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„Querdenken“ Brandanschläge und Gewalt unter Verschwörungsgläubigen

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Symbolbild (Quelle: Unsplash)

In der Nacht zum 21. November brannten gleich zwei Testzentren im Münsterland in Nordrhein-Westfalen. Zuerst musste die Feuerwehr nach Ahaus-Ottenstein ausrücken. Hier wurden ein Container und ein Pavillon durch das Feuer stark beschädigt. Die Teststation brannte schon zum dritten Mal in diesem Jahr. Zum wiederholten mal wurde sie mit Graffitis besprüht. Wenige Stunden später brannte es in Gronau-Epe, die Teststation war erst am Tag vorher eröffnet worden. An beiden Stationen beträgt der Sachschaden mehr als 10.000 Euro.

Die Polizei geht von Brandstiftung aus und vermutet einen Zusammenhang zwischen den beiden Bränden im Kreis Borken. Kein Wunder, denn am Testzelt in Gronau fand die Polizei ein Graffiti vor, die bei einem vorherigen Brand bereits in Ahaus gesprüht worden war, neben „Jens du Huso“, eine Beleidigung des noch amtierenden Gesundheitsministers Jens Spahn, auch „Stop oder Tod“.

Eine Drohung, die ernst genommen werden muss. Das zeigt nicht zuletzt der Mord an Alexander W. im September in Idar-Oberstein. Der 20-Jährige jobbte in einer Tankstelle und wurde von einem 49-jährigen Maskenverweigerer erschossen. Der Tankstellenmord markiert die bisher schlimmste Gewalttat aus der Szene der Impfgegner:innen und „Querdenken“.

Dass es sich bei den mutmaßlichen Brandstiftungen im Münsterland keinesfalls um spontane Taten handelt, zeigt auch ein Blick auf Telegram. Auf dem Messengerdienst wurde in einer Gruppe, die sich spezifisch an User:innen aus Nordrhein-Westfalen und dem Münsterland richtet, schon vor Monaten zu Graffiti-Aktionen aufgerufen.

Screenshot aus einem Telegramchat für „Coronagegner“ aus dem Münsterland

Eine andere Telegramgruppe dient als „Meldezentrale“ für Termine, an denen Impfbusse in Kommunen organisiert werden. Die Gruppenmitglieder teilen immer wieder empört Screenshots oder Fotos von solchen Ankündigungen. Auch für den Kreis Borken gibt es eine Meldung und dazu den Aufruf, „eine STINKBOMBE in das Impfmobil [zu] werfen“ (sic).

Screenshot aus einem Telegramchannel, der Maßnahmen gegen „Impfbusse“ fordert.

Immer wieder wird entweder ganz offen oder verdeckt zu Einschüchterungen und Angriffen aufgerufen. So sollen etwa „ausgewählte Personen des öffentlichen Lebens und Institutionen“ mit angeblichen Videobeweisen von Impfschäden oder Todesopfern konfrontiert werden. In einem Post aus Frankfurt an der Oder, der in der Münsterländer Gruppe geteilt wird, wird beschrieben, wie USB-Sticks mit entsprechenden Materialien an Hausärzt:innen verteilt wurden. Die Ärzt:innen werden mit vollem Namen genannt, einige mit dem Zusatz „Annahme verweigert“.

An vielen Orten in Deutschland wird aus den Gewaltdrohungen Realität. Bereits 2020 gab es 200 Attacken auf Angestellte der Bahn, die Fahrgäste auf die Maskenpflicht aufmerksam machten.

In Landshut wurde Anfang März ein Testzentrum angezündet. Im März warf ein 30-jähriger Mann einen Molotow-Cocktail durch eine eingeschlagene Scheibe im Rathaus von Delmenhorst. Der mutmaßliche Täter: ein stadtbekannter „Corona-Kritiker“. In Berlin-Lichtenberg brannte im August zweimal ein Testzentrum. Auch hier ging die Polizei von Brandstiftung aus. In der Hauptstadt gab es schon im April einen Brandanschlag auf ein Testzentrum im Stadtteil Tiergarten. Schmierereien kommen ebenfalls häufig vor.

Nicht nur Teststationen sind immer wieder Gewalt ausgesetzt, sondern auch Impfzentren sind betroffen. Eine Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) unter Ministerien, Landeskriminalämtern und einer Kassenärztlichen Vereinigung ergab, dass es bis September 2021 fast im ganzen Land zu Übergriffen kam, dazu gehörten Sachbeschädigungen, Schmierereien, aber auch Drohungen, Beleidigungen und körperliche Angriffe auf Mitarbeitende. Insgesamt wurden im Zeitraum bis September mindestens 190 polizeilich relevante Fälle gezählt. Spitzenreiter sind dabei Sachsen und Bayern. Seit Dezember 2020 gab es in Bayern 56 Straftaten im Zusammenhang mit Impfzentren. Zwischen Januar und September 2021 zählten die Behörden 54 Straftaten in Sachsen. Darunter war auch ein Brandanschlag auf ein Impfzentrum in Eich im Vogtland. Dabei wurden drei Molotow-Cocktails gegen ein Tor geworfen. Nicht der erste Angriff, erst im März gab es eine Farbbeutelattacke auf das gleiche Zentrum.

Dabei sind die Anlässe für Gewalt unterschiedlich. In Gera griff ein Mann im September ein mobiles Impfteam an, das sich geweigert hatte, ihm ohne Impfung ein Impfzertifikat auszustellen. Zwei Teammitglieder wurden dabei verletzt und mussten in einem Krankenhaus behandelt werden.

Regelmäßig kommt es entweder zu Drohungen, aber auch zu massiver Gewalt durch Maskenverweigerer. Erst vor einer Woche etwa in Lütjenburg in Schleswig-Holstein. Ein 43-jähriger Mann bewarf eine Verkäuferin in einem Supermarkt zunächst mit Waren, nachdem sie ihn auf die Maskenpflicht hingewiesen hatte, und riss ihr danach ein Büschel Haare aus. Einer anderen Mitarbeiterin brach er die Nase.

Seit dem Beginn der Pandemie kommt es in zahllosen Fällen zu verbaler oder körperlicher Gewalt, zu Brandanschlägen und Angriffen. Ärzt:innen und Mitarbeitende im Gesundheitssektor werden eingeschüchtert und bedroht. Einer der Gründe dafür ist der permanente Ausnahmezustand, der in „Querdenken“-nahen Gruppen und auf den Demonstrationen der Bewegung immer wieder an die Wand gemalt wird. Die Gläubigen der „Corona“-Gurus werden unter Handlungsdruck gesetzt und ihnen wird in tausenden Telegramnachrichten immer wieder eingebläut, dass es Zeit sei, gegen die angebliche „Corona-Diktatur“ aktiv zu werden. Jede Unannehmlichkeit wird von Impfgegner:innen und der „Querdenken“-Bewegung zur massiven Grundrechtsverletzung hochgepusht. Darunter leiden besonders diejenigen, die im Einzelhandel, Restaurants, in Supermärkten oder Tankstellen arbeiten und verantwortlich dafür sind, dass Vorschriften zur Infektionsvermeidung eingehalten werden. Sie werden zu Sündenböcken gemacht, beleidigt und angegriffen. Das Gleiche gilt für Mitarbeitende in Teststationen, Impfzentren und Arztpraxen. Überraschen darf das alle nicht. In den sozialen Medien und in Telegramgruppen kann läuft die Radikalisierung der Szene in Richtung Gewalt und Terror vor aller Augen ab.

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