Die Fußball-Weltmeisterschaft 2014 findet außer im realen Leben auch auf Twitter und Facebook statt – dadurch werden all die gelernten und im kollektiven Gedächtnis verankerten rassistischen Bilder und nationalsozialistischen Zitate im Internet wie im realen Leben vielleicht nicht mehr, aber zumindest sichtbarer als bei den vergangenen Fußballweltmeisterschaften. Dass nach Großereignissen, die Menschen nach Nationalitäten teilen, Rassismus und andere Formen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ansteigen, hat die Forschung bereits nachgewiesen (sueddeutsche.de), ebenso den Anstieg von häuslicher Gewalt – und zwar unabhängig davon, ob die eigene Mannschaft gewinnt oder verliert (horizont.net). Der Presse und auch den Polizeipressestellen erscheinen „Sieg Heil“-Rufe oder „Hitlergrüße“ oft zu nichtig, um sie zu berichten. Doch in den Sozialen Netzwerken wie Twitter oder Facebook schwellen die „Einzelfälle“ an zu einem deutschlandweiten Chor der Hass-Gesten, der die Feier-Stimmung trübt. Er wirft die Frage auf: Warum sind diese Hass-Gesten immer noch so stark in vielen Menschen verankert, dass sie den Eindruck haben, sie wären ein adäquater Ausdruck von „Freude“?
Feiern mit Rechtsextremismus:
Auf Twitter dokumentierten Menschen aus ganz Deutschland unter den Hashtags #mobwatch und #schlandunverkrampft rassistische, rechtsextreme und antisemitische Vorkommnisse rund um das WM-Finale.
Aus Stade werden Fans mit „88“-Trikots gemeldet sowie Teilnehmer des Autokorsos, die eine Reichskriegsflagge schwenken. Auch in Wuppertal feiert man gern im „88“-Trikot (88=HH=Heil Hitler). Und in Köln trägt man die „88“ auch und skandiert dazu „Hier marschiert der nationale Widerstand“. In Hannover dagegen skandieren die Fußballfans lieber: „Hier regiert die AfD“.
In Jena sind Menschen von aggressiven Deutschlandfans angegriffen worden, weil sie sich in die „JG Stadtmitte“ begeben wollten, um ein Konzert zu hören, statt das WM-Finale zu sehen, twittert Katharina König, Landtagsabgeordnete der Linkspartei Thüringen.
In Bochum wurde gegenüber dem Hauptbahnhof eine Reichskriegsflagge gehisst.
„Sieg Heil“-Sprechchöre werden aus vielen Städten gemeldet – und sind offenbar deutschlandweit nahezu selbstverständlicher Teil des „Fußball-Festes“. In Karlsruhe war es ein Gruppe von 20 Menschen auf der Kaiserstraße, auch in Wiesbaden, Berlin und 13 anderen Städten war der nationalsozialistische Gruß laut Twitter-Sammlung zu hören. In Marburg ist es eine Gruppe betrunkener Nazis, die dazu auch „Deutschland über alles“ grölen – was übrigens auch ein ebenso beliebter wie unangemessner Hashtag auf Twitter nach dem Spiel war. In Hamburg stehen Polizisten 10 Meter neben „Sieg Heil“-Rufern, reagieren aber nicht.
Ein Twitterer berichtet: „Es grölt auf der Straße:“Heb den Arm, wenn du Deutscher bist!“
Aus der S-Bahn berichtet ein Twitterer aus Hannover, wie eine schwarze Deutsche aus einer Gruppe Deutschlandfans angemacht wird: „Guck Dich mal an, Du kannst doch gar kein Deutschland-Fan sein!“
Aus Hamburg wird berichtet, Neonazis stehen vor dem Café Absurd und werfen mit Gegenständen.
Am „Refugee-Camp“ in Hannover laufen mehrere Menschen vorbei, die den Hitlergruß in Richtung Flüchtlinge zeigen.
Die Facebook-Seite „Schlandwatch“ zeigt Bilder des rechtsextrem konnotierten Freudentaumels: Deutschlandfahnen, die mit Hakenkreuzen „verziert“ wurden, das Straßenschild der „Geschwister-Scholl-Straße“ in München, das umgetreten wurde und der Name der „Geschwister Scholl“ durchgestrichen, und eine frische Hakenkreuz-Sprayerei aus Wolfsburg.
Aus Offenbach wird berichtet, dass auf dem Marktplatz sowohl „Free Palestine“ als auch „Heil Hitler“ als auch „Juden raus“ rufe während der Fußballfeier gebrüllt werden, während die Polizei einfach dabeisteht. Der Schulterschluss zwischen Fans im nationalen Freudentaumel und Antisemit*innen aus den „Free Gaza“-Demonstrationen des Wochenendes gibt es auch aus Dortmund und aus Berlin zu berichten, hier sogar mit Foto. Hier wird auf dem Kurfürstendamm auch unter „Scheiß Juden, scheiß Israel“-Rufen Pyrotechnik angezündet.
In Dortmund hört eine Beobachterin passend dazu: „Judenschweine“ und „Ich bin kein Nazi! Ich bin nationaler Sozialist“. Ebenfalls in Dortmund werden „No Homo“-Sprechchöre dokumentiert.
Aus Annaberg wird berichtet, dass Neonazis versucht haben, einen antifaschistischen Jugendlichen mit ihrem Auto umzufahren.
Ein Twitterer wird gesagt: „Du bist doch einer von den Wichsern, die das Spiel nicht gesehen haben. Sieg Heil.“
Gewalt:
In Hamburg randalieren Männer, nach Augenzeugenberichten rechte HSV-Fans, und werfender St. Pauli-Fankneipe Shebeen ein. Daraus resultierte eine Schlägerei, bei der drei Menschen verletzt wurden (Hamburger Abendblatt).
In Bremen wird ein 19-Jähriger beim Public Viewing in einem Kinosaal erstochen. Der Hintergrund der Tat ist noch offen (Radio Bremen). Update: Weiterhin ist das Motiv unklar, doch Besucher der Veranstaltung berichten von Überfülle und einer aggressiven Stimmung. Das Opfer war arabischer Abstammung, der Täter ein 22-jähriger Deutscher mit albanischen Wurzeln (Weser Kurier).
In Bergheim bei Köln wurde eine 23-jährige Frau beim Autokorso am Steuer ihres Wagens sitzend angeschossen, vermutlich mit einer Kleinkaliberwaffe. Auch hier ist der Hintergrund noch unklar (FAZ, wz-newsline). Insgesamt wurden drei Autos beschossen (ksta.de).
Darüber hinaus griffen in Hamm Schläger erst private Sichterheitsleute und dann die Polizei an, in Moers wurden Feuerwerkskörper und Flaschen gegen Menschen geworfen (ruhrbarone.de).
Ein Twitterer bringt es auf den Punkt: „Ich schäme mich gerade dafür. Wenn so etwas ein #Fußball #WM #Titel auslöst, dann möchte ich den für #Deutschland nicht haben.“
Update 15.07.2014:
Während der Siegesfeier am Brandenburger Tor verhöhnen Spieler der deutschen Nationalmannschaft die argentinischen Gegner mit einem „Gaucho Dance“ und zeigen: „Die Argentinier gehen so – Die Deutschen gehen so!“ (Video dazu in der ARD Mediathek, Bericht auf N24)
In Weimar feiern „Fans“ mit dem Schlachtruf „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“ (Video auf YouTube).
Ein Deutschlandfan posiert auf einer Stele des Holocaustmahnmals in Berlin (Foto).
Update 16.07.2014:
Bei Amazon und eBay zum „Endsieg“Der Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft hat in Deutschland nicht nur einen Run auf die Trikots der Nationalmannschaft ausgelöst – im Internet bieten Händler seit Kurzem auch T-Shirts mit makaberer Nazi-Symbolik zum Verkauf an. Darauf abgebildet ist der Reichsadler – das Hakenkreuz wurde durch einen Fußball ersetzt. Daneben Begriffe wie „Endsieg“ oder „Blitzkrieg“. Zu finden sind die Produkte nicht etwa auf einschlägigen Neonazi-Seiten, sondern bei zwei der größten Online-Händlern Deutschlands: Amazon und eBay (Endstation rechts).