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Radikale Straßenparolen und braune Ideologie zwischen Buchdeckeln 2012 in Baden-Württemberg

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Nazi-Demo am 06.10.12 in Göppingen (Quelle: Kreis Göppingen nazifrei)

Ein Beitrag von Lucius Teidelbaum mit Hinzufügungen von „Mannheim gegen Rechts“

Auch im „Ländle“ gab es im Jahr 2012 rechtsextreme Umtriebe. Am 30. April 2012 demonstrierten beispielsweise in Donaueschingen um die 50 Neonazis mit Fackeln und Masken im „Unsterblichen“-Stil.

Eine weitere größere Nazi-Demonstration fand am 6. Oktober 2012 in Göppingen unter dem irreführenden Motto „Ausbeutung stoppen – Kapitalismus zerschlagen“ statt. Veranstalter des Aufzugs war die lokale Gruppierung „Autonome Nationalisten Göppingen“. Die dafür  angereisten 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmern entstammten mehrheitlich dem Spektrum von Jungnazis im autonomen Chic. Von der Polizei abgeschirmt zogen die Neonazis durch die schwäbische Kleinstadt und riefen ohne Konsequenzen Parolen wie: „Ein Hammer, ein Stein, ins Arbeitslager rein“, „Nie wieder Israel“, „Palästina hilf’ uns doch – Israel gibt’s immer noch!“, „Ein Baum, ein Strick, ein Judengenick“, „Es gibt ein Recht auf Nazipropaganda!“, „Damals wie heute – Hitlerleute“ und „Süddeutschland – Naziland“. 

Weniger Teilnehmer bei 1. Mai-Demo

Die größte Demonstration dieses Jahres fand am 1. Mai mit knapp 300 Neonazis in Mannheim unter dem Motto „Raus aus dem Euro“ statt. Sie wurde als Doppeldemo durchgeführt: Zuerst zogen die Rechtsextremen, welche auch aus Hessen und Rheinland-Pfalz angereist waren, in Speier und danach in Mannheim auf. Veranstalter waren die NPD und das „Aktionsbündnis Rhein-Neckar“.

Die Teilnehmerzahl war damit geringer als 2011 bei der für Süddeutschland zentralen Neonazi-Demonstration zum 1. Mai in Heilbronn, was wahrscheinlich auf eine gleichzeitig stattfindende Konkurrenzveranstaltung im bayrischen Hof zurückzuführen ist.

Den demonstrierenden Neonazis stellte sich in Mannheim ein breites Bündnis aus ca. 2000 bis 3000 Personen aus Parteien, Gewerkschaften, Antifa und der Zivilgesellschaft mit einer Blockade entgegen. Im Zuge der Demo kam es zu Ausschreitungen und Böllerwürfen von Seiten der Rechtsextremen. Einige Neonazis wurden von der Polizei festgenommen. Die anhängigen Verfahren wurden allerdings wieder eingestellt.

Juristische Verfolgung rechtsextremer Straftaten lasch

Verfahrenseinstellungen, die Verhängung milder Strafen und eine eher lasche Strafverfolgung gegen Neonazis ist in Mannheim leider keine Seltenheit. So wurden in diesem Jahr auch Verfahren  gegen Neonazis eingestellt, die 2009 im Zuge einer Demo ein Bekleidungsgeschäft in Mannheim überfallen, erheblichen Sachschaden verursacht und den Angestellten mit Baseballschlägern angegriffen hatten.

Zum gewalttätigen Übergriff auf eine Gruppe von Jugendlichen mit türkischem und griechischem Migrationshintergrund in Winterbach läuft die juristische Aufarbeitung zudem noch. Diese wurden im März vergangenen Jahres in Folge einer Gartenfeier gejagt und von einem Nazi-Mob in schwerstem Maße verletzt. Dabei wurde eine Hütte in Brand gesteckt, in die sich einige der Opfer vermeintlich retten konnten.  

Die ersten beiden Angeklagten des rechtsextremistischen Angreifer-Mobs wurden derweil zu Gefängnisstrafen von 2 Jahren und 5 Monaten verurteilt.

Spontandemonstrationen als neue Methode

Um eine breite Gegenwehr wie bei der 1.Mai-Demo zu vermeiden, sucht die rechtsextreme Szene in Mannheim und Umgebung nach neuen Aktionsformen. Als es während der Olympischen Spiele in London dieses Jahr zu dem Skandal um die Beziehung der Ruderin Nadja Drygalla zu einem NDP-Funktionär kam, organisierten Neonazis in Mannheim eine spontane Solidaritätsdemo. Dieser konnte eben aufgrund der Spontanität kein Gegenprotest entgegengesetzt werden. Die beschriebene Aktionsart von kurzfristig anberaumten und/oder nur intern beworbenen Kundgebungen und Demonstrationen wurde von NPD und „Freien Kräften“ 2012 des Öfteren genutzt. Es konnten dabei jeweils zwischen 20 bis 50 Personen mobilisiert werden. Eine diesbezügliche Ausnahme stellte die Kundgebung der „Freien Nationalisten Kraichgau“ am 10. März in Sinsheim dar. An dieser beteiligten sich 130 Neonazis. Ein Redebeitrag des NPD-Bundesvorsitzende Holger Apfel verlieh dem Ganzen in der Szene offenbar mehr Zugkraft.

Zwar fanden in diesem Jahr wieder Konzerte von Neonazis in Baden-Württemberg statt, jedoch weicht die Szene wie auch im Saarland und Nordrhein-Westfalen vermehrt nach Elsaß-Lothringen aus. Diese Konzerte finden in vielen Fällen ohne Wissen deutscher oder französischer Behörden statt. Sehr umtriebig tritt in diesem Rahmen die deutschlandweite Gruppierung der Hammerskins auf, welche in Baden-Württemberg über drei Regionalabteilungen („Chapter“) verfügen soll.

Umfassend aktive rechtsextreme Verlagslandschaft

Wer auf die Homepages von Neonazis schaut, findet da nicht selten eine Verlinkung zum Kopp-Verlag mit Sitz in Rottenburg. Das Sortiment des Kopp-Verlags setzt sich zusammen aus esoterischen Beiträgen und rechtspopulistischen, antimuslimischen, antikommunistischen und antifeministischen Werken.

Anders als das extrem rechte Traditionsunternehmen „Grabert-/Hohenrain-Verlag“ mit Sitz im benachbarten Tübingen ist der Kopp-Verlag aber kein Familienbetrieb, sondern ein Großunternehmen. Laut einem Beitrag des TV-Magazins „ZAPP“ von 2012 verschickt der Kopp-Verlag rund 10.000 Bücher pro Tag. Darunter sind Titel zu finden wie „Kein Schwarz Kein Rot Kein Gold – Armut für alle im lustigen Migrantenstadl“ oder „Albtraum Zuwanderung – Lügen, Wortbruch, Volksverdummung“ von Udo Ulfkotte.

Der Kopp-Verlag richtete auch am 4. Februar 2012 in der städtischen Filderhalle in Leinfelden-Echterdingen bei Stuttgart den rechtspopulistischen Kongress „Europa vor dem Crash“ mit allerhand Rechtsaußen-Referenten aus. Mit einem Jahresumsatz im zweistelligen Millionenbereich im Rücken baut der Verleger Jochen Kopp derzeit in Rottenburg eine neue 5.000 Quadratmeter große Halle. Das Bauland und die Genehmigung dafür wurde ihm billig von der Mehrheit im Stadtrat überlassen.

Zudem wird laut verlagseigener Pressemitteilung der HJB-Verlag (Sitz: Radolfzell am Bodensee) die deutsche Ausgabe des Buches „Marked for Death“ des niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders Anfang 2013 veröffentlichen. Es erscheint unter dem Titel „Zum Abschuss freigegeben – Die Wahrheit über den Krieg des Islam gegen den Westen“.

Das ist auch Lesefutter für die umtriebige antimuslimische Szene im Südwesten, die sich jenseits von NPD und Co. in Stammtischen des Hetzblogs „PI-News“ sammelt oder als NGO mit dem Namen „Bürgerbewegung Pax Europa“ tarnt, deren Sitz in Gemmingen in Baden-Württemberg liegt.

Den genannten Verhältnissen zum Trotz ist Baden-Württemberg als Niederlassungsgebiet einer extrem rechten Verlagslandschaft generell relativ unbeachtet und unbekannt.

Was ist für 2013 zu erwarten?

Im Jahr 2013 fällt der Jahrestag der alliierten Bombardierung von Pforzheim auf einen Samstag. Seit zehn Jahren findet hier alljährlich am 23. Februar aus Anlass der Bombardierung ein Nazi-Aufmarsch statt. Im Jahr 2012 nahmen daran 130 Nazis teil. Nächstes Jahr könnte er größer ausfallen und auch als regionaler Ersatz für die dreimal hintereinander gescheiterte Demonstration in Dresden dienen. Deswegen sollte am besten verstärkt an Gegenprotest gearbeitet werden. Generell ist es wichtig, dass sich in Baden-Württemberg zivilgesellschaftliche Strukturen gegen Rechts herausbilden bzw. verstärken. Da in diesem Jahr herauskam, dass bis zu sechs Polizisten Mitglied im Ultrarassisten-Verein „Ku-Klux-Klan“ waren und diesbezüglich mit einer Verwarnung davon kamen, ist das Vertrauen in staatliche Strukturen nachhaltig beschädigt. Man kann nur hoffen, dass es im nächsten Jahr Anlässe zur Stärkung desselbigen geben wird.

Dies ist umso relevanter, da der baden-württembergische Verfassungsschutz sein 60. Jubiläum feierte. Dass zu den Aufbauhelfern des Inlandsgeheimdienstes auch Personen wie Viktor Hallmayer gehörten, wurde in der Festschrift nicht vermerkt. Hallmayer war SS-Hauptscharführer und hat in Paris beim Gestapo-Kommando Gutgesell Résistance-Mitglieder aufgespürt und Hinrichtungen beaufsichtigt. Deswegen stand er auf einer amerikanischen Kriegsverbrecherliste und die französischen Behörden suchten ihn wegen Mordverdachts und Folter. Hallmayer arbeitete von 1951 bis 1970 beim Verfassungsschutz Baden-Württemberg.

Beunruhigen wirkt ebenso die Tatsache, dass der Verfassungsschutz Baden-Württemberg seit vielen Jahren die NS-Überlebenden-Organisation „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten“ als „linksextremistisch beeinflusst“ diffamiert und sie beobachten lässt. Eine Praxis, an der sich wohl auch nächstes Jahr nicht ändern wird, da die neue Grün-Rote-Landesregierung am Vorgehen und der Existenzberechtigung des Geheimdienstes nicht wirklich rüttelt.

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redaktionelle Betreuung: Roger Grahl

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