von Stefan Lauer
2016 hat die Zahl von rechten Übergriffen in den ostdeutschen Bundesländern und Berlin einen neuen Rekord erreicht. Die Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt haben im vergangenen Jahr 1.612 Angriffe gezählt. 2.499 Menschen wurden angegriffen oder massiv bedroht. Besonders bemerkenswert: In Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern gab es die höchsten Zahlen seit der Gründung der Opferberatungsstellen.
LOBBI, die landesweite Opferberatung, Beistand und Information für Betroffene rechter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern zieht eine düstere Bilanz für 2016. Wo 2015 von rechtsextremer und rechtspopulistischer Seite noch massiv mobilisiert wurde, um Stimmung gegen Geflüchtete zu machen, hat sich offenbar das Klima in vielen Ortschaften und Städten in Mecklenburg-Vorpommern tatsächlich nachhaltig gewandelt. Es gibt weniger rassistische Aufmärsche, dafür aber mehr Übergriffe. Im Jahr 2016 waren es so viele wie noch nie seit der Gründung von LOBBI vor 16 Jahren. Das Klima ist ausländerfeindlicher und rassistischer geworden. Im Rostocker Stadtteil Groß Klein schafften es Neonazis und „besorgte Bürger_innen“ gar, dass eine Gruppe jüngerer Geflüchteter aus ihrer Unterkunft evakuiert werden musste.
Nur etwa drei Viertel der registrierten Angriffe wurden tatsächlich zur Anzeige gebracht. Davon wurden wiederum nur ein Bruchteil von den Behörden als rechtsmotiviert eingestuft. Immer wieder gibt es Berichte darüber, dass Vernehmungen oder Zeugenaussagen ohne Dolmetscher_in stattfinden.
Auch in Sachsen-Anhalt ist die Zahl der Angriffe so hoch wie nie: 265 Übergriffe mit 401 direkt betroffenen Opfern wurden von der Mobilen Beratung für Opfer rechter Gewalt dokumentiert. Schon 2015 hatte sich die Zahl gegenüber dem Vorjahr verdoppelt. 2016 waren es nochmal 53 mehr. „Statistisch gesehen wurde in 2016 quasi jeden Tag jemand in Sachsen-Anhalt aufgrund der Herkunft, Hautfarbe, des Glaubens, gesellschaftlichen Status, der sexuellen Identität, der politischen Einstellung oder des Engagements für eine demokratische Gesellschaft zum Ziel rechter Gewalt“, so eine Sprecherin der Mobilen Opferberatung.
Ein weiteren traurigen Rekord setzt Sachsen-Anhalt auch bei den Angriffen auf Kinder. 45 Kinder unter 14 Jahren wurden 2016 Opfer rechter Gewalt. Das sind drei Mal so viele wie im Vorjahr.
Auch für Thüringen zählt die Mobile Beratung für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, ezra einen Anstieg um mehr als 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 160 Fälle mit 277 Opfern wurden gezählt. Gerade was Angriffe auf Geflüchtete angeht, gab es 2016 in Thüringen einen starken Anstieg: 103 Fälle gab es und damit auch eine Steigerung um 90% im Vergleich zum Vorjahr. Wie alle anderen Opferberatungsstellen auch, geht Ezra von einer hohen Dunkelziffer aus. Nach den Erfahrungen der Beratungsteams wenden sich nur wenige Geflüchtete nach Übergriffen an die Beratungsstellen oder gar an die Polizei.
In Sachsen gab es 2016 insgesamt weniger Übergriffe als im Vorjahr, meldet die RAA Sachsen (Regionale Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie Sachsen e.V.). Bei insgesamt 437 Angriffen waren mindestens 685 Personen betroffen. Wurden 2015 noch 141 politische Gegner_innen angegriffen, waren es 2016 noch 62. Zugenommen hat allerdings rassistische Gewalt, von 285 Vorfällen (2014) auf 306. „Zwar ist rechtsmotivierte Gewalt in Sachsen erstmalig seit 2012 wieder leicht zurückgegangen, allerdings verbleiben die Angriffszahlen auf sehr hohem Niveau. Innerhalb von vier Jahren haben diese sich fast verdreifacht und seit zwei Jahren bewegen sich die Angriffszahlen auf dem höchsten Stand seit Bestehen der Opferberatungsstellen“, fast Andrea Hübler, Fachreferentin der Opferberatung, die Lage zusammen. Die meisten der Angriffe sind dabei Körperverletzungen (301), dazu kommen es 22 Brandstiftungen in Sachsen, 19 davon in Asylunterkünften.
In Brandenburg zählt der Verein Opferperspektive 221 rechte Angriffe. 2014 waren es noch 98, die Zahlen haben sich also mittlerweile mehr als verdoppelt. Das dominierende Motiv war dabei Rassismus. Auch dabei haben die Zahlen zugenommen. 2015 waren es noch 142 Fälle, 2016 waren es dann 175. Insgesamt waren 2016 335 Menschen direkt betroffen. Besonders bedrohlich erscheint die Situation dabei in Cottbus. Hier gab es 41 Übergriffe, die laut Opferperspektive darauf zurückzuführen sind, dass eine militante rechte Szene versucht, öffentliche Räume in der Stadt einzunehmen.
Auch in Berlin gab es 2016 mehr rechte Gewalt, meldet Reach Out, die Opferberatung gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Erfasst wurden 380 Angriffe und damit 60 mehr als 2015. Betroffen waren mindestens 553 Menschen. Das mit Abstand häufigste Motiv war dabei auch hier mit 233 Vorfällen Rassismus. Die meisten Vorfälle gab es dabei in Berlin-Mitte (68), Marzahn-Hellersdorf (50) und Friedrichshain-Kreuzberg (40). In Neukölln waren es 38 Vorfälle und damit fast doppelt so viele wie im Vorjahr. Gerade hier besteht ein Zusammenhang mit der rechten Anschlagsserie, die den Bezirk seit dem letzten Jahr in Atem hält.
Foto: Flickr / De Havilland / CC BY-NC 2.0