tagesspiegel). Auch hier konnten, wie im Falle des Staatsanwalts, viele Zweifel nicht geklärt werden. Auch hier wurde der Beamte aus den Ermittlungen abgezogen.
Gründe, die Sonderermittlungsgruppe einzusetzen, hat die Berliner Polizei also mehr als genug. Inwiefern sich allerdings einer Ermittlungsgruppe, die ebenfalls Teil der Sicherheitsbehörden ist, als unabhängig genug erweist, bleibt abzuwarten. Menschen, die selbst innerhalb der Sicherheitsbehörden sozialisiert wurden und praktisch Kolleg*innen sind, könnten einem gewissen Bias in ihren Bewertungen unterliegen. Jüngst wurden erste Ergebnisse interner Ermittlungen zu rechtsextremen Polizei-Chatgruppen in NRW bekannt (vgl. Presseportal). Hier ermittelte das Innenministerium gegenüber Polizist*innen, die sich in Chatgruppen vernetzten und rechtsextreme Inhalte austauschten. Nun wies der NRW-Innenminister Herbert Raul weit von sich, , dass es sich um „ein rechtsextremes Netzwerk“ innerhalb der Polizei handele. Es seinen viel mehr „private Chatgruppen“ mit „rechtsextremen Inhalten“ gewesen. Welchen Unterschied er zwischen beiden Beschreibungen sehe, erläuterte er nicht. Pikant an diesem Fall: Zu den Äußerungen kam es, weil die Polizei-Zeitung Die Streife einen Artikel zu „Rechtsextremismus bei der Polizei NRW“ geschrieben hatte – der offenbar der Polizeileitung missfiel, weil er zuvor nicht vorgelegt worden war (vgl. WDR).
So drängt sich der Eindruck auf, dass unabhängige Polizeibeauftragte außerhalb der Polizei-Strukturen der Aufklärung guttun würden