Schon wieder erschüttert ein Polizeiskandal die Bundesrepublik. Schon wieder geht es um rechtsextreme Chats. Schon wieder in Hessen. Beamte des Spezialeinsatzkommandos (SEK) aus Frankfurt sollen in Chats volksverhetzende und nationalsozialistische Beiträge ausgetauscht haben. Hessens Innenminister Beuth reagiert mit einem drastischen Schritt und löst die Spezialeinheit auf.
Bei Ermittlungen zu Kinderpornographie stießen Ermittler:innen auf rechtsextreme Chats
Alles begann mit einem Hinweis einer Privatperson, dass ein Polizeibeamter straffällig geworden sein soll, berichtet Spiegel Online. Die Staatsanwaltschaft Mainz ermittelte zunächst gegen den 38-jährigen SEK-Beamten aus Frankfurt wegen des Besitzes und der Verbreitung kinder- und jugendpornografischer Schriften. Die Ermittler:innen bewirkten einen Durchsuchungsbeschluss und stellten unter anderem Handys sicher, wie das hessische Landeskriminalamt am Mittwoch mitteilt.
Während der Auswertung der Datenträger stießen die Ermittelnden auf Chatgruppen mit nationalsozialistischen und volksverhetzenden Inhalten. Die Spur führte von Rheinland-Pfalz, wo der Polizist lebte, nach Frankfurt am Main. Dort, bei der Eliteeinheit SEK, der Frankfurter Polizei, arbeitete der Mann.
Die Frankfurter Staatsanwaltschaft hatte am Mittwoch, den 9. Mai, die Ermittlungen gegen die 20 Polizisten öffentlich gemacht. Allesamt Männer im Alter von 29 bis 54 Jahren, 19 von ihnen noch im aktiven Dienst beim SEK. Auf dem Handy des 38 Jahre alten Beamten fanden die Ermittler:innen Chats, die nahelegen, dass seine Kollegen und er Hitlerbilder, Hakenkreuze und Beleidigungen gegen Geflüchtete ausgetauscht haben. 17 der 20 beschuldigten Männer sollen untereinander diese Inhalte getauscht haben. Bei den anderen drei Beschuldigten handelt es sich um Vorgesetzte, die trotz Kenntnis der strafbaren Vorgänge nicht eingeschritten seien. Die Chats stammen nach Angaben des Innenministers überwiegend aus den Jahren 2016 und 2017. Die letzten Nachrichten stammen laut Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt von Anfang 2019. Am Mittwoch wurden bei einer Razzia Wohnungen von sechs Beschuldigten im Alter zwischen 41 und 47 Jahren in verschiedenen Ortschaften in Hessen durchsucht, sowie deren Arbeitsplätze im Polizeipräsidium Frankfurt.
Innenminister Peter Beuth kündigte am Mittwoch an, „dass keine dieser beschuldigten Personen mehr für eine hessische Spezialeinheit tätig werden wird“. Die Beteiligten würden aus der Polizei entfernt, „wo es die Vorwurfslagen rechtlich möglich machen“.
Da neben Einsatzkräften des SEK auch Teile der ersten Führungsebene in den Chatgruppen waren und dort die potentiell strafbewährten Inhalte unkommentiert wahrgenommen haben, wird auch gegen die drei Führungskräfte wegen Strafvereitelung im Amt strafrechtlich und disziplinarisch vorgegangen. Sie sind offenkundig ihrer Verantwortung als erste Vorgesetzte innerhalb des Frankfurter SEK nicht nachgekommen.
Neustrukturierung des SEK Frankfurt
Am Donnerstag kam dann der große Paukenschlag: Das SEK Frankfurt wird aufgelöst. Das hatte Innenminister Beuth beschlossen und zugleich Stefan Müller, den Polizeipräsidenten des Polizeipräsidiums Westhessen und ehemaligen Leiter einer Direktion Spezialeinheiten, damit beauftragt, einen Expertenstab zur Neustrukturierung der Spezialeinheit zu leiten. „Wir stoßen heute einen fundamentalen Neustart für das SEK an“, so Beuth in einem Statement. Es wird beim Spezialeinsatzkommando ein grundlegender organisatorischer Umbau erfolgen. Zudem muss dort eine gänzlich neue Führungskultur auf den unteren und mittleren Vorgesetztenebenen geschaffen werden.“
Trotz des nun konsequenten Handeln des Innenministers bleiben Fragen offen. Warum konnte ein derart großes Netzwerk, von mindestens 17 Beamten jahrelang unentdeckt bleiben? Warum intervenierten Kolleg:innen nicht? Oder gab es Versuche der Intervention?
Immer wieder fielen Polizeibeamt:innen und Mitglieder des SEK in der Vergangenheit mit rechtsextremen Skandalen und Munitions-Diebstahl auf. 2018 etwa sollen Polizist:innen aus Dresden aus ihnen dienstlich zugänglichen Beständen der Polizei 7.000 Schuss Munition gestohlen haben. Die Munition sollen sie auf eine private Schießanlage in Mecklenburg-Vorpommern gebracht und als Gegenleistung an die Schießanlage „Baltic Shooters“ für ein nicht dienstliches Schießtraining übergeben haben. Bei „Baltic Shooters“ handelt es sich um eine Firma die von einem Mann betrieben wird, der mutmaßlich Verbindung zum rechtsextremen Preppernetzwerk „Nordkreuz“ hat, wie Belltower.News berichtete.
Die Gruppe „Nordkreuz“ ist Teil eines rechtsextremen paramilitärischen Untergrundnetzwerkes, das rund um einen Elitesoldaten mit dem Pseudonym „Hannibal“ organisiert ist. Die Mitglieder tauschen u.a. Feindeslisten und bereiten sich auf „Tag X“ der „Machtübernahme“ vor.
Oder Mitte Februar 2021 suspendierte das Polizeipräsidium Brandenburg einen SEK-Beamten vom Dienst. Er habe sich am Telefon mit einem Kollegen über rechtsextreme Inhalte ausgetauscht. Recherchen der MAZ belegten schließlich, dass auch hier die Spur ins rechtsextreme „Nordkreuz-Netzwerk“ führt.
Oder Herbst 2018: Zwei SEK-Beamte aus Sachsen wurden zur Begleitung des Erdogan-Besuchs nach Berlin geschickt. Die beiden Polizisten waren für die Erstellung einer Tarnnamenliste verantwortlich, auf der dann der Name des NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt eingetragen wurde.
Wo bleibt die Studie zu Rassismus unter Polizist:innen?
Das konsequente Vorgehen gegen die SEK-Gruppe scheint zunächst einmal ein gutes Zeichen. Doch viel mehr ist dieser Vorfall ein weiterer Beleg dafür, dass wir es mit einem strukturellen Problem innerhalb der Sicherheitsbehörden zu tun haben. Umso dringlicher wäre nun eine unabhängige Studie zu Rassismus bei der Polizei – gegen die sich Innenminister Horst Seehofer (CDU) weiterhin stellt.