Nachdem am Wochenende 17 Querdenker:innen-Demonstrationen und Kundgebungen in Berlin verboten worden waren, rotteten sich trotzdem rund 5.000 Personen aus der Szene an verschiedenen Stellen der Stadt zu unangemeldeten Demonstrationen zusammen. Dieses Milieu zeigte sich ideologisch aufgepeitscht und gewaltbereit gegenüber Polizist:innen, Journalist:innen und Mitarbeiter:innen eines Schnelltestzentrums. Gegen 503 Querdenker:innen wurden Ermittlungserfahren eingeleitet: In 59 Fällen werde wegen Widerstands und in 43 Fällen wegen tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte ermittelt. Weitere Anzeigen gab es wegen besonders schwerem Landfriedensbruch, Gefangenenbefreiung sowie Verstößen gegen das Versammlungsfreiheitsgesetz und die Berliner Infektionsschutzverordnung. (Belltower.News berichtete).
Aber wir finden die Querdenken-Anhänger:innen bundesweit die Aktion? Zwei Narrative bestimmen die Debatte in den Online-Kanälen und –Gruppen:
- Polizeigewalt – vor allem mit Fokus auf einen verstorbenen Demonstrationsteilnehmer
- Glorifizierung der Veranstaltung und Beschönigung der Zahlen
Polizeigewalt/verstorbener Demonstrant:
Was auf der Demonstration geschah:
Ein 48-Jähriger aus Euskirchen versuchte als Teil der Coronaproteste, in Kreuzberg kurz nach 16 Uhr eine Polizeikette zu durchbrechen. Er stieß am Tempelhofer Ufer einen Beamten um und ging dann mit diesem gemeinsam zu Boden. Der Polizist sei dabei verletzt worden, berichtet der Spiegel mit Bezug auf Ermittlerkreise. Eine Verhaftung durch andere Polizisten misslang, der 48-Jährige flüchtete, wurde aber nach kurzer Verfolgung zu Boden gebracht und mit Handfesseln gefesselt. Der Mann klagte dann über Schmerzen in der Schulter, sagte aber wenig später, sie seien abgeklungen. Er wurde in eine Gefangenensammelstelle gebracht, wo er über Schmerzen in der Brust klagte und einen Arzt sehen wollte. Daraufhin wurde er mit einem Rettungswagen in die Charité gebracht, wo er nach erfolglosen Rettungsversuchen verstarb.
Statt den tragischen Tod eines Menschen auf der Demonstration zu betrauern, begann in Querdenken-Kreisen die sofortige Instrumentalisierung. Nun habe die Bewegung ihren eigenen „George Floyd-Moment“, hieß es etwa mit Bezug auf den Amerikaner, der nach massiver, rassistisch motivierter Polizeigewalt verstarb, was die weltweiten „Black Lives Matter“-Proteste auslöste. Andere sprechen von einem rechten Benno Ohnesorg – wobei auch dieser aktiv von der Polizei erschossen wurde. Auch wenn die Aggression in Berlin vom später verstorbenen 48-Jährigen ausging, soll sein Tod zur Mobilisierung genutzt werden.
Zum Stricken der Legende gehört es, gerade in verschwörungsideologischen Gemeinschaften wie hier im Telegram-Channel von YouTuber „Unblogd“, die Natürlichkeit der Todesursache anzuzweifeln:
Im radikalsten Falle artikuliert sich dies in der Forderung, Berlins Innensenator Andreas Geisel zu inhaftieren:
Der zum Märtyrer stilisierte Mann wird als Radikalisierungsmoment genommen. Die „Freien Sachsen“ etwa schreiben: „Die Tötung eines Demonstranten ist eine Zäsur für die Freiheitsbewertungen (sic) und den Bürgerprotest. Das Regime schreckt vor Nichts (sic) mehr zurück. (…) Werden sie uns dann aller erschießen? Vielleicht auf der Straße des 17. Juni? Oder bekommt Berlin seinen Platz des himmlischen Friedens?“
Inzwischen ist über den Toten bekannt, dass er ein Mitglied der Partei „Die Basis“ war und mit seinem 16-jährigen Sohn zu Demonstration gefahren ist. Die Familie und auch „Die Basis“ stellen sich nun gegen die Instrumentalisierungen. Dirk Sattelmeier von „Die Basis“ plädiert nicht nur dafür, die Ermittlungen abzuwarten. Sattelmeier, der zu den querdenkernahen „Anwälten für Aufklärung“ gehört, sagt in einem Videoappell an die eigene Szene: „Lasst es sein, das zu instrumentalisieren. So etwas kann passieren.“ Ein Berliner Anwalt vertrete die Interessen der Familie, genieße volles Vertrauen, habe Akteneinsicht und werde darauf achten, dass alles mit rechten Dingen zugehe. Manche „Basis“-Aktivist:innen, wie Eva Rosen, löschten daraufhin bereits verbreitete Instrumentalisierungen. Andere Teile der Szene fuhren nahtlos damit fort.
Darüber hinaus artikuliert sich auch eine generell verbreitete Ablehnung der Polizei. Generell schwankt die Rezeption der Polizei je nach deren Verhalten zwischen „Sie sind Teil des Volkes und sollten sich auf unsere Seite stellen“ und „Bezahlte Merkel-Söldner!!“
Es gibt in Telegram-Gruppen auch Aufrufe, einzelne Polizist:innen anzuzeigen, die Sprache dazu ist nicht nur sehr großbuchstabig, sondern auch martialisch: „Wendet dieselbe Taktik an wie der Feind – greift Einzelne heraus und bekämpft sie!“ heißt es wenig liebevoll bei „Herzens-Connecter“ Nana Domena.
Außerdem werden die Verbote der „Querdenken“-Straßenaktivitäten mit anderen Demonstrationen mit Hygienekonzept verglichen, natürlich, um diese abzuwerten und die eigene Verachtung auszudrücken. Vor allem wird aus Rassismus und Queerfeindlichkeit gegen antirassistische Demonstrationen und den „Christopher Street Day“ (CSD) gehetzt („Homos dürfen ihre Sexualität ausleben, aber wir dürfen uns nicht politisch äußern“).
Des Weiteren kursieren Behauptungen, die Polizei hätte einen sehbehinderten Mann oder eine alte Dame attackiert. Dies soll unfaires Verhalten der Polizei suggerieren, allerdings fehlen in der Regel der Zusammenhang oder auch nur Ort und Zeit. Durch solche Postings wird gleichermaßen davon abgelenkt, dass die Demonstrierenden selbst Angriffe auf Polizei und Presse verübt als auch Passant:innen belästigt haben. Die Querdenken-Bewegung inszeniert sich als zu Unrecht schikaniert und Opfer von Polizeirepression und antidemokratischem Verhalten. Dafür wird auch das initiale Demonstrationsverbot wird als Beweis herangezogen, obwohl die Veranstaltenden von Beginn an vermittelt hatten, sich nicht an Corona-Schutz-Auflagen halten zu wollen.
Glorifizierung der Veranstaltung und Beschönigung der Zahlen
Es gehört zum Aktivismus rund um Straßenveranstaltungen, Teilnehmendenzahlen anzuzweifeln. Diesmal gehört zu den Glorifizierungs-Narrativen rund um den 01.08. aber vor allem die Beteuerung, die Demonstration sei „friedlich“ gewesen, ja mehr noch, ein „friedlicher Spaziergang“ – und diese Legitimation und Motivation wird umso lautstärker vorgetragen, weil sie ja nicht wahr ist. Doch in der Szene ist jede gegenteilige Berichterstattung eine Lüge:
Dazu passt rechtsalternative Berichterstattung wie etwa bei Boris Reitschuster. Der versucht, sich den Ruch journalistischer Objektivität zu geben, indem er auch von Angriffen und Beleidigungen durch die Teilnehmenden berichtet. Jedoch: „Ich wurde selbst Zeuge, wie Demonstranten Polizisten angriffen – nachdem diese zuvor mit großer Brutalität andere Demonstranten zu Boden gerissen hatten und es zu einem Handgemenge kam.“ Quasi Gewalt aus Nächstenliebe.
Natürlich wird außerdem den Polizeiangaben von ca. 5000 Teilnehmer:innen widersprochen – es seien sehr viel mehr gewesen:
Das rechtsextreme „Compact“-Magazin verhöhnt derweil Proteste gegen die Demonstration:
Zusammenfassend lässt sich feststellen: Das Hauptnarrativ der Polizeigewalt passt sehr praktisch zum übergelagerten Querdenken-Narrativ der Diktatur, die in Deutschland angeblich herrsche, und ein verstorbener Demonstrationsteilnehmer wird so als Märtyrer zum Beweis der gewaltsamen Unterdrückung. Deutlich verschoben hat sich damit das Bild der Polizei in der Szene: Diese wurde bisher als Verbündete wahrgenommen und angesprochen, nun werden Polizist:innen zu Feind:innen stilisiert.