Belltower.News: „Venti“ heißt dein neues Album – zwanzig, in Bezug auf deine zwanzigjährige Karriere als Rapper. Was war bislang das Highlight?
Chaoze One: Da würde ich keine bestimmten Konzerte oder Releases anführen. Ich würde eher meinen eigenen Mindset sagen. Als ich angefangen habe, habe ich das als Kommunikationsguerilla-Projekt gesehen, um Politik über Rap weiterzutragen. Erst später hatte ich einen künstlerischen Anspruch. Bis heute habe ich immer noch Probleme, zu sagen, dass ich Künstler bin. Es klingt seltsam, auch wenn ich nach künstlerischer Form und Inhalt suche. Dennoch war für mich diese Entwicklung ein Highlight.
Du warst linker Rapper, der über Themen wie Rechtsextremismus, Asylpolitik und Polizeigewalt gerappt hast, bereits zu einer Zeit, in der das nicht so üblich war – eine Zeit vor „Zeckenrap“, Sookee oder der Antilopen Gang. Siehst du dich als Vorreiter?
Vorreiter würde ich nicht sagen. Aber als ich für mein Buch recherchiert habe, habe ich ganz viele alte Fotos ausgegraben. In einem von einer Release-Party 2004 mit meiner Mama in der ersten Reihe steht auch ein junger Koljah. Zwei Jahre später, 2006, gibt es ein Foto von einem Gig in Aachen, wo Panik Panzer im Publikum zu erkennen ist. Das war noch einige Jahre, bevor sie die Antilopen Gang gründeten. Das hatte ich nicht auf dem Schirm. Damals rappten die beiden aber bereits gemeinsam. Wir hatten auch zusammen 2003 „HipHop Partisan“ gegründet. Vor mir gab es aber ja Anarchist Academy und ganze viele migrantisch geprägte Rap-Crews, die gerade zu Themen wie Rassismus immer um Aufmerksamkeit gerungen haben. Zum Beispiel 1992 haben sich Weep Not Child in ihren Texten auf Hoyerswerda und Rostock bezogen. Aber dass mit mir ein weißer mittelständischer deutscher Mann sich als Rapper explizit mit Politik beschäftigt hat, das war vielleicht damals noch rar.
Wie bist du eigentlich zu Rap gekommen?
Ich fand die Inhalte zwar super, konnte mich aber weder mit Punk noch Hardcore so richtig identifizieren. Am ehesten noch mit Reggae. Irgendwann musste ich eine Möglichkeit finden, mich musikalisch auszudrücken – und wurde Rapper.
„Euer Deutschland macht mir Angst“ heißt es im Refrain von „Get the Fuck Up (Das bisschen Totschlag)“ auf deinem neuen Album – eine Anspielung auf die Punkband Die Goldenen Zitronen. Waren sie ein großer Einfluss?
Unbedingt, ich habe eine echt lange Reise hinter mir. Mein älterer Bruder war Punk, von ihm habe ich ganz viele englischsprachige Sachen wie The Ramones, Exploited und The Clash. Das war bei mir ganz früh präsent, das lief ständig im Nachbarzimmer auf voller Lautstärke. Danach folgten die ganzen Deutschpunk-Sachen wie die „Schlachtrufe BRD“-Sampler, Slime und dann noch Ton, Steine, Scherben und eben auch Die Goldenen Zitronen. Vieles davon höre ich mit Anfang 40 nicht mehr, aber die Scherben und die Zitronen zum Beispiel sind immer noch auf meinen Playlisten.
Der Song „Get the Fuck Up“ wurde bereits 2016 aufgenommen, wirkt aber immer noch erschreckend aktuell. Es ist eine Abrechnung mit der faschistischen Kontinuität in Deutschland: Von Pogromstimmung über Einzeltätermythos bis hin zu NSU und Gruppe Freital. Findest du Rap manchmal zu unpolitisch, gerade in Bezug auf die Gefahr von rechts?
Jein. Explizit politisch findet zu wenig statt. Alles ist ja irgendwie politisch, das ist so eine Floskel, für die ich jetzt fünf Euro ins Phrasenschwein schmeißen dürfte. Aber was mich schon irritiert: Seit Halle und Hanau wird im Rap viel zu wenig reagiert auf all das, was am rechten Rand passiert. Da gibt es aus sämtlichen Kontexten ganz wenig Regung dazu. Das ist ein fatales Signal – und eine vertane Chance für Rap an sich.
Woran liegt das?
Ich glaube, es hat etwas damit zu tun, dass Rap inzwischen auch Popmusik ist. Und im Pop sind politische Inhalte, sagen wir mal, profitmaximierungserschwerend. Deswegen gibt es um manche Themen einen großen Bogen.
Rechtsterrorismus ist nicht sexy genug, um in den Charts zu landen?
So könnte man das sagen. Vor allem in den 1990ern, gab es kaum Songs dazu, weil es Kartoffeldeutsche nichts anging. Auch deshalb habe ich Die Goldenen Zitronen gecovert und nicht irgendeine Rapband von damals. Die Goldenen Zitronen haben „Das bisschen Totschlag“ in einer ähnlichen politischen Phase wie jetzt geschrieben. Aber klar, damit verdient man kein Geld. Darum geht es mir aber nicht: Ich bin da vielleicht noch alte Schule und sehe Rap als etwas, was mehr als Musik ist und eine subkulturelle Prägung hat. Dahinter steht ein Solidaritätsgedanke, man bezieht sich auf eine Community und steht füreinander ein. Auch das fehlt in popkulturellen Zusammenhängen total.
Der Track „Memento Moria / Die Welt brennt“ auf deinem neuen Album widmest du dem abgebrannten Flüchtlingscamp auf der gleichnamigen griechischen Insel. Es ist ein starker und emotionaler Song, mehr Poesie als Rap. Braucht Rap mehr Zärtlichkeit?
Ja, absolut. Und das ist auch wieder so ein Song, der sich als Single überhaupt nicht eignet, weil er am Anfang sehr viel gesprochenes Wort hat und dann nur einen ganz kurzen Peak, wo gerappt wird. Und er ist auf jeden Fall emotional. Das ist kein Song, der viele Likes oder Klicks kassieren kann. Aber Rap braucht mehr Authentizität, mehr Echtheit – und mehr Emotion könnte auch nicht schaden.
Du hast mir schon das Highlight deiner Karriere verraten. Was war das Lowlight?
Ich wollte schon immer richtig verstanden werden, muss aber feststellen, dass das selten so klappt. Ich fühle mich oft missverstanden – auf ganz vielen verschiedenen Ebenen. Wobei mir schon klar ist, dass „verstanden werden“ zum Scheitern verurteilt ist. Als junger Mensch habe ich das dennoch erhofft.
Zum Beispiel?
Ein Missverständnis: Früher war ich nicht bei der GEMA angemeldet, damit zum Beispiel linke Zentren keinen Ärger kriegen, wenn sie Konzerte mit mir machen oder meine Songs spielen. Das hatte dann zur Konsequenz, dass ein Song von mir im Abspann der Fernsehserie „Berlin Tag und Nacht“ landete. Das wiederum hatte zur Folge, dass ich von Fans wütend beschimpft worden bin, weil ich mich jetzt für sowas hergebe. Aber ich hatte als Nicht-GEMA-Mitglied natürlich keine Chance, da irgendwie Einspruch geltend zu machen.
Es kommt nicht nur zu Missverständnissen, du bist ja offenbar auch ein Spielverderber. So heißt dein 2019 erschienenes Buch mit dem Untertitel „Mein Leben zwischen Rap und Antifa“ zumindest. Warum eigentlich?
Ich habe oft das Gefühl, dass ich Spielverderber bin. Ein Beispiel: Eine Demo gegen Nazis circa 2004 in der Nähe von Karlsruhe mit einem LKW, wo drei Rap-Crews auftreten sollten. Die Gruppe vor mir hat sowohl sexistische Sachen gesagt, als auch die Nazis als „behinderte Missgeburten“ bezeichnet. Da bin ich zum Veranstalter gegangen und habe gesagt: Sorry, aber hört ihr da zu? Warum macht keiner was? Mein Auftritt fällt jetzt aus, weil ich nach sowas nicht auf die Bühne gehe. Ob ich das heute noch so machen würde, weiß ich nicht. Aber das war damals meine Reaktion, weil ich mich nicht mehr wohlgefühlt habe. Dann gab es richtig Ärger. Marodierende Jugendbanden sind durch die Stadt gezogen und haben mich gesucht. Und den Rappern, nach denen ich nicht auftreten wollte, wurde dann doch noch der Saft abgedreht. Allerdings als ich schon weg war.
Apropos Missverständnisse und Spielverderberei: Im Januar haben Pandemieleugner:innen und Impfgegner:innen deinen Song „Freiheit herrscht nicht“ auf einer Demo in Berlin gespielt…
Ja, auch hier fühle ich mich missverstanden. Es ist ein sehr alter Song und es gibt schon zwei, drei Aussagen darin, die vielleicht anschlussfähig sind, wenn man sie zurechtbiegt. Etwa die Zeile: „Freiheit ist mehr als sich zufriedengeben mit diesen Medien, denn das Opium fürs Volk ist heute längst nicht mehr nur Bibellesen“. Aber es gibt auch Zeilen wie: „Freiheit, da bleib ich eisern dabei, heißt Solidarität, bringt den Kleinen bei, was gemeinsam heißt“. Oder ein Zitat von Engels kommt auch vor: „Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit“. Das heißt: keine Freiheit ohne Verantwortung, keine Freiheit ohne Dialektik. Freiheit ist ein komplizierter Begriff, der im „Querdenken“-Milieu auf eine perfide Art ausgehöhlt und umgedeutet wird. Montags zu Tausenden maskenlos durch eine Stadt zu rennen, hat damit freilich nichts zu tun.
„Meine Songs kriegt ihr nicht“, hast du als Reaktion auf Twitter geschrieben. Das Video für „Freiheit herrscht nicht“ hast du inzwischen von YouTube gelöscht. Wird das die Impfgegner:innen und Pandemieleugner:innen wirklich verhindern, den Song weiterhin zu spielen?
Ab dem Moment, wo ich meine Musik rausgebe, verliere ich die Kontrolle darüber, was damit passiert: Ich werde sie es nicht verbieten können. Aber ich bin tatsächlich inzwischen bei der GEMA angemeldet. Ein rechter Medienaktivist hat die Demo gestreamt und, weil mein Song darin kurz vorkam, musste er den kompletten sechsstündigen Stream wieder löschen. Darüber war er bestimmt nicht sehr glücklich. Und das könnte eine Strategie für die Zukunft sein: Einfach immer GEMA-Musik im Hintergrund spielen.
Du Spielverderber.