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Razzien bei der HDJ – Folgt jetzt das Verbot?

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Von Andrea Röpke

Diesmal kamen die Razzien im Morgengrauen nicht unerwartet. Viele der rechtsextremen „Zielpersonen“ aus dem Umfeld der „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) scheinen damit gerechnet zu haben. Als die Beamten vor dem Haus des NPD-Bundesvorstandsmitgliedes und Chef des Orderdienstes Manfred Börm in Handorf bei Lüneburg anrückten, entstand keine Panik. Der blaue Bus des Neonazis mit dem Zeichen der Artgemeinschaft, dem germanischen Adler, der den christlichen Fisch fängt, parkte hinter dem Haus. Eine ältere Frau hängte seelenruhig weiße Kochwäsche auf der Leine im Vorgarten auf. Kurz vor Mittag schleppten zivile Beamte anscheinend nur wenige schwere Kartons in ihre Autos.

Manfred Börm hat Erfahrung mit Polizei und Justiz. Er war „Gauführer“ der 1994 verbotenen „Wiking-Jugend“, der nicht nur aggressiv-kämpferische antidemokratische Ziele nachgewiesen worden waren, sondern auch eine Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus. Heute beteiligt sich Börm mit seiner Kinderschar an den Zeltlagern und Aktionen der „Heimattreuen Deutschen Jugend“. Sein Sohn Alf, der seinen Wehrdienst absolvierte, ist bereits „Unterführer“ der braunen Erziehungsorganisation. Er wirbt auf Anzeigen in einschlägigen Blättern für die elitären Ziele der Kadertruppe. Börm betreibt seit Jahren eine Baufirma, in der er vor allem national gesinnte Mitarbeiter beschäftigt. Eine Kostprobe seiner Handwerkskunst konnten sich gestern auch die Beamten des Landeskriminalamtes ansehen, denn gut sichtbar zur Straße hin wurden Odalrune und Wolfsangel als ehemalige Symbole der Hitlerjugend im Mauerwerk verewigt.

Auch Börms Weggefährte und Kamerad Christian Berisha wechselte vom Umfeld der „Wiking-Jugend“ zur HDJ ? der fünffache Vater fungiert als deren „Spendenbeauftragter“. Als Unternehmer gilt er als einer der Sponsoren der Szene. Die Büroräume einer seiner Firmen in der Lüneburger Innenstadt wurden gestern von Beamten des niedersächsischen Landeskriminalamtes durchsucht, Computer beschlagnahmt. Gegenüber der „Landeszeitung“ prahlte der Neonazi, der für eine Unabhängige Wählergemeinschaft auch kommunalpolitisch im Kreistag aktiv ist, damit, dass der HDJ seit einer Woche bekannt gewesen sei, das Hausdurchsuchungen anständen. Die Lokalzeitung beschreibt Berishas „nebulöse“ Andeutung: „Auch wir haben unsere Informanten“.

Gerüchte über anstehende Durchsuchungen

Tatsächlich waberten Gerüchte der bevorstehenden bundesweiten Razzia unter Führung des Bundeskriminalamtes gegen die HDJ seit Tagen durch zahlreiche Redaktionen. Fachleute zeigten sich verwundert über die zweiteilige Handlungsweise von Bundeskriminalamt und Innenministerium. So wurde noch kein Verbot des neonazistischen Vereines ausgesprochen, im Gegenteil, man wolle anhand der Hausdurchsuchungen sorgsam prüfen, ob „sich die HDJ in aggressiv-kämpferischer Weise gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet und ihre Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderläuft“, ließ Innenstaatssekretär August Hanning in Berlin verkünden. Bisher waren bundesweite Razzien und Verbote rechter Vereine zumeist zeitlich einher gegangen.

Warum das Bundesinnenministerium und seine Beamten im Falle der HDJ so zögerlich vorgehen, bleibt auch für Ermittler in den Bundesländern unverständlich. Hinter vorgehaltener Hand sollen eingesetzte Polizeibeamte auch darüber nicht besonders glücklich gewesen sein, dass Informationen der Aktion durchgesickert waren, so wussten neben einigen Redaktionen eben auch die Rechtsextremen anscheinend vorab Bescheid.

In den rund 100 durchsuchten Objekten von Anhängern der HDJ sollen weder Waffen, noch Uniformen, dafür aber PCs, Datenträger und Propagandamaterial gefunden worden sein. Noch 2006 war das Bundesinnenministerium unbeholfen davon ausgegangen, dass es sich bei der von namhaften NPD-Größen angeführten Organisation nicht um eine bundesweit agierende Truppe handele. Medienberichte sorgten für Aufklärung.

Aktuellen Zahlen aus Berlin zufolge gehören rund 400 Neonazis der HDJ an, hinzu kommt der zahlenmäßig starke Nachwuchs und ältere Anhänger. Der beim Amtsgericht in Kiel eingetragene Verein erzieht 7 bis 29-Jährige nach „soldatischen“ Idealen, orientiert sich dabei an den strammen Werten des Nationalsozialismus, heroisiert SS-Dichter wie Kurt Eggers zu Erziehungs-Idolen und legt einen Schwerpunkt auf Sport, Mutproben und Geländemärsche ? als Teil militärischer Wehrhaftigkeit.

HDJ als Kaderorganisation

Die HDJ will keine Massen-, sondern eine Kaderorganisation sein. Bereits Jugendliche befehligen Lager mit Kleinkindern. Die NPD-nahen Erzieher wollen dem staatlichen Bildungsmonopol mit einem eigenen breitangelegten Bildungsprogramm entgegentreten. Der Kampf gegen die „BRD-isten“ und für ein Deutsches Reich wird den Kindern eingetrichtert. Kreativität und Individualität sind nicht erwünscht, etwa nach dem Motto: „Ich bin nichts, mein Volk ist alles“.

Reinhard Koch, Leiter der „Arbeitsstelle Rechtsextremismus und Gewalt“ (arug) in Braunschweig kritisiert, dass die HDJ zu lange als „interne Angelegenheit der Neonazi-Szene“ heruntergespielt wurde. „Die Außenwirkung dieser Truppe wurde unterschätzt“, so Koch. Denn diese Kinder seien die Führer von morgen und mit denen müsse sich die Zivilgesellschaft frühzeitig auseinander-setzen.

Bereits durch die militante Schule der „Wiking-Jugend“ liefen in 42 Jahren ungestörter Tätigkeit nach eigenen Angaben rund 15.000 junge Neonazis, zu ihnen gehörten heutige NPD-Kader Thorsten Heise, Stefan Köster oder Udo Pastörs. Gegen die Heimattreue Deutsche Jugend und ihr Führungspersonal wird seit Ende 2006 bundesweit u.a. wegen Bildung einer bewaffneten Gruppe, Verstoß gegen das Jugendschutzgesetz, Uniformverbotes und gefährlicher Körperverletzung ermittelt. Viele der braunen Erzieher sind vorbestraft. Unter ihnen sind Handwerker, Unternehmer, aber auch Akademiker. Ihnen stehen zahlreiche einschlägige Szene-Anwälte zur Seite.

Gegen den Anführer der „Einheit Mecklenburg und Pommern“, einem Biologiestudenten aus Greifswald, wird wegen einer im Januar 2008 durchgeführten „Rasseschulung“ mit Jugendlichen in Niedersachsen ermittelt. Im Sommer 2008 wurde erstmalig eines der Zeltlager mit Kleinkindern in Hohen Sprenz bei Güstrow gemeinsam von Polizei und zuständigem Jugendamt aufgelöst. Nach Angaben der örtlichen Polizei seien die Kleinkinder in dem Lager „regelrecht mit nationalistischem Gedankengut beschult“ worden.

Zahlreiche Funktionäre durchsucht

Die jetzt erfolgten Hausdurchsuchungen in allen Bundesländern außer Bremen und dem Saarland standen im Zusammenhang mit einem Sommerlager der HDJ in Koltzschen bei Zschadraß im sächsischen Muldentalkreis. Zu den durchsuchten Objekten gehörten neben Büroräumen auch die Bundeszentrale der NPD in der Seelenbinderstraße in Berlin-Köpenick. Bundesvorstandsmitglied und Anhänger der HDJ-Einheit „Preußen“ Jörg Hähnel ist dort gemeldet.

In Reichenwalde traf es den HDJ-Bundesführer und Unternehmer Sebastian Räbiger, in Hohen Neuendorf wurden die Räume von Bundesführerin Holle Böhm und ihren Familienmitgliedern durchsucht. Auch der ehemalige Bundesführer der verbotenen „Wiking-Jugend“, Wolfram Nahrath, Rechtsanwalt aus Birkenwerder, bekam gestern Hausbesuch von der Polizei. In Greifswald parkten zahlreiche Polizeiautos vor der Wohnung von Frank Klawitter, einst militanter Neonazi-Anführer, heute HDJ-Erzieher.

Kurzzeitig vorgeführt aufs Berliner Präsidium wurde Eric Kaden. Der ehemalige Anhänger des WJ-„Gaues“ Sachsen und jetzige HDJ-Aktivist betreibt den rechtsextremen „Buchdienst Kaden“. Zeitweilig war der Dresdener Kaden als Mitarbeiter der NPD-Fraktion im Schweriner Landtag beschäftigt. Dort im Schweriner Schloss in den Fluren der NPD zeigt sich eine besondere Nähe zwischen Neonazi-Partei und Jugendorganisation ab. So zeichnet sich der Ueckermünder Abgeordnete Tino Müller für die Homepage der HDJ verantwortlich und ankommende Mails landen in den Büros der Mitarbeiter. Müller und seine Abgeordneten-Kollegen Stefan Köster, Birger Lüssow und Udo Pastörs hegen eine Nähe zur HDJ, deren Mitarbeiter Torgaj Klingebiel, Michael Gielnik und Michael Grewe wurden bei HDJ-Lagern gesichtet. Ihnen schien die bundesweite Razzia gestern nicht gegolten zu haben. Auch die Homepage der „Heimattreuen Deutschen Jugend“ ist weiterhin aktiv. Vielleicht rechnen die Behörden in Berlin auch mit einer taktischen Selbstauflösung des Vereines ? verkündet per Internet.

Experte Reinhard Koch warnt, die Neonazis würden die Erziehung der Kinder auch in Zukunft nicht dem Staat überlassen. So ist wohl davon auszugehen, dass die Strategen der HDJ bereits an einer Ersatzorganisation basteln.


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