Björn Höcke schafft es schon seit Jahren immer wieder um seine Verstrickungen ins rechtsextreme Milieu herumzulavieren. 2010 nahm er an einem Neonazi-Aufmarsch in Dresden teil. Bilder beweisen, dass Höcke vor Ort war. Die AfD bestätigte die Teilnahme und spricht von einer „friedlichen Gedenkveranstaltung“. Konsequenzen: keine.
Oder „Landolf Ladig“. Unter diesem Namen erschienen drei Texte in den NPD-Zeitschriften „Volk in Bewegung & Der Reichsbote“ und der „Eichsfeld-Stimme“ – herausgegeben werden beide von Thorsten Heise, einem mehrfach vorbestraften, militanten Neonazi und NPD-Politiker, der rein zufällig nur wenige Kilometer entfernt von Höcke wohnt. In den Texten wurde das NS-Regime verherrlicht und die NPD gelobt. Der Publizist und Soziologe Andreas Kemper analysierte „Ladigs“ Beiträge und Reden und Texte von Höcke und kam zum Ergebnis, dass es sich bei beiden um dieselbe Person handeln müsse.
Zum gleichen Ergebnis kommt der Verfassungsschutz in seinem Gutachten: „Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ habe Höcke unter dem Pseudonym „Landolf Ladig“ veröffentlicht. Und selbst die AfD kommt zu diesem Schluss: Björn Höcke „hat unter dem Namen ,Landolf Ladig‘ in den NPD-Veröffentlichungen ,Volk in Bewegung‘ und ,Eichsfeld-Stimme‘ Artikel verfasst“, heißt es in einem von der ehemaligen Parteichefin Frauke Petry in Auftrag gegeben Gutachten von 2017. Schon 2015 forderte der Bundesvorstand der Partei eine eidesstattliche Versicherung von Höcke ein, die bestätigen sollte, dass Höcke und „Ladig“ nicht die gleiche Person seien. Die gibt es bis heute nicht. Konsequenzen für Höcke? Keine.
Endlich „ergebnissoffen und tabufrei“ mit NS-Vokabular diskutieren
Um Höckes Sprache ging es auch im aktuellen ZDF-Interview. Das Video dazu ist hier zu sehen, eine transkribierte Version des Interviews hier. Offenbar schaffen es nicht einmal Höckes Parteifreunde zwischen Äußerungen von ihm und Passagen aus „Mein Kampf“ zu unterscheiden. Das belegt zumindest ein Video, dass der ZDF-Journalist David Gebhard dem Politiker am Anfang des Gesprächs zeigt. Höckes Problem damit? „Das sagt vor allen Dingen, dass die meisten mein Buch gar nicht gelesen haben, wie sie ja selbst deutlich artikuliert haben. Und das ist eigentlich schade (…)“.
Als Höcke dann lieber über seine Sprache, „die manchmal vielleicht etwas zu sehr ins Poetische geht“ sprechen will, als über seine inhaltlichen Überschneidungen zu Adolf Hitler, hakt der Journalist nach und hinterfragt andere Äußerungen Höckes aus den letzten Jahren: „Keimzelle des Volkes“, „entartet“, „Volksverderber“ oder „Lebensraum“. Alles Begriffe aus dem NS-Jargon. Der ehemalige Lehrer will davon nichts wissen, behauptet es gäbe keine „allgemein gültige Definition dessen (…), was NS-Diktion, was NS-Sprache ist“ – das ist falsch, mehr dazu findet sich zum Beispiel bei der Bundeszentrale für politische Bildung oder gleich in Viktor Klemperers „LTI – Lingua Terti Imperii“ – und erklärt lieber, dass „entartet“ schließlich ein gängiger Begriff in der Molekularbiologie sei. Das eigentliche Problem für Höcke: „Dieses Land leidet unter der Herrschaft der politischen Korrektheit“.
Ohne auf die Vorwürfe einzugehen, entlarvt der Thüringer Spitzenkandidat sich trotzdem selbst: „Es geht darum, dass wir eine realistische Lageanalyse machen und dass wir mit einer ergebnisoffenen und tabufreien Diskussion endlich mal die Frage klären, wie wir in Deutschland gemeinsam in Zukunft leben wollen. […] Da sind wir nicht gut beraten, wenn wir von vornherein gewisse Begriffe und gewisse Meinungen ausschließen.“ Das sind tatsächlich erschreckende Sätze: Eine „ergebnisoffene und tabufreie Diskussion“, ohne „gewisse Begriffe und gewisse Meinungen“ auszuschließen. Aus dem Gesprächsverlauf ist klar, was hiermit gemeint ist: es geht um die Sprache und damit auch um die Ideologie des Nationalsozialismus und des Faschismus.
So viele Emotionen!
Vielleicht sind es diese Sätze, die Günther Lachmann – ehemaliger Journalist der „Welt“ und mittlerweile Pressesprecher Höckes – dazu bringen, das Interview kurz danach zu unterbrechen: „Sie haben jetzt Herrn Höcke mit Fragen konfrontiert, die ihn stark emotionalisiert haben und diese Emotionen möchte … glaube ich, sollte man so nicht im Fernsehen bringen.“
Lachmann will das Interview von vorne anfangen. Der „stark emotionalisierte“ Höcke, der im Übrigen gerade angesetzt hatte, die nächste Frage zu beantworten, als Lachmann unterbrach, fühlt sich jetzt spontan schlecht behandelt. Die eingespielten Videos ganz zu Anfang – in denen seine Parteifreunde ihn nicht von Hitler unterscheiden konnten – findet er jetzt „nicht wirklich redlich“, das Interview sei „vollkommen absurd“.
Und plötzlich steht die erste Drohung durch Höcke im Raum: „Wollen Sie jetzt wirklich so ein Ding noch raus hauen? Ich meine, Sie sind doch als öffentlich-rechtlicher Sender auch stark in der Kritik. Sie spüren doch, wie grad in diesem Land auch was erodiert. Und wenn Sie jetzt dieses Spiel weiterspielen …“.
Was genau meint Höcke hier wohl mit „Spiel“? Ist es doch gerade er, der permanent mit Tabubrüchen „spielt“, indem er beispielsweise Begriffe aus dem Nationalsozialismus verwendet. Wenn er darauf festgenagelt wird, wie in diesem Interview geschehen, kommt zuerst die Opferrolle zum Einsatz. Der Kandidat wird angeblich mit unlauteren Mitteln „emotionalisiert“. Wenn das nicht zieht, droht Höcke. Denn was genau soll eigentlich passieren, wenn der Journalist das angebliche „Spiel“ – damit ist offenbar das Nachfragen zu Begriffen aus dem NS gemeint – weitermacht? Der Kandidat wünscht sich offenbar eine willigere Presse.
Pressefreiheit? Da kann man auch mal die Augen verdrehen.
Noch deutlicher wird das etwas später, wenn Höcke klarmacht, wie das Interview hätte ablaufen können: „Wir hätten doch eigentlich mit schönen Sachfragen zur Landespolitik einsteigen können und Sie hätten die Fragen dann am Ende, wenn wir am Laufen waren nochmal vielleicht stellen dürfen.“ Wie freundlich. Wenn der Journalist genehme Fragen stellt, dann „darf“ er am Ende auch noch auf etwas kontroverses eingehen. Aber nur „vielleicht“.
Im Video gibt es dazu eine sehr kurze interessante Szene. Nachdem Lachmann zum wiederholten Mal fordert, das Interview neu zu beginnen, antwortet der Journalist David Gebhard und sagt offenbar zu Lachmann: „Da kommen wir jetzt auch in den sensiblen Bereich der Pressefreiheit rein, in dem Moment, wo ich die Fragen so oft stellen soll, bis Sie mit den Antworten zufrieden sind.“ Höcke ist die ganze Zeit im Bild. Sofort nachdem das Wort „Pressefreiheit“ fällt, verdreht Höcke die Augen und lächelt in sich hinein, um danach den Kopf zu schütteln.
Das Gespräch endet mit einer weiteren Drohung. Höcke: „Wir beenden das Interview, nur, dann ist klar … Wir wissen nicht, was kommt … Dann ist klar, dass es mit mir kein Interview mehr für Sie geben wird.“
Auf die Nachfrage des Journalisten, was denn genau kommen könnte, wird es immerhin noch einmal unterhaltsam. Denn Björn Höcke hat großes mit sich vor: „Vielleicht werde ich auch mal eine interessante persönliche, politische Person in diesem Lande. Könnte doch sein.“ Könnte doch sein.