Leider gab es in der vergangenen Woche einige Beispiele eines fragwürdigen Sprachumgangs und Framings.
Mehr als eine Kopftuch-Frage
Die Süddeutsche Zeitung etwa schrieb am 25. September über den Freiheitskampf von progressiven Frauen und Männern im Iran gegen das autoritäre Regime: „Kein Ende der Kopftuch-Unruhen im Iran“. Darauf wies Gilda Sahebi von den Neuen Deutschen Medienmacher*innen zurecht hin: Der Kampf um Freiheit im Iran und gegen ein autoritäres Regime ist weitaus mehr als ein Streit um eine Kopfbedeckung, auch wenn das Kopftuch bei den Protestierenden symbolischen Charakter hat, weil es bei der Ermordung von Jina Mahsa Amini den Auslöser für die Gewalt darstellte. Es geht um das Recht auf Selbstbestimmung, für alle Geschlechter und alle religiösen Überzeugungen.
Schutzsuche ist kein „Sozialtourismus“
Einen Tag nach der problematischen Zeile in der Süddeutschen Zeitung trat der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz auf die Bühne. Und zwar auf die Bühne von Bild TV, das schon in der Woche zuvor als versuchter Scharfmacher im heißen Herbst aufgefallen ist. Er bezichtigte schutzsuchende Ukrainer*innen, „Sozialtourismus“ zu betreiben und deutsche Steuerzahler*innen auszunehmen, statt real vom Krieg betroffen zu sein. Ganz so, als wäre der CDU-Chef eine lebendig gewordene rechtsalternative Kommentarspalte. Und offenbar war der Applaus dieser Klientel so attraktiv, dass nicht nur BildTV, sondern auch Merz selbst seinen „hot take“ auf Social Media veröffentlichte – und dann feststellen musste, dass nicht nur das beschriebene Phänomen nicht nachweisbar ist (vgl. Spiegel), sondern der Terminus des „Sozialtourismus“ auch bereits 2013 zum Unwort des Jahres gekürt worden war. Die Jury begründete: „Dies diskriminiert Menschen, die aus purer Not in Deutschland eine bessere Zukunft suchen, und verschleiert ihr prinzipielles Recht hierzu.“ Sei es drum: Der rechtspopulistischen Klientel hat Merz eine Freude bereitet, und fuhr damit fort durch die nachgeschobene Nicht-Entschuldigung: „Wenn meine Wortwahl als verletzend empfunden wird, dann bitte ich dafür in aller Form um Entschuldigung.“ Das kennen wir schon von den letzten documenta-Presseerklärungen, die sich ebenfalls nicht für gezeigten Antisemitismus entschuldigten, sondern nur angaben, dass es ihnen leidtue, wenn jemand die antisemitischen Darstellungen antisemitisch verstanden habe. Wenigstens ist das rechtsalternative Internet ein gäriger Haufen, der jetzt Merz vor allem vorwirft, dass er „eingeknickt“ sei vor den Mainstream-Meinungen, sodass ihm sein sprachliches Ausfall-Manöver zumindest nicht viel bringen wird.
Döpfner und die Schneeflocken
Schockierend in Hinsicht auf die verwendete Sprache ist auch ein Chatverlauf, der im Zuge eines Gerichtsprozesses in den USA veröffentlicht wurde: Elon Musk wollte das Soziale Netzwerk Twitter kaufen, unterschrieb einen Kaufvertrag, verlor dann aber das Interesse und möchte Twitter nun nicht mehr kaufen. Twitter verklagt Musk auf Einhaltung des Kaufvertrages, und im Zuge des Prozesses musste Musk Chatverläufe als Beweismittel vorlegen. Unter anderem chattete er mit Mathias Döpfner, Chef des Berliner Medienkonzerns Axel Springer und damit Kopf eines der größten Medienimperien Deutschlands, das aktuell durch Ankäufe auch seinen Einfluss auf die USA ausweiten möchte (vgl. Spiegel, stern, heise.de). In den Chats nutzt Döpfner rechtspopulistische, demokratiefeindliche Idee und Sprache.
Döpfner: „Wir managen es [Twitter] für dich. Und errichten eine wahre Plattform für freie Meinungsäußerung.“ Das wäre ein „echter Beitrag zur Demokratie.“
Döpfner nutzt konservative Töne, bedient aber den rechtsalternativen „Meinungsfreiheits-Diskurs“, der meint, freie Meinungsäußerung sei ein Recht auf Diskriminierung anderer, denn alles andere darf ja jede*r Nutzer*in auf Twitter.
Bei Musk kommt das an. Er twittert (sanktionsfrei) selbst: „Viele Leute werden sehr unzufrieden sein, dass Hightechkonzerne von der Westküste de facto die Richter über freie Meinungsäußerung sind.“ (Nach der Twitter-Sperrung von Donald Trump, der zu den Unruhen aufgerufen hatte, die zum Sturm auf das Capitol führten).
Weiter schrieb Musk: „Tut mir leid, aber ich bin ein radikaler Anhänger der freien Meinungsäußerung.“ (nach den EU-Sperren von russischen Propagandadiensten wie RT und Sputnik).
Als Musk sich anschickt, Twitter zu kaufen, konkretisiert Döpfner seine Idee der „freien Meinungsäußerung“: Musk solle Twitter „Zensur-FREI“ machen, indem es nur noch Spam, Gewaltaufrufe und illegale Pornografie sperre. Außerdem solle jede*r Nutzer*in selbst bestimmen, nach welchem Algorithmus ihm oder ihr Inhalte empfohlen werden.
Springer-Chef Döpfner: „Wenn du eine Schneeflocke bist, die keine Inhalte will, die sie verletzen, kannst du einen anderen Algorithmus wählen“, schreibt der Springer-Chef.
„Snowflake“ ist ein abwertender Slangbegriff für eine als schwach angesehene Person, die ein ungerechtfertigtes Anspruchsdenken besitzt oder übermäßig emotional ist. Die amerikanische rechtsextreme Szene lud den Begriff politisch auf; hier werden mit Snowflake politische Gegner*innen markiert, die zu liberal seien, zu sehr auf politische Korrektheit Wert legen, sich mit Identitätspolitik auseinandersetzen und dabei selbstgerecht wären. Hier macht sich also der Chef eines großen Medienkonzerns darüber lustig, dass Menschen sich für Gleichwertigkeit und Gerechtigkeit einsetzen und deshalb etwa auch rassistische oder sexistische Witze oder Sprüche nicht mehr akzeptieren wollen.
Beunruhigend.