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Profilneurose Wie sich die AfD zum eigentlichen Opfer der Coronavirus-Krise macht

Auch in Zeiten einer weltweiten Pandemie gilt: Jeder blamiert sich so gut, wie er oder sie kann. Manchmal gilt das für eine ganze Partei. Angesichts einer verheerenden Pandemie, die fast alle Menschen auf der Welt mehr oder weniger betrifft, die die Wirtschaft lahmlegt, Menschen in tiefe Existenzängste stürzt, uns alle dazu zwingt, unser Leben auf unbestimmte Zeit herunterzufahren, die die Grundrechte jedes einzelnen massiv einschränkt und vor allem mittlerweile mehr als 145.000 Tote gefordert hat – mehr als 4.000 davon in Deutschland – hat jetzt die AfD das wahre Opfer von COVID-19 ausgemacht. Es ist sie selbst. Gäbe es die Opferrolle nicht, man müsste sie spätestens jetzt erfinden. Ein Kommentar.

 
Stephan Brander beim Bundesparteitag der AfD. (Quelle: picture alliance/Julian Stratenschulte/dpa)

Der 14. März war für Deutschland ein besonderes Datum im Kampf gegen das Coronavirus. Am Tag zuvor hatte zunächst das Saarland angekündigt, Schulen und Kitas zu schließen. Über das Wochenende entschlossen sich auch die restlichen Bundesländer dazu. Viele der Einschränkungen, unter denen wir heute leben, wurden an diesen Tagen angekündigt, zum ersten Mal standen Versammlungsverbote im Raum und die Besuchsbeschränkungen für ältere Menschen. Am gleichen Tag steht der Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner (AfD) in der Fußgängerzone von Gera. Ein Foto davon postet er auf Facebook. Er ist dicht umringt von Unterstützer*innen, einige davon älter, womöglich Teil einer Risikogruppe. Er schreibt dazu „#Corona hin, #Covid her… … wir stehen noch ein paar Stündchen mit dem #Bürgermobil in #Gera! Aber heute ganz zivil…“ Dahinter ein Smiley mit Sonnenbrille. 

Screenshot von Stephan Brandners Facebookseite.

Ganz so unbeschwert ist Brandner heute nicht mehr. Auf Facebook ist der ehemalige Vorsitzende des Rechtsauschusses des Bundestages – er wurde in einem in der Parlamentsgeschichte einmaligen Vorgang, wegen Beleidigungen und antisemitischen Äußerungen abgewählt – einer ganz großen Sache auf der Spur. Er beginnt mit der Lieblingsfrage der Verschwörungsgemeinde: Cui bono? Also „Wem nützt es?“. In der Welt von Verschwörungsideolog*innen gibt es keine Zufälle, alles ist gesteuert, jedes Ereignis hat einen Grund, hinter allem steckt ein verborgener Plan. Egal ob morgens die Milch für den Kaffee sauer ist oder ob Großveranstaltungen verboten sind, um eine Pandemie einzudämmen.

Denn darum geht es Brandner. In der bizarren Welt des Bundestagsabgeordneten sind die Veranstaltungsverbote nämlich eigentlich nur ein Schlag gegen seine rechtsradikale Partei: „Das Veranstaltungsverbot trifft faktisch nur die AfD, der so gut wie nie die Möglichkeit gegeben wird, in Funk, Fernsehen und Presse ihre Konzepte vorzustellen oder sich überhaupt inhaltlich zu äußern.“ Ähnlich weinerlich geht es weiter. „Allen anderen im Bundestag vertretenen Parteien wird stets und überall die Gelegenheit gegeben, sich und die eigenen Konzepte – sofern überhaupt vorhanden – einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren (…).“

Die Möglichkeit, dass Medien in der aktuellen Situation wenig Interesse haben, mit Vertreter*innen einer Partei zu sprechen, die wenig bis nichts Produktives zum Thema zu sagen, dafür aber keine Problem damit hat, Fake News zu verbreiten oder gar Risikogruppen mit PR-Stunts zu gefährden, scheint Brandner nicht in Betracht zu ziehen. Oder etwa, dass das Veranstaltungsverbot womöglich nicht so sehr seine Partei, sondern vielmehr die Ausbreitungsrate des Virus beeinträchtigen soll.

Brandners Text ist das neueste Beispiel in einer langen Reihe dafür, wie sehr die AfD und ihre Vertreter*innen die Opferrolle verinnerlicht haben. In einer absurden Verdrehung der Tatsachen, gepaart mit extremer Selbstüberschätzung und einer Extraportion Pathos schreibt Brandner allen Ernstes: „Insofern ist das Verbot von Veranstaltungen über zunächst beinahe ein halbes Jahr hinweg ein klarer Angriff auf die AfD als einzige und größte Opposition.“ 

Aber natürlich hat Brandner eine brillante Lösung für das Problem im Gepäck: „Ich fordere deshalb, für den Zeitraum der Veranstaltungsverbote und -einschränkungen eine Verpflichtung der Öffentlich-Rechtlichen zur Ausstrahlung von sachlichen Werbefilmen der Parteien, die im Bundestag vertreten sind, entweder auf Basis freiwilliger Selbstverpflichtung oder durch Änderung des Rundfunkstaatsvertrages.“ Man muss sich zwar vielleicht das Lachen verkneifen, wenn „sachliche Werbefilme“ im Zusammenhang mit der AfD gebracht werden, aber auch ansonsten ist die Idee eher skurril. Denn gerade die rechtsradikale Partei wünscht sich nichts mehr, als die angeblichen „Staatsmedien“, also den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und vor allem die Gebühren dafür, abzuschaffen.

Andererseits dürfte es langsam in die Partei durchgedrungen sein, dass die bisherige Taktik aus Rassismus, Halbwahrheiten und einfachen Lösungen für komplexe Fragen in der aktuellen Krisensituation an ihre Grenzen stößt. Laut einer Umfrage vom 16.04. von Infratest dimap würde die Partei bei Bundestagswahlen aktuell nur noch neun Prozent der Stimmen erreichen. Ihre rechtsradikale und rechtextreme Wähler-Klientel wird sie sicherlich so schnell nicht verlieren. Immerhin scheinen mittlerweile aber mehr Menschen zu begreifen, dass eine Partei keine Alternative sein kann, die sich selbst in Zeiten der Krise wie ein schlecht gelaunter Dreijähriger verhält, der glaubt, er sei das Zentrum des Universums. Wenigstens eine Sache, die auch nach der Krise so bleiben kann.  

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