Der Videospielmarkt boomt. Fast die Hälfte der Bundesbürger*innen spielt laut einer bitcom-Studie mindestens „hin und wieder“ Videospiele. Beliebtestes Medium ist dabei das Smartphone. Aber auch auf Konsolen, wie z.B. der Playstation, Nintendo Switch oder der Xbox, sowie am Computer wird gespielt. Seit Beginn der Pandemie haben sich dabei die wöchentlichen Spielstunden in etwa verdoppelt – von fünf auf zehn Stunden. Kein Wunder, war es doch das selbst von der WHO empfohlene Online-Gaming, das in der Pandemie Isolation und Social Distancing unterhaltsamer gemacht hat.
Obwohl das Gaming als zentraler Kulturbereich etabliert ist, herrscht noch immer große Unwissenheit und Skepsis in Teilen der Bevölkerung, wenn über die Videospielkultur gesprochen wird. Pauschalisierende und verallgemeinernde Kommentare über negative Aspekte von Gaming tauchen regelmäßig in Diskussionen auf. Prominentestes Beispiel ist die „Killerspieldebatte“, die dann und wann noch immer entstaubt wird. Dabei gibt es sie natürlich: legitime Kritik, die gegenüber Gamingwelten und vor allem gegenüber Teilen der Videospiel-Industrie geäußert werden kann und muss. Problematisch ist beispielsweise die homogene Entwickler*innen-Szene, die größtenteils „männlich“ und „weiß“ ist. Auch die damit zusammenhängende fehlende Repräsentation marginalisierter Gruppen in einigen Videospielen ist eine akute Baustelle, die genauso angesprochen werden muss, wie die mangelhafte Moderation toxischer und rechtsextremer Inhalte aufgroßen Gaming-Plattformen. Vor allem auf Steam oder Discord finden sich tausende Profile, die hasserfüllte Inhalte teilen, extrem rechte Attentäter glorifizieren oder sich nach Wehrmachtsoffizieren benennen.
Komplexe Geschichten, einfache Antworten: Verschwörungserzählungen in Videospielen
Games und ihre Communitys greifen auf vielfältige Settings und Narrationen zurück. Singleplayer-Videospiele erzählen oft Geschichten über persönliche Entwicklungen, Verrat oder auch gesellschaftliche Konflikte. Häufig werden dabei auch verschwörungsideologische Aspekte aufgegriffen und in Haupt-oder Nebenhandlungen oder auch in das Charakterdesign implementiert. Bösewichte, hinter denen sich eine im geheimen operierende Macht verbirgt, wie in Resident Evil; Jahrhunderte alte Konflikte, die bis in die Gegenwart hineingetragen werden, wie in der Assassins Creed-Reihe; oder eine Erzählerstimme, die die Spielrealität manipuliert wie in The Stanly Parable – viele Videospiele beinhalten solche multidimensionalen Mythen und konspirativen Narrative.
Nur der Endgegner, eine abstrakte Macht, muss besiegt und in seine Schranken verwiesen werden. Eine einfache Antwort auf komplexe Probleme. In den seltensten Fällen wird die Schuld bei gesellschaftspolitischen Machtverhältnissen und bestehenden Ungleichheiten gesucht. Damit bleiben einige Videospiele in klassischen „Freund/Feind – Gut/Böse“-Schemata stecken und verpassen die Chance, Unsicherheiten auszuhalten. So auch beim Spiel Deus Ex, in dem ein tödlicher Virus von einer geheimen Organisation verbreitet wird und das Gegenmittel nur einer ominösen gesellschaftlichen Elite zugänglich ist. Die Feindbilder der Geschichte sind klar und lassen die Spielenden mit ausgedünnten Erklärungen zurück.
Gleichzeitig gibt es aber auch jene Videospiele, die vielschichtige Erzählweisen und unterschiedliche Metaebenen einbringen und so Grautöne zulassen. Das gelingt vor allem, wenn Perspektivwechsel einsetzen und Spieler*innen am Ende des Spiels zuvor Erlebtes plötzlich aus einem anderen Blickwinkel betrachten (müssen), wie im zweiten Teil der Spielreihe Golden Sun. Spieler*innen geraten so zunehmend in ein moralisches Dilemma, in dem Entscheidungen abseits einer eindimensionalen Charakterentwicklung getroffen werden müssen. So beispielsweise auch bei The Outer Worlds, das Entscheidungen selten als eindeutig „gut“ oder „böse“ markiert.
Gespielte Desinformation – Serious Games als Chance in der Bildungsarbeit
Neben den großen Videospielblockbustern gibt es auch viele gelungene „Indie Games“, also Spiele von kleineren Publishern, die frische Ideen in den Spielealltag einbringen. Viele dieser Titel achten stärker auf Diversität und Repräsentation, als es bei den großen Produktionen der Fall ist. Die schon dutzendfach erzählte Geschichte von der „Demsel in Distress“, der Jungfrau in Nöten, wie man sie beispielsweise aus der Super Mario-Reihe kennt, ist bei Titeln dieser Rubrik eher selten vertreten. Auch das Thema „Verschwörungen“ wird hier weniger plakativ betrachtet. So auch im Indie-Spiel Firewatch. Hier übernehmen Spielende die Rolle von Henry, einem Feuerwächter im „Shoshone National Forest“ in den USA. Die seltsamen Ereignisse in und um seinen Wachturm suggerieren, dass sich Henry im Mittelpunkt einer politischen Intrige befindet. Achtung Spoiler: Das tut er nicht. Letztlich war alles nur durch Henrys Vorgänger inszeniert – die ganz große Verschwörung bleibt aus. Hier gibt es keine ominöse böse Macht, die bekämpft werden muss, keine Drahtzieher in einem globalen Konflikt mit klaren Freund- und Feindbildern, stattdessen atmosphärischen Alltagsgrusel. Aber auch sogenannte „Serious Games“, also Videospiele, die nicht allein der Unterhaltung dienen, sondern die auch spielerisch Wissen vermitteln, entstehen, um den kritischen Umgang mit Verschwörungsideologien zu trainieren. Während Serious Games schon seit Jahren in der Medizin oder in Pflegeeinrichtungen zur Anwendung kommen oder mit ihnen häufig Mathematik- oder Sprachkenntnisse verbessert werden, weisen einige Spiele auch bildungspolitische Aspekte auf. Through the Darkest of Times lässt Spielende in die Rolle einer Widerstandsgruppe im Nationalsozialismus schlüpfen und greift neben geschichtlichen Fakten auch moralische Fragestellungen auf. Andere Spiele, wie Loulu, Jessika oder Hidden Codes der Bildungsstätte Anne Frank, thematisieren, wie die extreme Rechte Soziale Medien instrumentalisiert und unter anderem Verschwörungsnarrative verbreitet. Auch Wiebkes wirre Welt oder Im Bunker der Lügen greifen explizit die Thematik der Verschwörungsmythen auf und helfen dabei, diese zu erkennen und mit Desinformation umzugehen.
Verschwörungserzählungen auf Gaming-Plattformen
Eindeutig rechtsextreme Videospiele sind eher eine Seltenheit. Solche Propagandaspiele existieren zwar, werden jedoch primär innerhalb der eigenen Gruppe verbreitet und sind weder sonderlich originell, noch treffen sie auf positive Resonanz und weite Verbreitung unter den Spielenden. Weitaus geläufiger sind dagegen rechte Modifikationen (also von Fans gebaute Abwandlungen oder Erweiterungen) zu bestehenden Spieleproduktionen, die auf Plattformen wie Steam zum freien Download zur Verfügung stehen. Aber auch abseits davon finden sich auf der Vertriebsplattform Steam unzählige Inhalte von extrem rechten Nutzer*innen, die die wenig moderierte Plattform nutzen, um sich zu vernetzen oder die eigene Ideologie zu verbreiten. So gibt es hunderte Profile, die dazu aufrufen, ein rechtsextremes Terrormanifest zu lesen. Andere Profile benennen sich nach Wehrmachtsoffizieren oder extrem rechten Terroristen. Auch auf anderen Gaming-affinen Plattformen wie Discord oder Reddit werden antisemitische Verschwörungsnarrative geteilt. Aber nicht nur die Plattformverantwortlichen halten sich mit einer klaren Haltung gegen antidemokratische Inhalte zurück. Auch viele Gamer*innen schauen zu häufig weg, wenn eine laute Minderheit extrem rechter Akteur*innen versucht, sich zu einer lauten Mehrheit aufzuplustern. Ein Fehler, denn dort wo Hass unwidersprochen bleibt, vervielfältigt er sich.
Videospiele sind also keine platten Reproduktionsmaschinen für autoritäre Ideologien. Auch wenn klischeehafte Darstellungen oder antidemokratische Kommentare auf den Spiele-Plattformen immer noch häufig genug vorkommen, sind Videospiele für Jugendliche ein notwendiger und begehrter Erfahrungsraum, der nicht nur Ablenkung oder die reine Bestätigung von Gewaltfantasien bietet. Sie sind vielmehr ein Medium, das auf eine vielschichtige Weise Gesellschaft thematisiert. Hierin liegt ein Potential auch für die pädagogische Arbeit. Jugendliche können sich in Computerspielen auf eigene Faust und in einem lebensweltnahen Format mit Fragen beschäftigen, die die Gesellschaft betreffen. In gut gemachten Spielen ist dabei ein Zugriff durch Erwachsene nicht unbedingt notwendig – aber sehr wohl, dass Pädagog*innen Games als Ort für Erfahrungen ernst nehmen. Hierfür ist es unabdingbar, dass eigene Stereotype bezüglich der Gaming-Kultur kritisch hinterfragt werden, ohne Problembereiche wie klischeehafte Darstellungen oder antidemokratische Bestrebungen in den Kommentarspalten zu ignorieren. Auch Pädagog*innen brauchen eine umfassende Medienkompetenz, die den Bereich Gaming stärker inkludiert, damit „Good Game – Well Played“ mehr ist, als das floskelhafte Abklatschen am Ende einer Online-Partie.
Die Broschüre Radikalisierung oder Pubertät? Warum Jugendliche an Verschwörungen glauben gibt es hier zum Download