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Proseminar Israelhass Dilemma der Antisemitismusbekämpfung

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Am 7. Mai lässt die Berliner FU Protestierende von ihrem Gelände räumen. (Quelle: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Markus Schreiber)

Die Folgen des 7. Oktober haben die Hochschulen erreicht, an einigen Orten bilden sich Protestcamps, an anderen werden Hörsäle besetzt. Protestiert wird gegen Israel. Im Israelhass wird auch immer wieder Antisemitismus befeuert. Noch ist das alles überschaubar und klein, wie der Tagesspiegel neulich für Berlin analysierte. Aber es ist jetzt schon laut – und gefährlich. Der Blick in die USA zeigt, wohin die Reise gehen kann. Dort gibt es seit Wochen heftige Auseinandersetzungen um Universitäten. Hier wie dort sind die Leidtragenden vor allem jüdische Studierende. Die Hochschullehrer*innen, die sich jetzt schützend vor den Protest stellen, scheinen gerade das nicht zu sehen, dabei liegt es auf der Hand.

Die Jüdische Studierenden Union Deutschland (JSUD) trat bereits am 9. November 2023 mit einem Forderungskatalog an Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) heran. Darin heißt es: „In den vergangenen Wochen erreichten uns jeden Tag neue Berichte von jüdischen Studierenden, die sich an deutschen Universitäten nicht mehr angstfrei bewegen können.” Seitdem hat sich die Lage dramatisch zugespitzt.

Die Protestcamps der letzten Wochen sind immer auch Einschüchterungsversuche – ob sie das wollen oder nicht. Wer gegen Israel kämpft, nimmt auch alle ins Visier, die als Zionist*innen gelten. Ein einziges Berliner Beispiel reicht, um zu zeigen, wie ernst es ist: In der Hauptstadt wurde bereits Anfang des Jahres ein jüdischer Student ins Krankenhaus geprügelt, nachdem er die erste „pro-palästinensische” Hörsaalbesetzung an der Freien Universität (FU) öffentlich kritisierte. Er wurde erst auf Social-Media-Kanälen als Feind markiert und später vor einer Bar in Berlin-Mitte zusammengeschlagen.

Also was tun, wenn jetzt erneut an der FU, aber auch andernorts, Hörsäle besetzt oder Protestcamps auf dem Campus errichtet werden? Bisher reagieren die Universitäten in Deutschland genau wie ihre amerikanischen Pendants und genauso wie sie immer auf Besetzungen reagierten: mit Repression. Das Hausrecht wird durch die Polizei durchgesetzt, die mit Gewalt die Besetzer*innen vom Campus vertreibt, inklusive Strafanzeige. So weit, so gewohnt. Aber wie immer, wenn es um Israel geht, ist ansonsten nichts gewöhnlich. Denn die Art, wie über diese Proteste gesprochen wird, führt direkt in das Dilemma der Antisemitismusbekämpfung. Es scheint nichts zu geben zwischen Repression und Verharmlosung.

Verharmlosende Dozent*innen

In einem offenen Brief haben sich namhafte Hochschullehrer*innen vor die antiisraelischen Studierenden gestellt, die mit Polizeigewalt vom Campus der FU geräumt wurden. Aus durchaus ehrenwerten Gründen:

„Als Lehrende der Berliner Hochschulen verpflichtet uns unser Selbstverständnis dazu, unsere Studierenden auf Augenhöhe zu begleiten, aber auch zu schützen und sie in keinem Fall Polizeigewalt auszuliefern. Unabhängig davon, ob wir mit den konkreten Forderungen des Protestcamps einverstanden sind, stellen wir uns vor unsere Studierenden und verteidigen ihr Recht auf friedlichen Protest, das auch die Besetzung von Uni-Gelände einschließt.”

Es stimmt: Universitäten sind besondere Orte, an denen die Polizei nichts zu suchen hat. Es sind Räume, in denen Demokratie und Kritik gelebt und erfahrbar werden –  auch mit Mitteln wie Besetzungen. Aber es handelt sich in diesem Fall nicht um eine universitäre Protestbewegung, wie viele andere zuvor. Die Besetzungen richten sich nicht gegen Universitätsleitungen oder Bildungspolitik, sie fordern keine demokratische Uni oder die Abschaffung von Studiengebühren. Sie richten sich gegen Israel und damit gegen alle „Zionisten” – jüdische Studierende verstehen das als Drohung, wie der Brief der JSUD, der größten Mehrheitsvertretung jüdischer Studierender, zeigt. Daran ändert auch nichts, das einzelne jüdische Aktivist*innen oder für ihren Israelhass bekannte jüdische Gruppen sich den Protesten angeschlossen haben mögen.

Gerade über diejenigen, die das als Drohung verstehen (könnten), denkt der Offene Brief der Lehrenden aber gar nicht nach. Jüdische Studierende werden in keiner einzigen Zeile erwähnt. Wie kann das sein? Und was wäre die vorgeschlagene Lösung? Wenn die Polizei die Situation nicht klärt, wer dann? Wer sorgt dafür, dass jüdische Studierende wieder ohne Angst studieren können? Oder soll man die Camps einfach gewähren lassen? Wann ist die rote Linie überschritten?

Repressiver Aktivismus

Wo die Berliner-Hochschullehrer*innen mit Verharmlosung reagieren, setzen die anderen auf Repression. Die BILD-Zeitung hat in einer unsäglichen Kampagne Fotos einiger Unterzeichner*innen abgedruckt und sie als „UniversiTÄTER” bezeichnet. Wie soll das helfen? Die Abgebildeten und alle, die sich mitgemeint glauben, werden zusammenrücken. Denn das verzerrte Narrativ der israelfeindlichen Fraktion ist bekannt: Antisemitismusbekämpfung ist angeblich untrennbar mit der Israelsolidarität als Staatsraison verbunden. Der Widerstand dagegen gilt als scheinbar revolutionärer Akt.

Wohin dieses falsche und fatale Narrativ führt, kann man schon in Kunst und Kultur sowie der Erinnerungspolitik sehen: Der Kampf gegen Antisemitismusbekämpfung fühlt sich (wieder) ehrbar an. Israelfeindschaft erscheint als Akt des Widerstands, nicht nur gegen den jüdischen, sondern auch gegen einen deutschen Staat, der scheinbar nichts anderes gegen Antisemitismus aufzubieten hat als Polizei und Repression.

Die Grenzen von Intervention und Prävention

Scheinbar! Denn so ist es nicht. Es gibt zahlreiche Projekte und Initiativen gegen Antisemitismus und Israelhass, die auf Intervention und Prävention setzen. Leider reicht das nicht immer. Repression ergänzt diese dann. Und was wäre auch die Alternative? Wie sollen Universitäten die Sicherheit und Sorglosigkeit von jüdischen Studierenden gewährleisten, wenn die Polizei nicht mehr die Ultima Ratio ist?

Betroffenen haben sich schon längst geäußert. Das Netzwerk Jüdischer Hochschullehrenden hatte bereits am 2. Mai ebenfalls einen offenen Brief veröffentlicht.

„Wir – eine Gruppe von jüdischen Hochschullehrenden in Deutschland, Österreich und der Schweiz – stellen uns gegen diesen zunehmenden Antisemitismus und die damit einhergehende Zunahme von Gewalt gegen Jüdinnen und Juden an Hochschulen. Die formale Ächtung des wachsenden Antisemitismus und aller damit einhergehenden negativen Entwicklungen auf dem Campus muss durch die Hochschulleitungen durchgesetzt werden – und zwar präventiv durch Aufklärung, Bildung und Schulung, und repressiv durch konsequentes Vorgehen gegen jegliche Formen von gewalttätigen Ausschreitungen durch Mittel wie Strafanzeigen, Disziplinarmaßnahmen und Ausübung des Hausrechts. Es braucht kurz-, mittel- und langfristige Maßnahmen an den Hochschulen, die Aufklärung über Falschnachrichten und antisemitische Verschwörungserzählungen anbieten. Darüber hinaus sollten Veranstaltungen über jüdisches und israelisches Leben aus jüdischen Perspektiven initiiert werden, um dem Antisemitismus – auch unter Hochschulangehörigen – kraftvoll entgegenzuwirken.”

Jetzt ist die Zeit für Zweifel und Selbstkritik. Die Antisemitismusbekämpfung steckt in einem Dilemma. Sie darf nicht allein auf Repression setzen, doch für Prävention allein ist es längst zu spät. Die Lage ist nach dem 7. Oktober schlicht außer Kontrolle geraten. Antworten darauf könnten von Hochschullehrenden kommen, die sich mit solchen Protestgeschehen, Transformationen der Gesellschaft oder der Geschichte und Gegenwart des Antisemitismus und des Israelhasses beruflich beschäftigen und das Dilemma der Antisemitismusbekämpfung lösen wollen. Statt aber Antisemitismus zu bekämpfen, führt die neueste Antisemitismusdebatte wieder tief hinein ins Dilemma. Die nächste vertane Chance. Bekämpfen wir endlich Antisemitismus, nicht die Antisemitismusbekämpfung!

Update 23.05.2024: In einer früheren Version dieses Textes stand, dass der Brief des Netzwerk Jüdischer Hochschullehrenden eine Antwort auf den offenen Brief der Verteidiger*innen der FU-Proteste gewesen sei. Das ist nicht korrekt. Der Brief des Netzwerks wurde bereits vorher, am 2. Mai 2024, veröffentlicht. Wir haben den Text dementsprechend angepasst.

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