Das sächsische LKA steht unter Beschuss, die Vorwürfe wiegen schwer: Gegen 17 Angehörige einer Spezialeinheit wird ermittelt – wegen Diebstahl, Verstößen gegen das Waffengesetz und Bestechlichkeit. Polizisten des Mobilen Einsatzkommandos Dresden sollen 7.000 Schuss Munition von der Polizei entwendet haben, die sie als Gegenleistung für ein privates Schießtraining genutzt haben sollen – ausgerechnet bei der Schießanlage „Baltic Shooters“ in Güstrow, die von einem Mann mit mutmaßlicher Verbindung zum rechtsextremen Preppernetzwerk „Nordkreuz“ betrieben wird.
Der Mann heißt Frank T., gilt als Waffenexperte und ist ein mehrfach ausgezeichneter Sportschütze. In Sicherheitskreisen genießt der 53-Jährige einen besonderen Ruf: Er bildet Polizist*innen und Militärs aus aller Welt aus, auch SEK-Einheiten und Elitekommandos. Jedes Jahr organisiert er einen „Special Forces Workshop“, dort kann man taktisches Schießen zwischen Autowracks in der mecklenburgischen Provinz üben.
Doch „Baltic Shooters“ gilt auch als Treffpunkt für Rechtsextreme: Ein Ausbilder des Schießplatzes, der frühere Bundeswehrsoldat und SEK-Beamte Marko G., soll „Nordkreuz“-Mitglied sein. Ehemalige Kolleg*innen bei der Polizei werfen ihm vor, sich auffällig für den Nationalsozialismus und insbesondere für die SS zu interessieren. Auch Frank T. soll laut Spiegel zeitweise Mitglied der „Nordkreuz“-Chatgruppe gewesen sein. Nach Informationen der taz war er Teil der rechten 40-köpfigen Preppergruppe, die sich auf den Zusammenbruch des Staates am „Tag X“ vorbereitet und die Hinrichtung vermeintlicher politischer Gegner*innen aus dem linken Spektrum geplant haben soll. Laut dem Innenministerium in Schwerin habe das LKA in Mecklenburg-Vorpommern bereits im Mai 2019 rechtsextreme Bestrebungen bei Frank T. festgestellt, nachdem Chats zwischen ihm und Marko G. ausgewertet worden seien.
Hinzu kommt, dass „Nordkreuz“-Mitglieder sich alle paar Wochen zum Schießen in Güstrow getroffen und ihre Munition dort gekauft haben sollen (vgl. Spiegel). Wegen solcher Verbindungen musste im November 2020 der mecklenburg-vorpommerische Innenminister Lorenz Caffier (CDU) sein Amt räumen, nachdem bekannt wurde, dass er eine Pistole von Frank T. kaufte. Caffier war bis September 2018 auch Schirmherr des „Special Forces Workshop“ in Güstrow und besuchte die Schießanlage regelmäßig.
Und nun steckt das Mobile Einsatzkommando Dresden mittendrin: Vier Beamte inklusive des Kommandoführers stehen wegen Diebstahl, Verstöße gegen das Waffengesetz und Bestechlichkeit unter Verdacht, die restlichen 13 Mitglieder der Einheit wegen Beihilfe zum Diebstahl. Das Schießtraining bei „Baltic Shooters“ im November 2018 wurde laut dem sächsischen LKA nicht genehmigt, im Gegenteil: Nachdem es beantragt wurde, wurde es durch den Vorgesetzten untersagt. Die Einheit fuhr trotzdem nach Mecklenburg-Vorpommern und bezahlte offenbar mit gestohlener Munition. Doch was sollte dort trainiert werden und aus welchen Gründen wurde es nicht genehmigt? Dringende Fragen, zu denen es noch keine Antwort gibt.
Das wird nun personelle Konsequenzen haben: Am Mittwoch, den 30. März 2021, seien im Großraum Dresden die Privatwohnungen und Diensträume der Beschuldigten durchsucht worden, heißt es in der Pressemitteilung des LKA. Gegen die vier Hauptverdächtigen verhängte die Behörde ein sofortiges Dienstverbot, die weiteren 13 Beschuldigten seien zunächst in andere Bereiche versetzt worden. Gegen alle 17 seien Disziplinarverfahren eingeleitet worden.
Der Vorfall bietet womöglich die Antwort auf ein brisantes Rätsel: Im Zuge der „Nordkreuz“-Ermittlungen wurden Munition von Sicherheitsbehörden bei Preppern des rechtsextremen Netzwerks gefunden. Bei Marko G. wurden über 100 Patronen aus sächsischen Polizeibeständen gefunden, wie aus einer Kleinen Anfrage der Linksfraktion im sächsischen Landtag hervorgeht. Gegen Frank T. laufen derzeit mehrere Ermittlungsverfahren: Seit langem steht der Verdacht im Raum, dass sich T. mit geklauter Behördenmunition bezahlen ließ. Bis heute verfügt Frank T. allerdings immer noch über eine waffenrechtlichen Genehmigung und eine Waffenverkaufslizenz. Eine Entscheidung die Waffenbehörde um deren Entzug steht noch aus.
Auf Anfrage von Belltower.News sagt ein Sprecher des Landespolizeipräsidiums in Sachsen, dass es zum gegenwärtigen Ermittlungsstand bei den Beschuldigten bisher keine Anhaltspunkte für eine rechtsextreme Weltanschauung oder Verbindungen zu rechtsextremen Personen oder Gruppen gebe. Die Ermittlungen betreffen sowohl dienst- und disziplinarrechtliche, als auch strafrechtliche Vorwürfe. Grundlegend könne ein Beamter aus dem Beamtenverhältnis ernst entfernt werden, wenn es zu einer strafrechtlichen Verurteilung von mindestens einem Jahr kommt.
Aus den Reihen der Opposition im sächsischen Landtag hagelt es Kritik: Kerstin Köditz, sächsische Landtagsabgeordnete und Fraktionssprecherin der Linken für Innenpolitik und antifaschistische Politik, sagt Belltower.News, dass die Verbindungen aus der sächsischen Polizei zum Komplex „Nordkreuz“ zwar bereits bekannt waren, der Umfang des Vorgangs und die kriminelle Energie der Polizisten sei allerdings tatsächlich eine Überraschung: „Es fällt auf, dass immer wieder die geschlossenen Polizeiverbände wie MEK und SEK negative Schlagzeilen produzieren. Dort ist die Tendenz zu einem Selbstverständnis als ‚Elite‘ und zur Entwicklung von Korpsgeist besonders ausgeprägt.“
Es ist lediglich die Spitze des Eisbergs: Wenn sogar im Landeskriminalamt eine solche Einheit offenbar völlig der Kontrolle des Präsidenten entgleite und dieser das noch nicht einmal bemerke, so Köditz weiter, sei zu befürchten, dass auch an anderer Stelle gravierende Missstände in dieser Hinsicht bestehen. Dass die Polizei nach solchen Vorfällen dann immer nur gegen sich selbst ermittelt, findet Köditz problematisch: Sie fordert deshalb eine wissenschaftliche Studie zu den Einstellungen von Polizeibeamt*innen in Sachsen sowie eine Sonderstaatsanwaltschaft nach britischen oder dänischen Vorbild mit eigenständigen, weitgehenden Befugnissen, Personal und Ressourcen, die unabhängig arbeitet. „Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Und das System, dass Polizei gegen Polizei ermittelt, hat sich in der Praxis nicht bewährt.“
Ähnlich sieht es Valentin Lippmann, Grünen-Abgeordneter im sächsischen Landtag und Fraktionssprecher für Innenpolitik und Rechtsextremismus: „Die Dimension der in Rede stehenden Vorwürfe macht mich fassungslos“, sagt er Belltower.News. Lippmann hat viele Fragen: Welchen Kontakt hatten die beschuldigten Beamten zu „Nordkreuz“? Gibt es Erkenntnisse über weitere entsprechende Schießübungen sächsischer Polizisten? Wie kann überhaupt eine solch große Menge Munition bei der Polizei einfach verschwinden und wer trägt dafür die Verantwortung? Welche Erkenntnisse gibt es über einen rechtsextremen Hintergrund? „Bei diesen gravierenden Vorwürfen darf jetzt keine Frage offen bleiben und weder Ermittlungsansätze noch personelle Konsequenzen voreilig ausgeschlossen werden“, so Lippmann. „Hier geht es nicht um individuelle Verfehlungen oder Einzelfälle, sondern mögliche strukturelle Probleme bei den Spezialeinheiten der Polizei.“
Auf Anfrage von Belltower.News bestätigt ein Pressesprecher der sächsischen Polizei, in den vergangenen vier Jahren seien lediglich bei 37 von über 14.000 Bediensteten Sachverhalte im Zusammenhang mit rechtsextremer oder rassistischer Verhaltensweisen geprüft worden (Stand: 31. Dezember 2020). Auf die Frage, ob diese Zahlen ein akkurates Bild des Problems mit Rechtsextremismus bei der Polizei in Sachsen gibt, wollte der Pressesprecher keine Antwort geben.