Reichsbürger*innen wünschen sich ein Ende der parlamentarischen Demokratie in Deutschland – weil sie die als unrechtmäßige Folge des Zweiten Weltkriegs ansehen. Weil bei der Kapitulation Deutschland keine Reichsregierung mehr existierte, wurde nie ein „Friedensvertrag“ geschlossen, statt einer Verfassung hat Deutschland ein Grundgesetz (vgl. Belltower.News). Reichsbürger*innen hätten aber die deutsche Monarchie des Kaiserreiches als Ansprechpartner für Friedensverträge gesehen und wünschen sich teilweise auch heute noch die Monarchie zurück. Kein Wunder, dass das auch Adelsvertreter*innen in Deutschland gefällt. Das Reichsbürger*innen-Netzwerk, das mit den bundesweiten Razzien vom 7. Dezember 2022 aufflog, hatte einen ebensolchen Rädelsführer: Der Mann, der sich „Prinz Heinrich XIII. von Reuss“ nennt – obwohl es in Deutschland natürlich keine Prinzen mehr gibt. Er ist 71 Jahre, alt, Immobilienhändler, und wer Ergüsse von ihm im Internet liest, kann ihn als Demokratiefeind und Anhänger der Reichsbürger-Ideologie kennenlernen.
Eine alte Familie…
„Prinz“ Heinrich XIII. stammt von einer bis ins Mittelalter nachweisbaren Familie in Deutschland ab – wenn er auch selbst auf YouTube noch weitergeht und von Ahnen „im Jahr 900 nach Christus“ spricht. Die Familie Reuss wurde Mitte des 12. Jahrhunderts urkundlich erwähnt zu Vögten, im 14. Jahrhundert zu Herren, im 17. Jahrhundert zu Grafen und im 18. Jahrhundert zu Reichsfürsten. Das Fürstenhaus herrschte bis zur Novemberrevolution 1918 über Gebiete im heutigen Thüringen. Im Deutschen Kaiserreich herrschten dann Teile der Reussschen Familie weiter: Die ältere Linie der Familie Reuss um Greiz herum, die jüngere Linie Reuss hatte ihr Fürstentum um Gera. Der letzte aktive Regent war „Erbprinz Heinrich XLV.“ – begeistertes NSDAP-Mitglied und Wehrmachtssoldat. Er blieb unverheiratet und kinderlos, adoptierte aber einen Sohn, den er Heinrich (Harry) I. nannte. Dieser wiederum heiratete eine Verwandte, Woizlawa-Feodora, mit der er sechs Kinder bekam – unter anderem den dreizehnten Heinrich, der jetzt den Umsturz plante. Die Familie residierte auf Schloss Osterstein in Gera, floh aber im Sommer 1945 ins hessische Büdingen.
… lebt in der Vergangenheit
Nach dem Mauerfall verlangte die „Fürstenfamilie“ Reuss – vor allem Mutter Woizlawa-Feodora – in Gera die Familienimmobilien zurück – u.a. das Prinzenhaus, den Küchengarten und verschiedene Wohnhäuser, da der NSDAP-affine „Erbprinz“ zugleich britischer Staatsbürger gewesen sei und als solcher nicht hätte enteignet werden dürfen (vgl. LokalTV Gera). Da die Familie allerdings den Nachweis schuldig blieb, dass Heinrich XLV. wirklich Brite war, erhielten sie die Immobilien nicht zurück, wohl aber einige Ausstattungsgegenstände, die die Familie versteigern ließ. Ein Teil des so erlangten Geldes ging an die Sekte „Fiat Lux“ mit Anführerin Uriella, der sich die Mutter inzwischen angeschlossen hatte. Mit verschwörungsideologischen Glaubensrichtungen gab es also familiäre Erfahrung.
… weist den Reichsbürger von sich
Nichtsdestotrotz geht Teilen der Familie Reuss ihre reichsbürgerndes Familienmitglied, der dreizehnte Heinrich, zu weit. Bekannt wurde das im August 2022, als der „Prinz“ in seinem Heimatort Bad Lobenstein zugegen war, als der parteilose, aber rechtsoffene Bürgermeister von Bad Lobenstein, Thomas Weigelt, einen Lokaljournalisten angriff, der das Treffen dokumentieren wollte. Dazu sagte ein Sprecher des „Fürstenhauses Reuss“, ein weiterer Heinrich (Heinrich XIV): Heinrich XIII. sei ein „teilweise verwirrter Mann, der verschwörungstheoretischen Irrmeinungen“ aufsitze. Er habe den Familienverbund vor 14 Jahren verlassen (vgl. mdr).
Dafür fand „Prinz“ Heinrich XIII. neue Freund*innen in der Reichsbürger*innen-Szene. Diese verehrt seinen langjährigen Einsatz für eine Wiedereinführung der Monarchie – und seine explizite Demokratiefeindlichkeit. So sind online in Reichsbürger-Gruppen und auf QAnon-Kanälen Briefe des dreizehnten Heinrich zu finden, die dramatisch beginnen mit: „Auch in mir ist heute ein Tag Verzweiflung, da die Staatssimulation noch die Oberhand hat.“ Der 71-Jährige tritt auf Fotos in der Öffentlichkeit als gepflegter, eleganter Herr auf, der offenbar auf vielfältige Art versuchte, Einfluss auf Politik zu nehmen – aber immer mit Reichsbürger-Background. So berichtet er, er wäre 2020 in Moskau gewesen, um mit Vertretern der „Alliierten“ über den fehlenden Friedensvertrag zu sprechen – aber die „erwartete Unterstützung“ sei „ausgeblieben“.
Der daraufhin ein neues Fürstentum plant
Deshalb brauche er „Patrioten“, um seine Vision „der Wiederherstellung eines Gliedstaates aus dem Kaiserreich“ umsetzen zu können. Er benennt auch, wer sich dem in den Weg stellen könnte: „Die Gefahr bei dem Plan der Deep State Alliierten ist eine Monarchie von Alliierten Gnaden mit Georg Friedrich Preußen. Das ist eine BRD 2.0.“ Also: Er wittert königliche Konkurrenz mit besseren Kontakten zum „Deep State“, einer verschwörungsideologischen Chiffre für eine imaginierte jüdische Weltverschwörung. Aber nicht nur: „Ich benötige – die Unterstützung der Patrioten (sichtbar) und – die der drei Alliieren (USA, RUS, UK). Wenn ich mit meiner Staatlichkeit keine Rückendeckung durch die Alliierten bekommen, wird mich die Firma BRD ……… “ Was genau, überlässt der dreizehnte Heinrich der Fantasie des oder der Lesenden. Den Kontakt zu Russland sollte übrigens Heinrichs Lebensgefährtin Vitalia B. herstellen, die aus Russland stammt und zu den verhafteten Unterstützer*innen der Verschwörungsgruppe gehört.
Die unterstützenden Patrioten für seine Fantasien akquirierte der dreizehnte Heinrich unter anderem im Internet. In verschwörungsideologischen Wikis und Telegram-Kanälen fand der Prinz nicht nur Anklang, sondern auch Unterstützer*innen, die den Umsturz mit Gewalt herbeiführen wollten – und die Waffen hatten, dies auch umzusetzen. Auf Telegram kommentiert User „Kaisertreu“ im „Patrioten Union Kanal“: „Es gibt immer einen Weg, diesen Leuten den Spaß an ihrer geliehenen Macht zu versauen. Tu, was du tun musst. Sei der Schmerz.“ Hier und in Telegram-Gruppen wie „Patriotswarrior“ oder „Patrioten Union“ (alle inzwischen gelöscht) wurden „Prinz“ Heinrich XIII. Tiraden in Brief- und Videoform fleißig geteilt.
In den Videos von 2019 auf YouTube oder Bitchute geht es um das Leid, dass in Deutschland angeblich nach dem Ende der Monarchie folgte, Hasstiraden gegen die Kommunist*innen, die seine Familie enteignet hätten. Dabei wäre das „Fürstentum Reuss“ „überschaubar und klar“ gewesen: „Lief etwas nicht rund, ging man zum Prinzen“, sagt Reuss im Video. Mit demokratischen Strukturen kann der dreizehnte Heinrich wenig anfangen: Gewaltenteilung sei „eine Illusion“, Deutschland ein „tributpflichtiger Vasallenstaat“. Und hinter der Französischen Revolution hätten „Repräsentanten der Dynastie Rothschild“ gesteckt – um die Monarchie zu beseitigen. Auch hinter der Oktoberrevolution in Russland. Und auch hinter Hitler hätten als Finanziers die von jüdischer Verschwörung gelenkte USA gestanden, um „die Verbreitung der jüdischen Bevölkerung voranzutreiben“. Mehr Antisemitismus, als Jüdinnen*Juden die Schuld am Nationalsozialismus und am Holocaust zu geben, geht nicht.
Ein Rat für eigene Staatsstrukturen
Zum Dank für so viel Hass und Verschwörungsdenken in adligem Gewand sollte „Prinz“ Heinrich XIII. Vorsitzender des zentralen „Rates“ werden, der nach „der angestrebten Machtübernahme in Deutschland“ die Aufgabe haben sollte, „den Aufbau eigener Staatsstrukturen zu planen“ (vgl. Welt). Entsprechend wurde er heute in Frankfurt am Main, wo er seine Büroräume hat, als Rädelsführer des Reichsbürger-Netzwerks verhaftet. In Bad Lobenstein gehört ihm das neugotische Jagdschloss Weidmannsheil, das er als standesgemäßes Anwesen für Vernetzungstreffen der Reichsbürger*innen zur Planung des „Umsturzes“ zur Verfügung stellte. Am Ende hätte ein neues „Fürstentum Reuss“ stehen sollen. Nun folgt aber erst einmal die Haft.