Am 3. November 2020 haben die amerikanischen Wähler:innen Joe Biden zum neuen Präsidenten gewählt. Am 20. Januar 2021 wurde Biden vereinigt. Aber sein Vorgänger Donald Trump ist auch fast ein halbes Jahr später immer noch davon überzeugt, dass die Wahl gestohlen wurde und dass er weiterhin der eigentliche Präsident der USA ist. Die New-York-Times-Journalistin Maggie Haberman berichtet auf Twitter, dass Trump davon ausgeht, im August wieder ins Weiße Haus zu ziehen.
Immer noch werden Stimmen erneut ausgezählt, um zu beweisen, dass Trump der eigentliche Gewinner der Wahl ist. Ergebnisse zu Trumps Gunsten gibt es keine. In über 60 Fällen hatten Trump oder seine Anhänger:innen versucht, die Wahlen vor Gerichten anzufechten Jeder einzelne Versuch wurde abgeschmettert. Bei einigen aus formalen Gründen, andere, weil es sich um offensichtliche Lügen von unglaubwürdigen Zeugen gehandelt hatte. Viele der zuständigen Richter:innen waren sogar von Trump ernannt worden, aber entschieden trotzdem nicht zu seinen Gunsten. Bei Trumps Unterstützer:innen kam das Märchen vom Wahlbetrug allerdings weit besser an als bei den Gerichten. Das zeigte sich nicht zuletzt beim Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021.
Mit Militärputsch für Trump
Und auch heute noch sind seine Unterstützer:innen fest von ihm überzeugt. Vor allem die Anhänger:innen der QAnon-Verschwörungserzählung glauben weiter daran, dass Trump ins Weiße Haus zurückkehren wird. Der Ex-Präsident steht im Zentrum der sektenhaften Bewegung. Er gilt den Gläubigen als Messias, der den „deep state“ und seinen satanischen kinderbluttrinkenden Eliten bezwingen wird. Die Bewegung, die sich auch immer wieder auf Hollywood-Filme als Quellen beruft, hat absurde und skurrile Thesen, sie ist aber mittlerweile im Herzen der amerikanischen Demokratie angekommen. Seit dem 3. Januar 2021 sitzen Marjorie Taylor Greene und Lauren Boebert im US-Repräsentantenhaus. Beide gelten als laute und aggressive QAnon-Anhängerinnen. Aber bereits im nächsten Jahr können sie auf weitere Unterstützung hoffen. Die Organisation „Media Matters“ hat eine Auflistung der Q-Anon-nahen Kandidat:innen bei den Midterm-Elections 2022 für den US-Kongress veröffentlicht. Schon jetzt stehen 22 Kandidat:innen auf der Liste, die sich positiv über die Verschwörungserzählung geäußert oder sie sogar weiterverbreitet haben. Die meisten davon sind Republikaner:innen.
Dabei sind viele konservative Stimmen nicht sehr begeistert von der QAnon-Euphorie und Trumps Präsidentschaftsfantasien. Die Zeitschrift „National Review“ spricht vom „Wahn“ des Ex-Präsidenten und beschreibt, dass Trump versuche, konservative Medienschaffende von seiner Version der Realität zu überzeugen, um dem medialen Diskurs zu drehen. Die Zeitschrift berichtet auch, dass alleine aus Verfassungsgründen Trumps Pläne surreal seien. Doch Trump und sein Umfeld lassen sich offenbar von Kleinigkeiten wie der US-Verfassung nicht mehr beeindrucken. Mike Flynn, ein ehemaliger General und während der Trump-Administration zeitweiliger Berater für nationale Sicherheit des Präsidenten, sprach Ende Mai auf einer QAnon-Konferenz und forderte einen Militärputsch wie in Myanmar: „Warum kann das, was in Myanmar passiert ist, nicht hier passieren? Es gibt keinen Grund dafür. Ich finde, das sollte hier auch passieren.“ Danach revidierte er seine Forderung und gab an, seine Worte seien aus dem Zusammenhang gerissen worden. Auf der gleichen Konferenz bewies auch Sydney Powell, die ehemalige Anwältin des Ex-Präsidenten, ihre Zuversicht. Trotz Verfassung und keinerlei Beweisen glaubt Powell: „Ein neuer Termin zur Amtseinführung steht und Biden wird gesagt, dass er das Weiße Haus räumen muss und dass Präsident Trump wieder dort einziehen soll“. Und weiter: „Ich glaube leider nicht, dass sie ihm die verlorene Zeit gutschreiben, weil die Verfassung selbst den Tag der Amtseinführung festlegt. Aber er sollte definitiv den Rest der Amtszeit bekommen und das Beste daraus machen.“
Wolken im QAnon-Paradies
Während QAnon es in den USA in höchste Regierungskreise geschafft hat, zerfleischt sich die Szene in Deutschland selbst. Der Blick in die USA beweist, dass Fakten und die Realität bei QAnon keinen besonders großen Stellenwert besitzen. Das zeigt sich auch im deutschen Streit. Ganz einfach nachzuvollziehen ist das alles nicht, denn gegenseitige Beschuldigungen und Angriffe werden über lange Sprachnachrichten und Videos in Telegramgruppen, aber auch anderen Plattformen ausgetragen. Es ist ein Krieg mit mehreren Fronten, die unterschiedlichen Lager sind nur schwer auseinanderzuhalten.
Die deutsche QAnon-Szene ist eng mit der „Querdenken“-Bewegung verbunden, bei QAnon dominieren rechtsalternative bis rechtsextreme Narrative aber noch viel stärker und dazu passend diejenigen „Influencer:innen“, die diese Narrative in die breite Masse tragen. Dazu kommen Reichsbürger:innen, deren wirres Weltbild perfekt in die QAnon-Erzählung passt. Auch Esoteriker:innen mit antisemitischen und geschichtsrevisionistischen Weltbildern sind willkommen. Das führt zu einer explosiven Mischung und einem Streit, der so absurd ist, dass man ihn sich nicht ausdenken könnte.
Offenbar gibt es Kontakte zwischen einer deutschen QAnon-Fraktion und dem amerikanischen Professor William Toel, der sich selbst als „Deutschland-Experten“ bezeichnet und ein bizarres, rechtsesoterisches Weltbild vertritt. Demnach ist Deutschland das „Herz Europas“ – er meint das offenbar nicht rein metaphorisch – und zentral für die angeblich unmittelbar bevorstehenden Umwälzungen. Passend zum QAnon-Slogan „The Storm is coming“ spricht Toel von einem aufziehenden Sturm. Scheinbar befindet er sich gerade auf einer Deutschlandtour – die taz berichtet von einem seiner Auftritte vor Reichsbürger:innen im März 2021 – und will unter anderem die Seelen der deutschen Kriegsgefangenen „befreien“, die in den alliierten Rheinwiesenlagern nach Ende des Krieges, 1945, gestorben sind. Die Rheinwiesenlager dienen Rechtsextremen und Neonazis schon seit Jahren als Beweis für angebliche alliierte Kriegsverbrechen. Bis zu zwei Million Ex-Wehrmachtsoldaten waren in den Lagern zwischen April und September 1945 interniert. In der Zeit gab es zwischen 5.000 und 40.000 Toten insgesamt, die genauen Zahlen sind nicht bekannt. Rechtsextreme und Neonazis behaupten dagegen faktenfrei wenigstens eine Million Toten. Diese Erzählung wird jetzt auch bei QAnon verbreitet.
Satanisten, Antifa und Audiobotschaften
Jedenfalls stößt das „Befreiungsritual“ des amerikanischen Professors nicht bei allen auf Gegenliebe. Das liegt nicht daran, dass die andere Fraktion Geschichtsrevisionismus und skurrile Esoterik ablehnt, ganz im Gegenteil. Inhaltlich unterscheiden sich die verfeindeten Gruppen nur wenig. In den jeweiligen Telegramkanälen werden die identischen Desinformationen und Fantasiegeschichten ausgetauscht, inklusive Holocaustrelativierungen, Reichsbürger-Propaganda und so weiter. Vielmehr glaubt offenbar eine Gruppe, dass es sich bei Toel um einen Satanisten und deswegen bei der „Befreiung“ um ein satanisches Ritual handele. Und nicht nur das, auch andere einflussreiche Kanalbetreiber:innen werden verdächtigt. Die Beweise dafür sind Fotos oder Screenshots aus Videos auf denen unterschiedliche Szenegrößen angeblich „satanische Handzeichen“ präsentieren. Andere benutzen die Begrüßung „Hallo“ oder „Servus“, in der verstrickten Verschwörungswelt von QAnon Deutschland hat aber „Hallo“ etwas mit „Hölle“ und „Servus“ etwas mit Sklaven zu tun.
Die Beschuldigungen fliegen hin und her. Ein Kanalbetreiber aus dem „Querdenken“ und QAnon-Umfeld soll seine gesamten Daten dem Verfassungsschutz zur Verfügung gestellt haben, andere werden beschuldigt, Teil der „Antifa“ oder gar – um Himmels Willen – der Amadeu Antonio Stiftung zu sein. Eine Demo aus dem Milieu, die im Juni in Berlin stattfinden soll – und mit der die Regierung zum Rücktritt gezwungen werden soll – ist angeblich ebenfalls von „dunklen Mächten“ gekapert. Alles per Audiobotschaft, Video oder in Großbuchstaben vorgetragen.
Was nach einer realitätsbefreiten Seifenoper aus der Hölle klingt, ist leider keine skurrile Randnotiz. Die sich bekriegenden Telegramkanäle haben mehrere 10.000 und teilweise mehr als 100.000 Abonnent:innen, die auch weiterhin mit Desinformation, Geschichtsrevisionismus, Demokratiefeindlichkeit und reiner Fantasie bespielt werden. Auch wenn einige Beobachter:innen das Ende der „Querdenken“-Bewegung sehen, bleibt die Frage, wie es mit QAnon weitergeht und ob sich mit der Bewegung Verschwörungserzählungen weiter gesellschaftlich normalisieren.