„Wir laufen nicht mit Nazis. Ich bin kein Nazi. Wir sind weder links noch rechts“, ruft Michael B. laut Antifaschist*innen entgegen, die gegen die „Querdenken“-Demo am 21. November 2020 in Leipzig demonstrieren. Später steht der 43-jährige selbsternannte „Captain Future“ verkleidet mit einem gelben Cape inmitten der Maskenverweigerer*innen und Impfgegner*innen. Doch die Anwesenden auf dieser Demonstration zeigen ein anderes Bild: Nach Leipzig sind neben gewaltbereiten Neonazis auch der Rechtextreme und Holocaustleugner Nikolai Nerling („der Volkslehrer“) sowie der rechtsaußen AfDler Hans-Thomas Tillschneider angereist. Für B. ist das offenbar kein Problem. Er fordert zwischen „Trump 2020 – the best is yet to come“- und „Schluss mit der Corona-Show“-Plakaten weniger Angst und mehr Musik.
Der DJ und Veranstalter des „Bondage Balls“ und anderer Kink-Partys, unter anderem im kultigen Berliner Feitschclub „KitKat“, hat im Mai 2020 die „Freedom Parade“ ins Leben gerufen und die Erzählung gesponnen, er würde als „Captain Future“ die Menschheit vor dem „verrückte[n] Professor Drosten“ retten, der die Menschen „mit dem Angst-Virus infiziert“ habe – so heißt es auf seiner Webseite. Mit der „Freedom Parade“ möchte er ein Zeichen gegen die Corona-Maßnahmen und die „mediale Gehirnwäsche“ setzen. Denn: „Welche bessere Art für unsere Freiheit und die Liebe zu demonstrieren könnte es geben, als unter freiem Himmel zu tanzen?“
Am 16. Mai 2020 findet die erste „Freedom Parade“ auf dem Alexanderplatz statt, bei der B. noch vor spärlichem Publikum die „sofortige Aufhebung aller Corona-Maßnahmen“ fordert. „Wir sind Leute aus der Mitte, wir sind Party-Leute, wir wollen einfach nur feiern und unsere Freiheit zurück. All diese Maßnahmen halten wir für extrem übertrieben“ ruft der Fetisch-Partyveranstalter durch ein Megaphon. Während des Sommers findet die „Freedom Parade“ alle zwei Wochen statt und die Teilnehmer*innenzahl wächst von Mal zu Mal. Mit einem Flix-Bus reiste B. mit Begleitung sogar bis nach Braunschweig, um dort auf einer Demonstration aufzutreten.
Im Namen des Umweltschutzes
Bei der „Freedom Parade“ steht optisch alles im Zeichen der Liebe und des Friedens. Das Logo ist ein Peacezeichen, umrahmt von mehreren Herzen, was offenbar auch dem Coronavirus ähneln soll. Ein harmloses Design: Schließlich geht es um „Frieden, Freiheit und Wahrheit“ aber auch „gegen Rechts- und Linksextremismus“. Bei einer klassischen Parade spielt B. Hits von seinem Lautsprecherwagen ab und ruft etwa auf den Beat von „I like to move it“ Parolen wie „I like Untersuchungsausschuss“ oder zu „Out of Space“ „Schickt den Drosten zu outer space“. Häufig bekommt er Verstärkung auf dem Wagen und es wird „Wir sind gesund, keine Masken und kein Impfstoff, wir sind gesund“ oder auch auf Englisch „Mask not good for me, I don’t need no mask“ gemeinsam gegrölt.
Die „Freedom Parade“ fordert eine „nachhaltige Klimaschutzpolitik“ und so skandiert B. zwischendurch auch schon mal kryptisches wie „Euer Klima wird sich immer weiter erwärmen und Corona ist ein Fehlalarm“ und ruft in Redebeiträge zum kritischen Konsum auf. So konstatiert er etwa, dass man „auch mit weniger klar kommen“ könne und nicht „ständig shoppen“ gehen müsse. Was nicht verkehrt ist. Mit der „Freedom Parade“ soll ein Publikum angesprochen werden, dass sich für Umweltschutz zumindest im weitesten Sinne interessiert. Spenden gehen auf ein Konto bei der Ethik Bank.
Diese Zielgruppe scheint nicht von ungefähr zu kommen. Im Oktober 2019 hielt B. für „Fetish for Future“ – woher auch der Name „Captain Future“ rührt – eine Rede bei einer Demonstration von „Extinction Rebellion“ (XR). Ironischerweise fordert er in seiner Rede dazu auf, mehr auf die Wissenschaft zu hören, um den Klimawandel zu stoppen – 2020 könnte er mit seinen Aussagen über das Coronavirus von Wissenschaft und Forschung leider nicht weiter entfernt sein. Ein „Wir sind das Volk“ skandiert er allerdings auch schon 2019 bei der XR-Veranstaltung.
Das Logo auf seinem „Captain Future“ Cape lässt sich ebenfalls auf diese Veranstaltung zurückführen. Das Logo besteht aus einer Kombination der Gasmaske von „Fetish for Future“ und der Sanduhr von „Extinction Rebellion“. XR hat sich inzwischen von B. distanziert und bei einigen Auftritten hat er das XR-Logo überklebt, jedoch ist es unter anderem auf seinem Soundcloud-Account gut erkennbar, da B. es auf sein Cape gedruckt hat. Dass nicht alle der Wissenschaft abgeschworen haben, kam ihm offenbar nicht in den Sinn. „Fetish for Future“ bleibt B. allerdings treu und unterstützt ihn in seinem Protest „für Grundrechte und gegen die übertriebenen Corona-Maßnahmen“.
Mit Rechten feiern
Dass B.s Ablehnung von Extremismus „jeder Art“ ihn nicht davon abhält, rechtsalternative Veranstaltungen zu besuchen, wird im Laufe des Jahres 2020 allzu deutlich. Im Juni 2020 erscheint ein Statement von ihm auf YouTube, in dem er sich von dem Holocaustleugner Nikolai Nerling distanziert. Nerling solle bei einer „Großdemonstration aller Gruppen“, zu der auch die „Freedom Parade“ mobilisierte, die Bühne „gestürmt“ haben. Wie in einem Videomitschnitt der Veranstaltung zu sehen ist, stimmen die Teilnehmer*innen der Veranstaltung jedoch darüber ab, ob Nerling sprechen darf oder nicht. Schließlich sind sie, wie sie immer wieder betonen, ja Demokrat*innen. Letztlich gewähren sie Nerling eine begrenzte Redezeit, in der er dann ausführlich erklärt, was für ihn Rechtsradikalismus bedeutet. B.s „Abgrenzung“ erfolgt dann durch das Aufhängen eines durchgstrichenen Hakenkreuzes an seinem Laptop, laut B. einem „Anti-Nazi-Schild“, und schon hat er mit Nerling nichts mehr zu tun, obwohl er wenig später auf der selben Bühne steht, vor einem Publikum, dass wissentlich einen verurteilten Holocasutleugner sprechen ließ.
Am 20. Juni 2020 nimmt die „Freedom Parade“ für „mehr direkte Demokratie und Bürgerräte“ und gegen „Masken, Impfen, Impfpass oder Corona-App“ an der „Parade de la Résistance“ teil. Angemeldet wurde die Veranstaltung von der sich als links verstehenden „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ rund um Anselm Lenz, der die sogenannten „Hygiene Demos“ initiierte. Lenz schreibt unter anderem für die verschwörungsideologische Seite KenFM und war zusammen mit Nerling Gast in einem rechtsalternativen YouTube-Format, in dem auch B. im November auftrat. Darüber hinaus bringt Lenz seit Beginn der Pandemie die selbst publizierte Zeitung „Demokratischer Widerstand“ heraus, in der kürzlich der Angriff von gewaltbereiten Rechtextremen auf das Kapitol als „todesmutig“ und als „Amerikanische Revolution“ bezeichnet wurde. B. selbst pflegt neben dem Kontakt zu Lenz engen Kontakt zu einem Fotografen des „Demokratischen Widerstandes“, mit dem er gemeinsam zur „Querdenken“-Demonstration nach Leipzig reiste und in zahlreichen Videos zusammen zu sehen ist.
Die Annäherung von B. an die rechtsalternative Verschwörer*innen-Blase kulminiert mit der Mobilisation der „Freedom Parade“ zum 1. August 2020 nach Berlin – zum von „Querdenken 711“-Gründer Michael Ballweg angemeldeten „Marsch der Freiheit“, dem „Höhepunkt des Jahres“, wie es auf der „Freedom Parade“-Website heißt. Bei der Demonstration laufen Neonazis, Impfgegner*innen und Coronaleugner*innen Hand in Hand. Auf der Website der „Freedom Parade“ heißt es, bei der Veranstaltung hätten „100.000 Menschen in Berlin gegen die Corona-Politik und für die Freiheit“ demonstriert. Eine große Übertreibung, doch weniger als manche Schätzungen der Teilnehmer*innenzahl aus der „Querdenken“-Blase, die Zahlen bis in die Millionenhöhe behaupteten, die aber vielfach widerlegt wurden. An der Demonstration nahmen in Wirklichkeit ca. 20.000 Personen teil. Ab August 2020 organisiert die „Freedom Parade“ mehrere Veranstaltungen zusammen mit „Querdenken“, unter anderem den „Medien Marsch“ im Dezember. B. tritt bei Veranstaltungen in Dresden, Leipzig, Köln, Braunschweig und Frankfurt auf.
Weitere Verbindung zur „Querdenken“-Szene sind auf der Webseite der „Freedom Parade“ zu finden. In der Seitennavigation verlinkt die Option „Shop (Non-Profit)“ zu „Grundgesetz 2020“, einem selbsternannten „Shop der Widerstandsbewegung“, dessen Zielkunden offenbar das „Querdenken“-Milieu ist. Dort werden T-Shirts von bekannten Akteuren der Impfgegner*innen- und Corona-Leugner*innen-Szene wie „Freiheitsboten“, „Eltern stehen auf“, Ralf Ludwigs „Klagepaten“ und eben B.s „Captain Future und die renitenten Feierbiester“ angeboten. Auch gibt es Flyer, die das Coronavirus verharmlosen. Abgerundet wird B.s Ankunft in der Szene zum Jahresende mit einem Artikel im rechtsalternativen Compact Magazin: Das Verschwörer*innen-Magazin bezeichnet B. und die „Freedom Parade“ als „Punks unter den Widerstandskämpfern gegen die Lockdown-Diktatur“.
Humor als Mittel der Grenzüberschreitung
Bei B. soll irgendwie alles witzig sein. Er filmt sich bei klandestinen Treffen in Wohnungen, bei denen die fünfzehn erwachsenen Personen abrupt verstummen, sobald Geräusche im Flur zu hören sind und dann bei „Entwarnung“ hysterisch anfangen zu kichern. Verschüttete Getränke werden mit einem Mundschutz aufgewischt („Damit wischt man das doch auf, oder?“). Medienberichten zufolge wurden schon einige illegale Partys bei „Captain Future“ während der Pandemie aufgelöst. In einem anderen Video läuft B. nur mit einem Mundschutz und Cape bekleidet neben einem Lautsprecherwagen lang und zieht mit einer Polonaise ohne Maske durch Kaufhäuser und Supermärkte („Maskenlos Shoppingtour“) während über eine große Box „Maskenlos durch die Stadt“ abgespielt wird – eine Aktion, die online für viel Empörung sorgt.
Und schließlich verpackt er seinen Glauben an Verschwörungserzählungen wiederum in eine Superheldenerzählung, in der er als „Captain Future“ gegen Dr. Drosten kämpft. Diese Erzählung, des guten Superhelden, der sich gegen das Böse wehren muss, wird auch in seinen Homevideos aufgegriffen, wenn beispielsweise besorgte Nachbar*innen als „die Gurus der Sekte Zeugen Coronas“ bezeichnet werden. Die Anderen seien es, die an an eine Verschwörung glauben. B. und die „Freedom“-Gefolgschaft sind die Einzigen, die die „wahre“ Agenda von Drosten durchschaut haben. Die Message bleibt die gleiche, jedoch wird sie durch den vermeintlich humoristischen Rahmen abgefedert – was es umso gefährlicher macht.
Dies wird auch an den Liedern deutlich, die B. im Verlauf des Jahres 2020 selbst produziert oder auf diversen „Freedom Paraden“ verbreitete. So findet sich auf seinem Soundcloud-Account das Lied „Ein bisschen Sars muss sein“ von der Querdenken-Sängerin Annika S. alias „C.O.Rona“, die auch für den Schwurbelhit „Maskenlos durch die Stadt“ verantwortlich ist. S., die durch Textzeilen wie „Mein Gehirn ist meine Kanzlerin“ strahlt, verkündet in ihren Liedern das Ende der Pandemie, bezeichnet die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus als Krieg, und wähnt sich bei „Querdenken“-Demos in einer „Schlacht gegen Marionetten finstrer Macht“. S. verharmlost mit ihren Liedern also nicht nur das Coronavirus, sondern reproduziert auch die antisemitische Erzählung der vermeintlich fremd gesteuerten Regierung.
Auch „Captain Future“ reproduziert unter dem Deckmantel des „Humors“ problematische Bezüge zum Nationalsozialismus, die den Holocaust relativieren. So zeigt das „Cover“ zu B.s eigenen Liedern auf Soundcloud den Virologen Drosten in einer gestreiften Häftlingsuniform, die an die KZ-Häftlingsuniformen erinnert, die aber auch das Konzept eines kommenden Prozesses hervorrufen soll, eines zweiten „Nürnberger-Prozesses“, bei dem „die Verantwortlichen“ – in den Augen der „Querdenker*innen“: Politiker*innen, Prominente, Journalist*innen und Virolog*innen – „zur Rechenschaft gezogen“ werden. Große Poster mit diesem shoarelativierenden Motiv waren auch auf der Demo in Leipzig zu sehen. Anhänger*innen der „Freedom Parade“ hatten offenbar kein Problem damit, neben solchen Plakaten ihre „Freedom“-Flagge zu schwenken, wie ein Video der Demonstration zeigt.
Relativierung des Nationalsozialismus
In seinem Superhelden Kostüm inszeniert sich B. als mutiger Freiheitskämpfer, der für Freiheit und Demokratie auf die Straße geht. Ein übliches Narrativ in dieser Szene: Die „Querdenker“ sind etwas ganz Großem, der Mega-Verschwörung, auf der Spur. Und sie sind die Einzigen, die sich gegen die „Corona-Diktatur“ wehren. Sie inszenieren sich als marginalisierte Gruppe, als Opfer einer vermeintlichen Gewaltherrschaft, die mit den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie eingeläutet wurde. Dabei gehen die selbsternannten „Freiheitskämpfer*innen“ häufig soweit, sich in der Tradition antifaschistischer Widerstandskämpferinnen wie Sophie Scholl zu wähnen.
Das betrifft auch B. So erklärte der Möchtegern-Superheld bei der „Querdenken“-Demonstration im November in Leipzig, er sei Antifaschist. „Wir sind gegen den Faschismus dieser Regierung auf der Straße. Die Regierung sind die Faschisten. Die haben ein Ermächtigungsgesetz durchgedrückt. Wir sind nicht eure Feinde, die da oben sind eure Feinde.“ Und weiter erklärt er: „Faschismus ist, wenn es nur eine Meinung gibt und alles andere sind Verbrecher. So wie heute. Es wird nur auf Dr. Drosten gehört und alles andere sind Verschwörungstheoretiker. Das ist genau das gleiche wie damals.“
Und um wirklich noch einmal sicher zu gehen, dass auch die Zuschauer*innen Zuhause verstehen, dass er die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie mit der nationalsozialistischen Verfolgungs-und Vernichtungspolitik und mit dem faschistischen Ermächtigungsgesetz von 1933 vergleicht, wird in einem Video von „Captain Future“ auf der Plattform lbry.tv, das kurz nach der Leipziger Demonstration veröffentlicht wurde, noch eine Grafik „Faschismus damals – Faschismus heute?“ eingeblendet. Darin wird dann kurzerhand Hitler mit dem Gesundheitsminister Jens Spahn und die gesellschaftliche Stellung von selbstbezeichneten „Ariern“ in der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft mit der Stellung von „Geimpften“ in der Bundesrepublik verglichen.
So hat B. als „Captain Future“ mit seiner Abneigung gegen die Wissenschaft fast nichts mit dem „Captain Future“ der gleichnamigen Anime-Serie gemein, der sich als der „fähigste Wissenschaftler des Sonnensystems“, als „Wizard of Science“, der Verbrechensbekämpfung widmet. Durch seine „Freedom Parade“, die „Maskenfrei Shoppingtour“ und seine Dauerpräsenz auf „Querdenken“-Demonstrationen, die einer wissenschaftlichen Studie der Humboldt-Universität zu Berlin zufolge virologisch wie Superspreader-Events fungieren, sorgt dieser „Captain Future“ lediglich dafür, dass die Türen der von ihm so geschätzten Clubkultur noch länger geschlossen bleiben müssen, bis die Pandemie wieder unter Kontrolle ist. Und das ist eine nicht sonderlich beeindruckende Superkraft.