Landeskoordinierungsstelle gegen Rechtsextremismus beim Rat für Kriminalitätsverhütung Schleswig-Holstein
Personeller Wechsel bei der NPD-Landesspitze
Auch für schleswig-holsteinische extreme Rechte war die Landtagswahl ein zentrales Ereignis im Jahre 2012. Die NPD trat dort konkurrenzlos unter den rechtsextremen Parteien an, erzielte allerdings nur 0,7 Prozent der Stimmen. Damit schaffte es die Partei wie bereits 2009 (0,9 %) nicht, eine Erstattung der Wahlkampfkosten zu bekommen. Nur bedingt vorhandene finanzielle Ressourcen bremsten die eigenen Anstrengungen im Wahlkampf, aber auch eine schmale Personaldecke sorgte dafür, dass Parteiplakate und -material nur sehr begrenzt zum Einsatz kamen.
Ein provokativer Aufmarsch am 1. Mai in Neumünster sollte wenige Tage vor dem Urnengang zum Wahlkampfhöhepunkt werden. Nicht einmal 140 Aktivist*innen ließen sich dafür mobilisieren, viele waren sogar aus den benachbarten Bundesländern angereist. Ein sich formierender Aufzug abseits der bewilligten Wegstrecke sorgte dafür, dass die Polizei einschritt und schließlich 105 Teilnehmer*innen unter dem Beifall von Gegendemonstrant*innen in einen Gefangenenbus geleitete und für Stunden in Gewahrsam nahm. Allerdings hatten mehrere neonazistische „Aktionsgruppen“ im Land aufgerufen, an rechtsextremen Demonstrationen in anderen Bundesländern teilzunehmen und waren auch dort hingefahren.Mitte Juni vollzog die NPD einen Wechsel an ihrer Landesspitze. Der bisherige Vorsitzende Jens Lütke wurde von Ingo Stawitz abgelöst. Im Sommer bereiste die von der Bundespartei so betitelte „Deutschlandtour“ mit Kiel und Neumünster auch zwei Städte im nördlichsten Bundesland. Dabei ergriff auch Stawitz das Wort und bezeichnete die Mitglieder der NSU-Terrorzelle als „Asoziale“.
Zusammenlegung von NPD und DVU vollzogen
Unterdessen wurde Ende Mai bekannt, dass auch DVU-Funktionäre aus Schleswig-Holstein ihren juristischen Widerstand gegen die Zusammenlegung mit der NPD aufgegeben haben. Die faktisch verkündete und gelebte Fusion beider Parteien gilt damit als vollzogen, wobei ein großer Teil der ehemaligen Mitglieder der DVU nicht zur NPD übergewechselt hat. Anders als in anderen Bundesländern konnte die 2012 von dem Hamburger Neonazi Christian Worch gegründete Partei „Die Rechte“ in Schleswig-Holstein lediglich wenige Mitglieder gewinnen.
Lübecker „Gedenkmarsch“ trifft auf Gegendemo
Die Teilnehmerzahl beim rituellen Lübecker „Gedenkmarsch“ der rechten Szene anlässlich des Jahrestages der Bombardierung der Hansestadt durch die Alliierten schrumpft weiter. Gerade einmal 120 Aktivist*innen unter Leitung von auswärtigen Neonazi-Größen wie Thomas Wulff oder Dieter Riefling versammelten sich für eine gerichtlich genehmigte Wegstrecke von weniger als 300 Metern. Aufgrund vielseitiger Gegenproteste und des harten Durchgreifens der Polizei, versuchten 25 Aktivist*innen, mit Jens Lütke an der Spitze, im Anschluss auf dem Bahnhofsvorplatz in Plön eine Kundgebung abzuhalten.
Aktionen der Rechten gegen ehemalige Sexualstraftäter
Für Aufsehen sorgte Anfang März eine Demonstration gegen einen zu einer Bewährungsstrafe verurteilten jugendlichen Sexualstraftäter in der nordfriesischen Kleinstadt Leck. Vor Ort stellte sich durch verteilte NPD-Flugblätter und bekannte Gesichter aus der rechten Szene heraus, dass die Aktion von diesen im Internet angeschoben wurde, nach außen zunächst aber als bürgerlicher Protest getarnt werden sollte. Im Zuge der eskalierten Demonstration versuchten Teilnehmende die Wohnung des Sexualstraftäters zu stürmen, und lieferten sich Auseinandersetzungen mit der Polizei. Dabei hatte der Versammlungsleiter Mirko N., der dem DVU-Landesvorstand als Beisitzer angehörte und nun NPD-Mitglied ist, offenbar versucht, gewaltsam in den Besitz der Dienstwaffe eines Polizeibeamten zu kommen. Vor dem Amtsgericht Niebüll musste er sich hierfür verantworten und wurde zu einer neuneinhalb-monatigen Bewährungsstrafe verurteilt. Zum Thema Sexualstraftäter gab es auch in weiteren Orten Aktionen der rechten Szene in Schleswig-Holstein, unter anderem in Schleswig und Neumünster. Waren die Teilnehmer in Schleswig schnell dem rechten Spektrum zuzuordnen, geschah dies bei den Drahtziehern von Neumünster erst durch Recherchen, weil sie sich nach außen eines neutralen bürgerlichen Bildes bedienten.
„Unsterbliche“-Aktion in Friedrichstadt
Die sogenannte „Volkstod-Kampagne“ mit entsprechender Maskierung in Manier der „Unsterblichen“ ist mit einem entsprechenden Auftritt auch in Schleswig-Holstein angekommen. Unbehelligt mischte sich Ende Juli eine kleiner Neonazi-Gruppe auf einem kleinen Kahn in den Bootskorso der Festtage in Friedrichstadt (Kreis Nordfriesland).
Neonazi-Szene Treffs
Als Treffpunkte für extreme Rechte dienen weiterhin der „Club 88“ sowie die Gaststätte „Titanic“ in Neumünster. Insgesamt scheint die Anziehungskraft des von der NPD betriebenen „Thinghauses“ im mecklenburgischen Grevesmühlen aber eine deutlich höhere Attraktivität auch unter schleswig-holsteinischen „Kameraden“ gewonnen zu haben. Im Frühjahr gab es im „Club 88“ eine mäßig besuchte Party, bei der Geld für mit Strafverfahren und -befehlen beschäftigten Gesinnungsgenossen zusammengetragen werden sollte. Hintergrund waren die Vorgänge um den gewalttätigen Auftritt am 1. Mai 2011 gegen einen DGB-Stand in Husum. Offenbar als flächendeckende Kampagne waren diverse Aktionen zum Volkstrauertag an verschiedenen Orten im Land gedacht.
Farbschmierereien, Sachbeschädigung und Angriffe auf Polizeibeamte
Eine der aktivsten “ freien“ Neonazigruppierungen ist die „Nationale Offensive Herzogtum Lauenburg“, die sich zunehmend vernetzen und Kontakte über Kreis– und Landesgrenzen hinweg bis hin ins Frankenland haben. Sie besuchen und unterstützen andere Gruppierungen und tauschen sich zeitnah über „gelungene“ Aktionsformen aus. Eine entscheidende Rolle spielen hierbei soziale Netzwerke im Internet. Aktivist*innen dieser Gruppierungen werden die besonders aggressiven Farbschmierereien in Ratzeburg mit Morddrohungen gegen den Bürgermeister, seinen Mitarbeiter und der Pröbstin zugeschrieben. Des Weiteren kam es zu zielgerichteten Sachbeschädigungen gegen antifaschistisch Aktive aus Ratzeburg und Angriffe auf Polizeibeamte. Auch die eigentlich jedes Jahr durchgeführte, provozierende Sprayaktion Anfang November in Mölln, kurz vor dem Jahrestag der dort vor 20 Jahren verübten neonazistischen Brandanschläge, zeugen von Neonazis, die vor nichts zurückschrecken.
Rechtsrock und rechte Verleger
In der Landeshauptstadt wurde ein städtisch begünstigter Freizeitverein aus einem Stadtteil mit sozialen Problemen mit dem Namen „Bollstein Kiel“ geoutet, der mehrfach mit nationalistischen, fremdenfeindlichen und rassistischen Auftreten in Erscheinung getreten war. Die aus dem Raum Ostholstein kommende Band „Words Of Anger“ ist weiter überregional im Rechtsrockgeschäft aktiv. Zuletzt war die Gruppe im November in Mecklenburg-Vorpommern gebucht.
Der Verleger Dietmar Munier aus Martensrade (Kreis Plön) ist jemand, der die Öffentlichkeit scheut. Über Jahrzehnte hat er ein Verlagsimperium aufgebaut und gibt auch die Hochglanz-Publikation „Zuerst“ heraus. Aus seinem Hause stammt zudem der Versanddienst „Lesen & Schenken“. Er ist unter anderem bekannt für seine umtriebigen Aktivitäten in Ostpreußen. Offenbar nicht zum ersten Mal wurde dieses Jahr konspirativ nach Martensrade zu einer völkischen Sonnenwend-Feier auf dem Munier-Gelände eingeladen. Unter rund 50 Besuchern war der verurteilte Holocaustleugner Ernst Zündel der prominenteste Gast. Munier sprach dagegen von einem „privaten Familienfest“.
Vertrieb von rechter Szene-Kleidung
Die zum Teil international vernetzte islamfeindliche German Defence League hat inzwischen ihre ersten Ortsgruppen in Schleswig-Holstein. Eine Anlaufstelle für die rechte Szene ist auch der seit dem Spätsommer 2011 in Glinde vor den Toren Hamburgs ansässige Szeneladen Tonsberg, der Bekleidung der Marke Thor Steinar anbietet. Eine Räumungsklage hat der sich beim Vertragsabschluss getäuscht fühlende Vermieter in erster Instanz zwar nicht durchsetzen können, gegen die Entscheidung des Landgerichts Lübeck hat er aber Rechtsmittel eingelegt. Im Prozess kam unter anderem zur Sprache, mit welcher Strategie, aber auch mit welchen Protagonisten versucht wird, Ladengeschäfte für den Vertrieb extrem rechter Kleidung anzumieten.
Entfremdung von NPD und „Freien Kräften“
Hinter den Kulissen scheint unterdessen eine partielle Entfremdung zwischen NPD und parteilosen Aktivisten stattgefunden zu haben. Bereits im Frühjahr kursierten erstmals Verlautbarungen von parteiungebundenen Nationalisten, die sich von der NPD abgrenzten. Unter anderem ist auch davon die Rede, dass NPD-Kader in den Diensten des Verfassungsschutzes stehen sollen. Hauptzielscheibe ist dabei das NPD-Landesvorstandsmitglied Jörn Lemke. Dieser dementiert die gegen ihn erhobenen Vorwürfe. Das Thema wird derweil weiter „heiß“ diskutiert und sorgt für Unruhe im rechten Lager, die auch noch im nächsten Jahr anhalten dürfte.
Ausblick auf 2013
Im Fokus für 2013 stehen die Kommunalwahlen am 26. Mai. Die NPD zeigt sich willens, nach ihren bisher einzigen Kommunalmandaten im Kieler Rathaus und im Kreistag von Herzogtum-Lauenburg in weitere Parlamente einzuziehen. Eine Fünf-Prozent-Hürde steht ihr dafür bekanntlich nicht mehr im Weg. Eigens für die Wahl hat die Partei eine eigene Website im Internet eingerichtet. Je näher es an den Wahltermin geht, desto mehr dürfte die Präsenz dann auch bezogen auf Aktualität gepflegt werden. Es bleibt abzuwarten, ob es der NPD weiterhin gelingt, sich mit der Besetzung von sozialen und staatsfeindlichen Themen als „Kümmerer“-Partei zu gerieren – möglicherweise auch unter Nutzung eines anderen Namens.
Mehr im Internet:
Beranet-SH -Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus Schleswig-Holstein
redaktionelle Betreuung: Theresa Heller.