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Raus auf’s Land! Arbeit gegen Rechts in der Peripherie

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Der ländliche Raum - ein Hort für Neonazis? (Quelle: Wikimedia Commons (CC-Lizenz)/Lienhard Schulz)

von Laura Piotrowski

„Rechtsextremismus ist nach Einschätzung der Bundesregierung eher ein Phänomen der ländlichen Regionen als von Großstädten und Ballungsgebieten. Schwerpunkte der Rechtsextremen liegen vor allem in Ostdeutschland (…)“, schreibt die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der SPD zum Thema Rechtsextremismus im ländlichen Raum. Auch für die Amadeu Antonio Stiftung ist der ländliche Raum ein Schwerpunkt der Arbeit.

Menschenverachtende Meinungen sind auf dem Land stärker vertreten. Beispielsweise zur Bundestagswahl erreichte die neue rechtspopulistische Partei Alternative für Deutschland im ländlichen Raum bis zu 8,2 Prozent der Wählerstimmen.

Fachtagung in Berlin „Zusammenhalt durch Teilhabe“

Über die Situation im ruralen Gebiet gab Andreas Zick, Professor an der Universität Bielefeld und Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG), auf einer Fachtagung des Bundesprogramms „Zusammenhalt durch Teilhabe“ in Berlin einen umfassenden Überblick. Er ist Mitautor der Studie „Deutsche Zustände“, die seit 2001 unter Leitung von Wilhelm Heitmeyer jedes Jahr Einstellungen zu Formen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in der deutschen Gesellschaft erhebt. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit schließt u.a. die Diskriminierungsformen Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und Islamfeindlichkeit mit ein. Die Studie hat in den letzten Jahren gezeigt, dass sich diese Diskriminierungsformen weiter in der Mitte der Gesellschaft verankern – also kein Randproblem von sogenannten „Extremistinnen und Extremisten“ sind. Besonders Rassismus, Antisemitismus und Sexismus sind in der deutschen Gesellschaft weit verbreitet und steigen im Zeitverlauf an.

Der Strukturwandel erleichtert die antidemokratische Radikalisierung

Zick setzt in seiner Arbeit einen Fokus auf den ländlichen Raum. Bei der Tagung in Berlin stellte er dar, dass diese Räume durch Politikwechsel, Ökonomisierung und Migration in einen Wandel geraten sind. Bekannte Entwicklungen sind die Abwanderungen junger Menschen sowie geringere Geburtenraten, die zu einer Überalterung der ländlichen Kommunen führen, fehlende Infrastrukturversorgung, wie mit Breitbandanschlüssen oder Allgemeinarztpraxen, Einschränkungen im öffentlichen Personennahverkehr und auch ein Wandel des Medienmarktes. Zunehmend sterben im ländlichen Raum die Regionalzeitungen aus, es gibt Landkreise in denen gar keine Regionalzeitung oder nur noch eine angeboten werden. Bestehende Regionalredaktionen überleben nur mit personellen Einschränkungen und reagieren verzögert auf aktuelle Ereignisse. Mediale Langsamkeit macht sich breit.

Dieser Strukturwandel verlangt von den Bewohnerinnen und Bewohnern eine Anpassung ihrer Lebensweise. Allerdings ändern sich die ländlichen Räume schneller, als Mensch und Medien darauf reagieren können. Laut Zick erleichtert das eine antidemokratische oder auch antimoderne Radikalisierung. Innerhalb des beschleunigten Strukturwandels bieten traditionelle Politikformate zunehmend keine Antworten auf die Fragen der Bürgerinnen und Bürger mehr. Menschen die sich in verunsicherten Lebenssituationen befinden, weil sich die Umwelt schneller verändert, als sie selbst sich anpassen können, suchen nach einfach Auswegen und Lösungen – die von Rechten gern geboten werden. Gibt es etwa im Ort keine Regionalzeitung mehr, verteilt nun die NPD kostenlos eine „Bürgerzeitung“, in der sie zum Beispiel über die Bestimmungen der Pflegeversicherung „aufklärt“ oder über das Erntedank-Fest berichtet. Derartige „Bürgerzeitungen“ erscheinen immer wieder in ländlichen Gebieten. Antidemokratische Propaganda findet ihren Raum in der Lücke, die die traditionellen Medien nach ihrer Abwanderung hinterlassen und beeinflusst die Meinung der Bevölkerung. Auch Radikalisierungsprozesse können von antidemokratischen Medien angestoßen werden.

Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit bleibt unwidersprochen

In den letzten Jahren verfestigen sich die Formen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in den Köpfen, nicht zuletzt bei der Landbevölkerung. Schon 2007 stellte die Forschergruppe um Wilhelm Heitmeyer in ihrer Langzeitstudie zu Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in Deutschland fest, dass die Menschenfeindlichkeit sich in der Mitte der Gesellschaft verfestigt. Rechte Einstellungen betreffen eben nicht nur „die Anderen“ oder „den Rand der Gesellschaft“. Besonders im ländlichen, ostdeutschen Raum können sie sich aber verfestigen, da sie häufig unwidersprochen bleiben. Ebenso normalisiert sich die rechtsextreme NPD als „demokratische Partei“ in den Köpfen der Menschen. Laut den Umfragen wird Rechtsextremismus seltener als Bedrohung angesehen, was erklären könnte, warum ein zivilcouragiertes Eingreifen gegen eine erstarkende Rechte im ländlichen Raum ausbleibt.

Medienorientierte Projekte können das ändern

Licht am Ende des Tunnels sieht Zick in medienorientierten Projekten der Zivilgesellschaft. Medien- und kommunikationsorientierte Projekte können Verengung und Engstirnigkeit durchbrechen, Propaganda der Rechten als solche sichtbar machen und einen Grundstein für zivilcouragiertes Handeln legen. Medien vermitteln Informationen, ermöglichen Partizipation und die objektive Bildung einer öffentlichen Meinung. Sie sind also ein grundlegender Bestandteil demokratischer Kultur. Und sollten somit auch einen Bestandteil in der Arbeit der Zivilgesellschaft bilden, um gegen rechte und menschenverachtende Einstellungen aktiv zu werden.

Denn Zick stellt fest: Potential ist da. In einer nicht repräsentativen Befragung von 1.400 Bewohnerinnen und Bewohnern von Regionen mit stabilen rechtsextremen Gruppen ermitteln Zick/ Hövermann 2013, dass 71 Prozent der Befragten sich zwar nicht aktiv gegen Nazis einsetzen, aber ängstlich verunsichert bis passiv besorgt sind. Genau diese 71 Prozent gilt es zu aktivieren, um für eine demokratische und menschenfreundliche Gesellschaft zu arbeiten, in der Nazis keinen Platz mehr finden.

Aber wie soll man am Besten aktiv werden? Kann eine Stiftung mit Sitz in Berlin einfach nach Pasewalk fahren, dort ein Bürgerfest gegen Rechts veranstalten und so die ländliche Bevölkerung zurück auf die demokratische Seite holen? Nicht nur Zick hält auf der Fachtagung fest, dass zivilgesellschaftliche Arbeit nicht ohne lokale Partnerschaften und auch nicht ohne einen langen Atem funktionieren kann. Einen Ansatz für die kommunale Arbeit stellten Andreas Grau, ebenfalls vom IKG Bielefeld, und Swantje Tobiassen vom Projekt „Region in Aktion“ der Amadeu Antonio Stiftung vor. Diese und weitere Projekte sollen in den nächsten Wochen auf Belltower.news vorgestellt werden.

Die vorliegende Bestandsaufnahme zur Situation im ländlichen Raum erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Aber sie ist ein Beginn, um sich dem Problem zu nähern und Auftakt einer Serie von Texten zur Arbeit für Zivilcourage und gegen Nazis in der deutschen Peripherie.

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