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Pressekonferenz Aktionswochen gegen Antisemitismus Die Szene der Corona-Maßnahmen-Gegner radikalisiert sich – mit Antisemitismus

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Blick auf das Podium der Pressekonferenz der "Aktionswochen gegen Antisemitismus" in Berlin am 24.11.2020

Die Amadeu Antonio Stiftung hat seit ihrer Gründung 1998 neben Rechtsextremismus und Rassismus immer auch den Antisemitismus im Blick, wenn es darum geht, sich für eine demokratische Zivilgesellschaft zu engagieren. „Aber eine derartige Verdichtung und eine solche Aggressivität wie derzeit habe ich noch nicht erlebt“, sagt Anetta Kahane, Vorsitzende der Stiftung, auf der Pressekonferenz am 24.11.2020 in der Bundespressekonferenz in Berlin. „Angetrieben durch die Verunsicherung der Coronavirus-Pandemie schließen sich die vielen antisemitischen Milieus zusammen“, beobachtet Kahane, „so dass selbst der offene Antisemitismus zurückkehrt, den wir in Deutschland schon als bearbeitet wahrgenommen haben.“

Anetta Kahane bei der Pressekonferenz der „Aktionswochen gegen Antisemitismus“ in Berlin am 24.11.2020

In Form und Struktur antisemitisch

Die Amadeu Antonio Stiftung veranstaltet jedes Jahr im November und Dezember die „Aktions- und Bildungswochen gegen Antisemitismus“. Dieses Jahr der klare Schwerpunkt: Verschwörungsideologien, gerade angesichts der Coronavirus-Proteste. „Verschwörungsideologien haben Antisemitismus als Betriebssystem“, erklärt Anetta Kahane, „wenn Einzelpersonen oder Gruppen als Schuldige an der Misere benannt werden, ist das in Form und Struktur antisemitisch, auch wenn der Beschuldigte Bill Gates ist.“

Kahane betont außerdem, dass Deutschland aktuell eine Spitzenreiter-Position in den Coronavirus-Maßnahmen-Protesten einnimmt: „Manche hier haben offenbar eine seltsame Weise, sich mit einer Pandemie auseinanderzusetzen – sie suchen Schuldige, ohne geht es nicht. Sie radikalisieren sich rasant, und antimoderne und antidemokratische Milieus vermischen sich hier. Aktuell sehen wir den Trend zur Selbst-Viktimisierung: Die Menschen, die sich durch angeheftete Sterne selbst zu Juden machen oder zu Widerstandskämpfern, eine zynische Verdrehung der Umstände.“ Jede Deradikalisierungsmaßnahme sei angesichts dessen auch ein Infektionsschutzmaßnahme: „Denn mit der Leugnung der Pandemie gefährden diese Menschen sich selbst und andere auch ganz praktisch.“

Was tun?

Aber was kann da helfen? „Wir brauchen Förderprogramme für die Arbeit gegen Antisemitismus und Verschwörungsideologien. Bisher ist das nur ein Nebenaspekt in den Bundesprogrammen gegen Rechtsextremismus, doch wir sehen, das reicht nicht. Antisemitismus kommt ja auch nicht nur von rechtsaußen, sondern aus vielen verschiedenen Teilen der Gesellschaft“, sagt Anetta Kahane. Ebenso gäbe es jetzt viel mehr Menschen, die sich im Umgang mit Verschwörungserzählungen hilflos fühlen und Fortbildungen bräuchten: Lehrer*innen, Mitarbeiter*innen im Gesundheitswesen, Polizist*innen oder Politiker*innen. „Sie alle müssen aber Bescheid wissen, um die Demokratie verteidigen und jüdische Bürger*innen schützen zu können“, sagt Kahane.

Querdenker verharmlosen die Verbrechen des Nationalsozialismus

Felix Klein bei der Pressekonferenz der „Aktionswochen gegen Antisemitismus“ in Berlin am 24.11.2020

Felix Klein, der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, stimmt ihr zu. Neueste Studien hätten ergeben, dass rund ein Drittel der Menschen im sicheren und demokratischen Deutschland ein verzerrtes Bild der eigenen Stellung und der eigenen Rechte hätte, was auch zu einem verzerrten Bild derer führe, die als „Andere“ definiert werden. „So werden etwa Jüdinnen und Juden oder auch Politiker*innen als viel bedrohlicher wahrgenommen, was dann wieder zu mehr Aggressionen führt“, sagt Klein. „Wenn aber Probleme personalisiert werden – also einzelne Menschen oder Gruppen dafür verantwortlich gemacht werden – dann erscheint jede Gegnerschaft hierzu als vermeintlich legitimer Widerstand.“ Wenn sich nun Corona-Maßnahmen-Gegner*innen als „Anne Frank“ oder „Sophie Scholl“ ansehen, sie dies eine Verharmlosung des Nationalsozialismus und eine Verhöhnung der tatsächlichen Opfer. „Und egal, ob das eine bewusste Strategie ist oder ein Mangel an Empathie, es gefährdet die Demokratie heute. Diese Menschen imaginieren sich selbst als Opfer, schieben damit aber auch aller Verantwortung ab. Demokrat*innen müssen aber Verantwortung für ihre Handlungen und die Demokratie übernehmen. Das heißt jetzt: Nicht erst widersprechen, wenn ein rechtsextremes Weltbild ausgeprägt ist – sondern jederzeit, im Alltag, vor unserer Haustür.“

Demokratiefördergesetz ist wichtig

Kevin Kühnert bei der Pressekonferenz der „Aktionswochen gegen Antisemitismus“ in Berlin am 24.11.2020

Der stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Kevin Kühnert ergänzte: „Es ist ja nichts Neues, dass Menschen angesichts von gesundheitlichen Notlagen Halt in Verschwörungserzählungen suchen. Schon angesichts der Pest im Mittelalter oder der Spanischen Grippe kam es zu antisemitischen Verschwörungserzählungen. Aber wo bleiben unsere Präventionsangebote? Um das zu verhindern, bevor es ausbricht?“ Er fordert nicht nur eine weitere Debatte um ein Demokratiefördergesetz, dass solche Arbeit verstetigen könnte, sondern auch, dass die Debatte darum nicht Teil des Bundestagswahlkampfes 2021 werde – dafür sei das Thema zu relevant. „Damit wir alle die Demokratie in unserem Arbeitsbereich verteidigen können, braucht es Forschung, Beratung und Fortbildungen. Für die medizinischen Mitarbeiter*innen, denen Verschwörungsideolog*innen die Arbeit schwer machen. Die Vertreter*innen der öffentlichen Verwaltung, die sich mit teilweise aggressiven Reichsbürger*innen auseinandersetzen müssen. Für die Lehrer*innen, die sich überfordert fühlen, wenn ihnen politisch geschulte 8-Jährige antidemokratische Ideen an den Kopf werfen. Und für jeden von uns, der unterm Weihnachtsbaum auf Verwandte treffen wird, die sich in den vergangenen Monaten im Internet radikalisiert haben und nun lieber dubiosen Blogs glauben als Wissenschaft und Evidenz.“ Dies sei auch unsere Verantwortung aus der Geschichte, betonte Kevin Kühnert: „Nie wieder – das heißt für mich nicht nur, dass es nie wieder eine organisierte industrielle Massenvernichtung jüdischen Lebens geben darf, sondern auch, dass wir uns gegen alle Schritte des Weges wehren, der dahin führt.“

Video der Pressekonferenz:

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Pressemitteilung der Amadeu Antonio Stiftung:

https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/pressemitteilungen/szene-der-corona-massnahmen-gegner-radikalisiert-sich-rasant-offener-antisemitismus-normalisiert-sich/

Das „Zivilgesellschaftliche Lagebild Antisemitismus“ zum Download:

https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/publikationen/zivilgesellschaftliches-lagebild-antisemitismus/

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