Michael Ballweg, Gründer von „Querdenken 711“ hat sich in der vergangenen Woche einem vermeintlichen Gegner der Bewegung gestellt: den „Mainstreammedien“ oder wie es auf den Demos häufig erklingt, der „Lügenpresse“. In Interviews mit u.a. dem SWR sowie dem ARD-Format Monitor musste Ballweg besonders Fragen über die mangelnde Distanz zu rechtsextremer und “Reichsbürger”-Ideologie auf seinen Veranstaltungen beantworten.
Auf den Kundgebungen vor dem Reichstag und vor der russischen sowie der amerikanischen Botschaft kam es schaurigen Szenen, in denen sich jegliches Ausmaß von rechtsextremem und demokratiefeindlichem Gedankenguts darbot. Vehement betonen die Initiatoren von „Querdenken 711“, dass die eigene Veranstaltung damit aber nichts zu tun hätte. Dabei bildete die „Querdenken“-Demonstration vor der Siegessäule ein ebenso breites Spektrum rechtsextremer und verschwörungsideologischer Symbole ab, wenn auch nicht in derselben Dichte. Zu sehen gab es Reichsflaggen, umgedrehte Deutschlandfahnen, sowie Symbole diverser Verschwörungsmythen, wie der aktuell prominenten „QAnon“-Erzählung (vgl. Belltower.News).
Im Interview mit dem „SWR“ wird Ballweg auf die Vielzahl von schwarz-weiß-roten Reichsflaggen angesprochen, die am 29.08. zu sehen gewesen sind und ob er sich von dem, was sie symbolisieren, distanziere. Seine Antworten sind so, wie sich die ganze Bewegung seit Monaten präsentiert: in alle Richtungen offen. Zunächst behauptet Ballweg, viele Leute hätten gar nicht gewusst, was für Flaggen sie da tragen. Die Flaggen seien, womöglich von „V-Leuten“, verteilt worden. Ballweg versichert, dass sich „Querdenken“ von rechts- und linksextremem Gedankengut distanziere, aber „eine Demo ist eine Versammlung ohne Eintrittskarte.“ Außerdem hätten Teilnehmer*innen auf andere Teilnehmer*innen eingewirkt, sobald eindeutige Symbole erkennbar gewesen seien. Aber letztendlich habe Ballweg sowieso selbst keine Rechtsextremen gesehen, dafür aber viele Israelflaggen, was nach seiner Interpretation scheinbar die Nicht-Anwesenheit von Rechtsextremen beweist. Außerdem werde die Reichsflagge nicht als rechtsextrem klassifiziert und sei auch nicht verboten. Es sei daher falsch, jemand mit Reichsflagge als rechtsextrem zu bezeichnen. Überhaupt hätte die Polizei sich um verbotene Symbole auf Demonstrationen zu kümmern und nicht er und sein Team.
Es wird deutlich, dass Ballweg es nicht fertig bringt, sich klar gegen ein politisches Symbol zu positionieren, welches u.a. für Krieg, Kolonialismus, Diktatur und ironischerweise Zwangsimpfungen steht (vgl. Spiegel). Es wirkt bizarr, wie Ballweg die Tatsache umkurvt, dass die Reichsflagge seit Jahrzehnten ein eindeutiges und beliebtes Element rechtsextremer Symbolik ist und speziell in der Reichsbürgerszene, die die „BRD“ als Staat ablehnen. Zudem sieht er es nicht problematisch, dass aus der gesamten rechten Szene für die „Querdenken“-Demo mobilisiert worden ist. Querdenken sei schließlich „parteiübergreifend“.
Das Problem in den eigenen Reihen
Auch eine klare Position gegenüber den Aussagen seines Pressesprechers, Stefan Bergmann, fällt Ballweg zunehmend schwer. Stefan Bergmann hatte am Rande der Demo das Grundgesetz als „Besatzungsrecht“ bezeichnet. Eine klare Aussage, die sich eindeutig der “Reichsbürger”-Ideologie zuordnen lässt, nach der Deutschland immer noch ein von den Alliierten besetztes Land sei. Dadurch, dass Bergmann diese Aussage in seiner Funktion als Sprecher der Bewegung trifft, muss sich „Querdenken 711“ den Verdacht gefallen lassen, offen und anschlussfähig für die rechtsextreme “Reichsbürger”-Ideologie zu sein.
Nach Recherchen des „Zeitungsverlag Waiblingen“ („ZVW“) ist Bergmann Gründungsmitglied des Schorndorfer Vereins „Primus inter Pares“. Der Verein wird vom Landesamt für Verfassungsschutz dem rechtsextremen sowie dem Reichsbürger-Milieu zugeordnet. Der Verein hat in der Vergangenheit geplant, eine völkische Siedlung in Ungarn zu errichten. Auf Nachfrage des „ZVW“ habe Bergmann, seit langer Zeit nichts mehr von dem Verein gehört. Distanzieren tut sich Bergmann von seinem Engagement allerdings auch nicht.
Auch herzliche Umarmungen zwischen Bergmann und dem verurteilten Holocaustleugner und Rechtsextreme Nikolai Nerling („Der Volkslehrer“) finden sich im Internet. Nerling selbst erzählt in einer Rede am Rande der Demonstration von einem netten Grillen mit Michael Ballweg selbst, bei dem sie kritische Gedanken ausgetauscht hätten. Konfrontiert mit dieser Aussage, im Interview mit „Monitor“, sagt Ballweg, er führe nun mal mit allen Gespräche. Zuvor hatte er gegenüber Pressevertretern erklärt, er habe Nehrling noch nie getroffen.
Pressesprecher Stephan Bergmann führt weiter aus, dass sich „Querdenken“ auf Artikel 146 des Grundgesetzes berufe, nach dem das deutsche Volk sich in freier Entscheidung eine Verfassung geben darf. Damit bezieht sich Bergmann auf das Vorhaben, mit „Querdenken“ als „verfassungsgebende Versammlung“ aufzutreten. Michael Ballweg selbst verkündet in seiner Eröffnungsrede am 29.08. 2020: „Wir sind die verfassungsgebende Versammlung, ich rufe alle Menschen bundesweit auf, nach Berlin zu kommen und gemeinsam mit uns an einer neuen Verfassung zu arbeiten!“
Der Artikel 146 ist ursprünglich eingeführt worden, um bei einer Wiedervereinigung das „Provisorium Grundgesetz“ durch eine auch so benannte Verfassung zu ersetzen. Allerdings ist das Grundgesetz zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung bereits zum anerkannten Ankerpunkt der politischen Existenz der Bundesrepublik und einem zentralen Moment ihrer Identität geworden und blieb damit als verfassungsgebendes Instrument bis heute bestehen.
Reichsbürger? Herein bitte!
Wieder einmal kann gefragt werden, inwieweit ca. 38.000 Menschen die deutsche Bevölkerung repräsentieren und ob sie in der Lage seien, eine neue Verfassung zu erarbeiten. Momentan kann die Verfassung nur in einer Zusammenarbeit von Bundestag und Bundesrat geändert werden, die als Repräsentanten die deutsche Bevölkerung vertreten.
Letztendlich ist das Narrativ einer „verfassungsgebenden Versammlung“ wie gemacht für ”Reichsbürger*innen”: Das aktuelle Grundgesetz wird in seiner Gültigkeit sowie in seiner Funktion in Frage gestellt. Auch wenn Ballweg sich gegen den Begriff vom „Besatzungsrecht“ ausspricht und er das Grundgesetz nur „verbessern“ will, macht er damit die Tür weit auf für all diejenigen, die das Grundgesetz und damit die Demokratie abschaffen möchten.
Die Fokussierung auf das Grundgesetz, die seit Tag Eins jeglicher „Corona“-Proteste besteht, hat zu einer Verbreitung von “Reichsbürger”-Mythen geführt. Beispielsweise die Behauptung, es würde seit dem Zweiten Weltkrieg keinen Friedensvertrag geben und Deutschland befände sich daher noch im Krieg bzw. sei nicht souverän. Dass durch den „Zwei plus Vier – Vertrag“, der die Wiedervereinigung besiegelt, alle Voraussetzungen für einen Friedensvertrag erfüllt wurden, wird dabei bewusst oder unbewusst verschwiegen. https://www.belltower.news/querdenken-und-friedensvertrag-hat-deutschland-wirklich-keinen-friedensvertrag-und-ist-gar-nicht-souveraen-103913/
Michael Ballweg bringt den Begriff „Friedensvertrag“ erstmals am 8.8.2020 auf eine Demo in Stuttgart ins Spiel, da der Begriff ihm immer häufiger begegnen würde. Ballweg regt die Teilnehmenden an, „zu diesem Thema zu recherchieren und zu prüfen“. Sein Team würde selbst mit „erfahrenen Staatsrechtlern“ in Kontakt stehen, um ein genaues Bild zu erhalten. Die Büchse der schwarz-weiß-roten Pandora ist damit ein weiteres Stück geöffnet worden. Dadurch, dass sich die Teilnehmenden vermutlich sowieso schon in Medien- und Informationsblasen befinden, in denen “Reichsbürger”-Sprache und -ideologie auf der Tagesordnung stehen, sind sie entweder mit den kruden Erzählungen über Friedensverträge und Besatzungen vertraut oder begeben sich nun erst recht in dieses Milieu, da die mittelständisch und bürgerlich daher kommende Bewegung „Querdenken 711“ ihnen diesen Weg weist.
Fehlgeleitete Toleranz
Der Narrativ einer illegitimen, faschistischen Regierung und einer nicht mehr bestehenden Demokratie in Deutschland wird von der Bühne, von den Redner*innen, auf der Demonstration am 29.8.2020 mitgetragen. Der rechtsesoterische Verschwörungsideologe Heiko Schrang will ein „neues System“ und schreit von der Bühne, die „Staatsmedien“ adressierend: „Eure Zeit ist abgelaufen!“ Der Autor Hermann Ploppa ergänzt das Ganze sogar um eine biologistische und sozialdarwinistische Ebene, in dem er die „Querdenker“ als „genetisch höherstehend“ den „Eliten“ gegenüber bezeichnet. Die Eliten seien hingegen „verkommen und verinzuchtet“. Ballweg sieht in den Redebeiträgen lediglich politische Meinungen vertreten, die „etwas aufgeregter“ artikuliert worden sind.
Die “Reichsbürger”-Ideologie bietet eine ideale synchrone Erzählung zur „Corona-Diktaur“. Durch Codewörter („Friedensvertrag“, „Souveränität“) und Symbole (Reichsflagge, Reichskriegsflagge) wird die Ablehnung des Staates und der aktuellen Demokratie gezeigt. Es finden sich Menschen zusammen, die eventuell aus unterschiedlichen Motivationen das Grundgesetz nicht nur „verbessern“ sondern auch abschaffen wollen. Das Tolerieren und das Integrieren solcher demokratiefeindlichen Einstellungen und Personen wird „Querdenken“ und seinen eventuell vorhandenen demokratischen Anfangsambitionen zum Verhängnis werden. Oder um mit dem „Toleranz-Paradox“ des Philosophen Karl Popper zu schließen: „Denn wenn wir die uneingeschränkte Toleranz sogar auf die Intoleranten ausdehnen, wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen.“