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Querfront Von den Coronaprotesten zur Israelfeindschaft

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DJ „Captain Future“ wird bei einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen in Berlin von Polizisten abgeführt. (Quelle: picture alliance/dpa | Christoph Soeder)

Mit jeder Eskalation in Israel/Palästina entsteht neben Anlässen für „propalästinensische“ Demonstrationen auch der Bedarf an finanzieller Unterstützung. Sei es für eben jene Demonstrationen, für Verfahrenskosten aufgrund von Repressionen, oder für die Unterstützung von Palästinenser*innen vor Ort. Soweit nicht ungewöhnlich und eher üblich, woran sich auch seit der neuesten Eskalation seit dem 7. Oktober nichts änderte.

Seit Mitte August wurde auf der Seite „protestnoten.de“ ein Benefizkonzert unter dem Titel „Voices for Gaza“ beworben, das am 28. September 2024 in der „Musikbrauerei“ in Berlin stattfand. Durch den Ticketverkauf und zusätzliche Spenden sollte Geld für den Kinderarzt Qassem Massri und den Bau eines Lazaretts mittels der Barakah Charity von Abed Hassan gesammelt werden. Außerhalb der Ticketverkaufsseite und Social-Media-Kanälen mancher Organisator*innen, Künstler*innen, und Unterstützer*innen, wurde der Abend auch von „Palästina Spricht“ via Instagram (ca. 60.000 Follower*innen) beworben. Angekündigt waren unterschiedlichen Künstler*innen wie Alexa Rodrian, Marlene Scheffel, Sanam Afrashteh, Nina Maleika, Lapaz und Bustek, sowie Verschwörungs-DJ Captain Future. Wie ein näherer Blick auf die gesamte Liste, die Organisator*innen, und einen Sponsor zeigt, offenbart sich hier der nächste Schritt einer Bewegung, die mit Coronaleugnung anfing, und über die prorussischen Demos nun über weitere rechte Umwege beim Israelhass angekommen ist.

Verschwörungsparty für Gaza

Neben unbekannteren Namen finden sich bei der Liste der Künstler*innen also auch bekanntere Größen aus der verschwörungsideologischen Szene, die durch die Corona-Pandemie Aufschwung erfuhren. Vor 2020 noch am ehesten als Sängerin bekannt, machte sich Nina Maleika danach eher einen Namen durch Verbreitung von Verschwörungsideologien. Captain Future aka Michael Bründel ist ein Berliner DJ, der in den Anfängen der Pandemie regelmäßig Demos gegen die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus anführte.

Der DJ und frühere Veranstalter des „Bondage Balls“ und anderer Kink-Partys veranstaltete im Mai 2020 die „Freedom Parade“ auf dem Berliner Alexanderplatz, bei der er die „sofortige Aufhebung aller Corona-Maßnahmen“ forderte. „Wir sind Leute aus der Mitte, wir sind Party-Leute, wir wollen einfach nur feiern und unsere Freiheit zurück. All diese Maßnahmen halten wir für extrem übertrieben“ rief der Fetisch-Partyveranstalter durch ein Megaphon. Während des Corona-Sommers 2020 findet die „Freedom Parade“ alle zwei Wochen statt und die Teilnehmer*innenzahl wächst von Mal zu Mal.

+++ Hier mehr zu „Captain Future“ lesen +++

Wie bei so vielen Protagonist*innen der Szene rund um Querdenken zeigt auch Bründel schnell Affinität zu Verschwörungserzählungen und eine mangelnde Abgrenzung zu rechtsextremen Akteur*innen und Ideologien. Das wurde nicht zuletzt im Oktober 2023 deutlich. Bründel nahm an der Verleihung des Satirepreises „Goldener Aluhut“ teil und störte zusammen mit Maleika, und anderen vom Publikum aus die Reden, außerdem verteidigte er die AfD Co-Vorsitzende Alice Weidel gegen Kritik.

Ein kurzer Blick auf Bründels YouTube-Kanal zeigt zudem, dass es sich dabei nicht um reine Inszenierung der Provokation wegen handelte, es vielmehr auch inhaltliche Überzeugung ist. In einem Video ist zu sehen, wie Bründel und weitere zwei Tage nach dem Verbot das Team des rechtsextremen Compact-Magazins rund um Jürgen Elsässer besuchen, um sich gemeinsam über den Beschluss zu belustigen. Einen Tag vorher erklärte Bründel in einem Video, dass sich Compact „für den Frieden“ einsetze. In einem anderen Clip gratuliert der Aktivist dem berüchtigten rechtsextremen und islamfeindlichen Blog PI-News zum 20-jährigen Jubiläum.

Verschwörungsinfluencer*innen ohne Berührungsängste

Auch bei Nina Maleika lässt sich innerhalb kurzer Zeit feststellen, wie sie politisch einzuordnen ist. Zwei Tage vor dem Konzert postet die Aktivistin auf ihrem X-Account mit fast 8.000 Follower*innen eine Grafik, laut der zwölf Unternehmen hunderte Marken gehören sollen, wobei ganz oben über allem „Rothschild – We own it“ steht. Scrollt man weiter, finden sich weitere verschwörungsideologische Versatzstücke (so soll etwa der Warntag im September gezielte Angstschürerei der Regierung gewesen sein), auf ihrem Telegram-Kanal (5.000 Abonnent*innen) teilte sie nebenher das Video eines Anführers der antisemitischen Houthis.

Auch zuvor, am 15. August, an diesem Tag startete auch die Bewerbungen für das Benefizkonzert auf Telegram, vergleicht sie in einem Video die Corona-Schutzmaßnahmen mit NS-Deutschland, gefolgt von antizionistischen Posts und weiteren Corona-Verharmlosungen. Am 12. Oktober auf einer Demonstration von „Muslim Interaktiv“, einer Tarnorgansiation der verbotenen islamistischen Gruppe Hizb ut-Tahrir in Hamburg, lässt Maleika wissen, dass sie zum Islam konvertieren wolle.

In einem am 31. Oktober veröffentlichten Video von Compact erwähnt Interviewer Paul Klemm –früher aktiv bei der Identitären Bewegung – gegenüber Maleika, dass sich die beiden schon während den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen kennengelernt hätten.

Wenige Tage vor dem Konzert macht Kayvan Soufi-Siavash in einem auf seinem eigenen Telegram-Kanal hochgeladenen Video Werbung für das Konzert, der Aktivist ist eher bekannt unter dem Namen Ken Jebsen. Der Verschwörungsguru und frühere rbb-Moderator war bis vor einigen Jahren auf YouTube aktiv und betrieb seit 2012 das Portal KenFM. 2014 und 2015 war er einer der Protagonist*innen der „Montags-Mahnwachen für den Frieden“, einem Sammelbecken für Verschwörungsgläubige, Reichsbürger*innen und Antisemit*innen. 2020 mobilisierte er für „Querdenken“-Demonstrationen und verglich nicht nur die Maßnahmen mit NS-Deutschland, auch der israelische Staat begehe aus seiner Sicht moderne NS-Verbrechen. Wegen seiner Bill-Gates-Verschwörungserzählung und anderen Falschinformationen zur COVID-19-Pandemie sperrte YouTube den KenFM-Kanal im November 2020 dauerhaft. Seit Sommer 2021 ist Jebsen auf der Nachfolgewebsite apolut aktiv, auf seinem Telegramkanal hat er fast 15.000 Abonent*innen.

Andere Szene-Prominente rufen ebenfalls zum Besuch bei „Voices for Gaza“ auf. Darunter auch Ulrike Guérot, eine Politikwissenschaftlerin, die während der Pandemie immer wieder in verschwörungsoffenen Formaten wie apolut auftritt und mit dem Thema „Corona“ neue Reichweite gewinnt. Auf einer „Friedensdemo“ in München am 1. September 2024 verbreitet sie in einer Rede Kreml-Propaganda und griff „protofaschistische Gruppen“ in der Ukraine und den Präsidenten Selenskyj an, Worte an Putin und Russland waren eher lobender und bemitleidender Natur. Dabei bezieht sich die Ex-Professorin nicht nur positiv auf Sahra Wagenknecht, sondern spricht sich auch dagegen aus, Viktor Orbán als „Populisten“ zu „verpönen“. Wagenknecht habe insofern recht, dass wer den Krieg beenden will, „als allererstes die Finanzmafia bekämpfen muss“. Auf dieser Demo traten auch andere Protagonist*innen auf, die auch beim Benefizkonzert teilnahmen, wie Jens Fischer und Alexa Rodrian, Bustek und Lapaz, sowie auch Nina Maleika. Der erste Name auf der Liste der Live-Auftritte war Uwe Steimle, welcher in seinen Werken den Davidstern mit dem „Judenstern“ gleichsetzt und Jüdinnen*Juden mit Banken, Gier und Zinsen in Verbindung bringt.

Kollektiver Antisemitismus

Die beiden Rapper Lapaz und Bustek gehören zum HipHop-Kollektiv „Rapbellions“. Deren bekanntestes Mitglied Xavier Naidoo, der bereits 2011 Deutschland als immer noch von den USA besetztes Land bezeichnete, 2020 Jürgen Elsässer ein Interview bei Compact gab, und Verschwörungserzählungen sowie sonstige antisemitische Inhalte auf Telegram verbreitete, wird auch heute noch – nach seinem angeblichen Szeneausstieg 2022 –  als Teil des Kollektivs auf der offiziellen Webseite genannt. Zu diesen Verschwörungserzählungen passend, vergleichen die beiden 2022 in einem Song die Corona-Impfung mit Auschwitz. Noch bevor sie den israelisch-palästinensischen Konflikt für sich entdeckt haben, verbreiteten sie bereits Verschwörungserzählungen zu George Soros und dem „Great Reset“ via Telegram, wobei Bustek dies um eindeutig rechte Narrative ergänzt und auch AfD- sowie Compact-Inhalte teilt. Auf Telegram haben beide jeweils ca. 700 Abonennt*innen, bei Spotify erreichen sie etwa 1.800 bzw. 3.100 monatliche Hörer*innen.

Wer nicht am Abend teilnehmen, aber dennoch Geld spenden wollte, sollte das mittels PayPal an Alexa Rodrian schicken, Sängerin sowie Initiatorin und Veranstalterin des Benefizkonzerts. In einem Interview beim verschwörungsideologischen Desinformationsportal „Transition News“, geführt von einem Autoren der „NachDenkSeiten“, führt Rodrian nicht nur aus, dass Israel die gesamte Region besetzt halte, sondern ferner, dass das Massaker vom 7. Oktober 2023 „eine unvermeidbare Folge dieser andauernden Menschenrechtsverletzungen“ sei. Die unschuldigen Opfer lägen in der Verantwortung aller israelischen Regierungen seit 1948.

Abseits dieser einseitigen Dämonisierung Israels bestätigt Rodrian die Kontinuität aus den letzten Jahren, wenn sie sagt, dass die „meisten Künstler“ des Abends „schon zu Corona-Zeiten laut“ gewesen seien. Desweiteren kündigt sie einen spontanen Gast an: Ronnie Barkan, eine Ikone der BDS-Kampagne, der im Juni 2017 zusammen mit Majed Abusalama, Mitgründer von „Palästina Spricht“ und einer weiteren Aktivistin, eine Veranstaltung an der Humboldt Universität massiv störte, bei der unter anderem die Holocaust-Überlebende Dvora Weinstein auf dem Podium saß, und sich anhören musste, in Gaza das zu tun, was ihr mal angetan wurde.

In seinem Profil auf X steht bei Barkan „Zionism is not so different from Nazism. Literally.“ Unterstützung für die Veranstaltung erhält Rodrian laut eigener Angabe auch von Songül Schlürscheidt, die 2021 und 2022 für „die Basis“ kandidierte, einer Partei, die sich aus dem Querdenken-Umfeld gründete. Schlürscheidt verbreitet im Mai 2024 auf Instagram, dass alle Assistent*innen von Trump, Obama, Biden, Jüdinnen*Juden seien, welche „die gesamte Show“ leiten würden. Veröffentlicht wurde dieser konkrete Beitrag zusammen mit Eva Rosen, ebenfalls eine bekannte Stimme der Querdenken-Szene, die heute nicht nur den Tod von Hamas-Chef Haniyeh betrauert, sondern auch offen antisemitische Verschwörungserzählungen teilt, wie dass bspw. Jüdinnen*Juden hinter 9/11 stecken würden und Zionist*innen eine Gefahr für die gesamte Welt seien. Auch Rosen machte ein eigenes Video, in welchem sie dazu aufrief das Konzert zu unterstützen.

Desinfornation für Palästina

Basis-Mitglied ist auch Alexa Rodrians Ehemann Jens Fischer-Rodrian, der mit seiner Frau in der Liste der Künstler*innen aufgeführt wird, und nicht nur die musikalische Leitung der Blue Man Group in Berlin verantwortet, sondern auch seit einigen Jahren für russlandnahe Desinformationsportale wie Rubikon schreibt. Einer der dortigen Texte entstand mit der gemeinsamen Tochter Lou Rodrian. Laut Impressum von protestnoten.de ist Fischer auch der Initiator der Webseite, auf der die Tickets für das Konzert verkauft wurden. Ursprünglich handelte es sich dabei um ein Kunstprojekt mit dem gleichen Namen, aus dem ein Musikalbum entstand. An diesem Werk, das im Grunde aus musikalisch vertonten Reden von Querdenken-Demos besteht, beteiligten sich weite Teile der Familie, Captain Future, und auch bekanntere Coronaleugner*innen wie Wolfgang Wodarg und Gunnar Kaiser. Unterstützung erhielt das Projekt von Rubikon.

„Rundfunkalarm“, ein offizieller Sponsor des beworbenen Abends, der auch auf dem Poster einen Platz erhielt, geht auf Markus Bönig zurück. Wie einige andere Prominente in der Szene, gründete er seit Beginn der Corona-Pandemie mehrere Unternehmen, um mit gefälschten Attesten und Tests Geld zu sammeln. Laut dem Nachrichtenportal „Apotheke Adhoc“ urteilte das Oberlandesgericht Celle im Falle von „Nachweis Express“, eines seiner Unternehmen, dass es sich dabei um einen Verstoß gegen das Heilmittelwerbegesetz handle und erließ ein Verbot. Einige Zeit lang war er auch Bundeswahlkampfleiter der Basis, worüber auch der Kreml-Sender RT Deutschland berichtete. Darüber hinaus gab er auch dem rechtsextremen Kanal „AUF1 TV“ mehrere Interviews, in welchen er seine Projekte bewarb.

Die Musikbrauerei, der Ort, an dem der Abend stattfand, fällt bereits seit einigen Jahren damit auf, Ort für Querfront-Veranstaltungen, wenn nicht gar ganz offen rechte Akteur*innen zu sein. Im Mai 2024 wurde dort die unwissenschaftliche Dokumentation „Corona – Die große Irreführung“ gezeigt. Neben Wolfgang Wodarg war auch das Compact-Team vor Ort, um zu filmen und unter anderem zwei ebenfalls anwesende Landtagsabgeordnete der AfD und einen rechten Influencer zu interviewen. Zudem finden dort regelmäßig Diskussionsrunden des Formats „Fair Talk“ statt, an welchen sich vor allem verschwörungsideologische Querfront-Akteur*innen beteiligen. Eine Folge im Juni 2023 trug den Titel „Migration – Gründe und Grenzen der Zuwanderung“, beteiligt unter anderem Ken Jebsen sowie Feroz Khan. Letzterer ist bekannter AfD-Wähler und sprach im August 2024 auf einer AfD-Sicherheitskonferenz. Im gleichen Monat nahm an einer Diskussion zum Thema „Ankunft der künstlichen Intelligenz“ der ehemalige AfD-Kreisvorsitzende Edwin Hübner teil, der 2016 behauptete, Deutschland wäre in beide Weltkriege „getrieben“ worden.

Insgesamt zeigt sich mit diesem Abend nicht nur die aktuellste Entwicklung der verschwörungsideologischen Szene aus dem Querdenken-Umfeld, sondern auch die Bereitschaft linker antiimperialistischer Akteur*innen, mit diesen zusammenzuarbeiten, solange man im Hass auf Israel zusammenfindet. Abgerundet wird dies damit, dass Qassem Massri, einer der beiden, für die das Geld gesammelt wurde, selbst bei „Palästina Spricht“ organisiert ist, der einzigen dezidiert linken Organisation, die den Abend beworben hatte.

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