Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Kurz erklärt “Rassismus gegen Weiße” gibt es nicht

Von|
(Quelle: Unsplah, Screenshot Twitter)

Für Christian Lindner war die #MeTwo Debatte zu einseitig. Denn es gehörten immer zwei Seiten dazu und schließlich würden auf der Einen “Bemühungen, sich zu integrieren, […] vernachlässigt.“ Lindner war natürlich nicht der Einzige, dem die Konfrontation mit Rassismus in Deutschland missfiel. Rassismuserfahrungen wurden belächelt, relativiert, den Betroffenen abgesprochen. Alles nicht so schlimm und eher Jammern auf hohem Niveau. Letztlich seien doch vor dem Gesetz alle gleich. Auch die AfD ließ es sich natürlich nicht nehmen, Betroffene von Rassismus zu verhöhnen. Für Alice Weidel ist Rassismus ein “Wahrnehmungsproble[m] im Elfenbeinturm”.

Dazu passend, tauchten kurz nach Beginn der Debatte in Niedersachen Sticker mit dem Hastag #MähToo auf, auf denen ein großer Blutfleck zu sehen war. Dahinter steht eine Kampagne, die sich gegen “das betäubungslos Schlachten” einsetzt. Die AfD bekannte sich kurze Zeit später dazu. Die muslimische Gemeinde in Hannover fühlt “sich an die Nazizeit erinnert, als Sterne an Schaufenster geklebt wurden”. Nicht nur, dass die AfD unter dem Deckmantel des Tierschutzes antimuslimische Hetze betreibt, sie benutzt dazu eine Abwandlung des Hashtags, unter dem Betroffene ihre Rassismuserfahrungen teilen bzw. unter #MeToo von sexualisierter Gewalt berichteten.

 

Die Kartoffeln und Almans sind beleidigt

Genauso wie nach dem Ausstieg von Özil aus der Nationalmannschaft, gibt es im Zuge von #MeTwo eine Menge Abwehrreaktionen. Die Soziologin Robin DiAngelo nennt diese Abwehrhaltung white fragilty. Sie haben diesen Begriff entwickelt um zu beschreiben, wie schwer es eigentlich ist, mit Weißen über Rassismus zu sprechen. Weiße wollten nämlich häufig nicht wahrhaben, dass ihr Weißsein eine Bedeutung hat, so DiAngelo im Interview mit der Zeit. (Vgl. Zeit Campus) Die Tatsache, dass sie in eine Welt geboren werde, in der Weißsein die Norm ist, wird gerne abgestritten.

Aber Moment mal. In manchen Situationen hat Weißsein dann doch plötzlich eine Bedeutung. Nämlich dann, wenn Weiße sich von Rassismus betroffen fühlen. Wenn ich als weiße Deutsche also Kartoffel oder Alman genannt werde, dann ist das doch ein klarer Fall von Rassismus, oder? Für eine Vielzahl der Kommentierende auf Twitter ist das jedenfalls glasklar. Auch als Weiße wollen sie  genauso wie People of Colour (POC) von Rassismus betroffen sein.

 

 

Als “Nazi” auf Grund der deutschen Geschichte beleidigt zu werden, hat absolut nichts mit Rassismus zu tun. Es ist eine situative Beleidigung. Hinter dieser Beleidigung steht aber weder eine Jahrhundertealte Geschichte von Kolonialismus, Sklaverei und Eroberung. Noch wird eine weiße Person institutionell und gesellschaftlich rassistisch diskriminiert. Stattdessen wird sie gesellschaftlich überall repräsentiert. Sei es kulturell oder politisch. Weiße befinden sich in Deutschland, als auch global gesehen, in einer Machtposition. Rassismus basiert also auf Überlegenheit und Macht. Weiße haben Rassismus erfunden, um zu unterdrücken und diese Struktur ist auch heute noch wirkmächtig.

Für Martin Sellner, Kopf der rechtsextremen “Identitären Bewegung” ist struktureller Rassismus sowieso Blödsinn. “Multikulti kippt allmählich in eine feindselige Phase über” schwadroniert er in einem Video.  Die dritte, vierte Generation der Gastarbeiter*inne sei von einer linken Schuldideologie indoktriniert und nutze das jetzt als psychologische Angriffswaffe gegen Weiße. Besonder hassenswert ist für Sellner allerdings die Tech-Journalistin der New York Times, Sarah Jeong. Ihr widmet er sogar ein eigenes Video.

 

Aus Sarkasmus wird “antiweißer Rassismus”

 

Unter dem Hashtag #VerifiedHate greifen 4chan-Trolle und rechte Gab-User seit kurzer Zeit gezielt Twitter Accounts von verifizierten Journalist*innen an, die angeblich Rassismus gegen Weiße propagieren. Also Witze über Weiße machen, teilweise weil sie selbst von Rassismus betroffen sind. Sarah Jeong wurde im September ins “Editorial Board” der New York Times berufen und war eines der ersten Angriffsziele. Auf ihrem Twitter Account wurden sarkastische Tweets von 2013 gefunden, in denen sie beispielsweise schreibt: “Having things you like being criticized is not marginalization.” und “#CancelWhitePeople”. Auf deutsch: “Wenn Sachen die du magst kritisiert werden, ist das keine Marginalisierung. #SchafftWeißeMenschenAb”.

 

#CancelWhitePeople

— sarah jeong (@sarahjeong) 18. November 2014

 

Für Jeong damals eine Strategie des Countertrolling, um dem rassistischen und antifeministischen Shitstorm etwas entgegenzusetzen. Für die Hater: Propaganda zum Genozid an Weißen. Eine Sorge, die übrigens auch Alt-Right-Vorzeige-Hipster Richard Spencer teilt. Martin Sellner bedient sich sogar Begriffen aus der Antisemitismusforschung und sieht in den Tweets eine “eliminatorische Terminologie” und “offen[en], unapologetisch[en] Rassenhass”. Und auch für Sellners Freund, den neurechten Antifeministen Hagen Grell, sind die Tweets “antiweiß und rassistisch”. Im Zuge der aufgedeckten Tweets soll die New York Times Jeong entlassen, so die gemeinsame Forderung der amerikanischen und europäischen Alt-Right-Aktivist*innen. Glücklicherweise äußerte die Times Verständnis für Jeongs damalige Reaktion.

 

Our statement in response to criticism of the hiring of Sarah Jeong. pic.twitter.com/WryIgbaoqg

— NYTimes Communications (@NYTimesPR) 2. August 2018

 

Für die rechten Trolle natürlich ein Beweis für linke Doppelstandards und eine “Verschwörung gegen Weiße”. Schließlich wurde kürzlich der Podcast und die Show “Infowars” des rechte Verschwörungstheoretiker Alex Jones auf diversen Plattformen gesperrt. Jones, der behauptet er habe kein Problem mit Jüdinnen und Juden, allerdings mit der “jüdischen Mafia”, die ja irgendwie doch alles kontrolliere. Von ehemaligen Mitarbeiter*innen wurden kürzlich Rassismus und Antisemitismus-Vorwürfe gegen Jones laut. Seine Unterstützer*innen – diesseits und jenseits des Atlantiks – sind empört:  Antisemitismus und Rassismus sind verboten, “Rassismus gegen Weiße” aber erlaubt?

Tatsächlich ist das alles nicht nur ziemlich absurd, sondern auch ziemlich gefährlich. Mord-und Vergewaltigungsdrohungen stehen bei solchen rechten Hasskampagnen leider auf der Tagesordnung. Die Bedrohungen durch die Schikanierer sind ziemlich real. Und nicht nur das. Das Thema “Rassismus gegen Weiße” scheint nicht nur in neurechten Kreisen in Deutschland und den USA anschlussfähig zu sein. Wie die Diskussionen um #MeTwo zeigen, sind viele Menschen davon überzeugt, dass auch weiße Deutsche von Rassismus betroffen sein können. Mit solchen Abwehrreaktion werden Betroffenen von Rassismus natürlich eine Menge Steine in den Weg gelegt, um über ihre Erfahrungen zu sprechen.

 

Weiterlesen

fr

Christchurch Die plausiblen Spenden des Brenton T. an die „Identitäre Bewegung“

Der Rechtsterrorist von Christchurch spendete mehrere Tausend Euro an die „Identitäre Bewegung“ in Frankreich und Österreich. Anstatt sie ihrerseits vorschnell zu Terroristen zu erklären, sollte danach gefragt werden, warum ein zu allem bereiter Rechtsextremer die „Identitären“ so großzügig unterstützt und was das über die Natur ihrer „Bewegung“ eigentlich aussagt.

Von|
2017-02-24-rechtspop

Monatsüberblick Januar 2017 Rechtspopulismus

AfD: Björn Höcke nennt bei Auftritt in Dresden Holocaust-Mahnmal „Denkmal der Schande“ +++ AfD-Strategiepapier 2017: Provokation statt Problemlösung +++ Spaltung auch bei den…

Von|
Eine Plattform der