In Teilen der „neuen“ Rechten setzt sich immer mehr die Einsicht durch, dass sich Migration nach Deutschland und Europa nicht mehr rückgängig machen lässt. Was tun? Zwei Bücher aus neurechten Verlagen greifen die Situation auf und sorgen für hitzige innerrechte Debatten: Das eine warnt vor dem Feindbild Islam als rechte Sackgasse, das andere fordert, die demografischen Realitäten eines Einwanderungslandes anzuerkennen und mit Gleichgesinnten eine rechte, multiethnische Gesellschaft zu gründen. Flankiert wird diese Debatte von rechtsextremer Praxis, die die beiden Pole der Debatte widerspiegeln: Im Ruhrpott terrorisiert eine neugegründete rechte Gruppierung Bewohner*innen linker Hausprojekte. Einer der Anführer ist ein bekannter Neonazi, der andere stammt aus muslimischen Milieus. Die Täter brüllten bei einer ihrer Attacken „Allahu akbar“ und hinterließen gesprühte SS-Runen. Unterdessen plant der österreichische Rechtsextremist Martin Sellner gemeinsam mit einem ehemaligen Propagandisten der islamistischen Al-Kaida islamfeindlichen Kundgebungen mit erheblichen Provokationscharakter. Migrations- und Islamdebatten gab es in der extremen Rechten schon immer. Aktuell nehmen sie an Schärfe zu.
Das Ende vom Traum einer „arischen Volksgemeinschaft“?
Das nationalsozialistische Ideal einer „reinrassischen, arischen Volksgemeinschaft“ ist bis heute eine der wichtigsten ideologischen Pfeiler im Weltbild der heterogenen extremen Rechten. Aus strategischen Gründen wird allerdings nur noch sehr selten von der „arischen Volksgemeinschaft“ geredet, lieber von einem „ethnisch homogenen Volk“. Doch schon seit Jahren setzt sich in Teilen der extremen Rechten die Einsicht durch, dass durch Zuwanderung dieses nationalsozialistische Rassekonzept nicht mehr umzusetzen sei. Mit den beiden Büchern „Feindbild Islam als Sackgasse“ (Jungeuropa Verlag) von Frederic Höfer und „Das neue Volk“ (Antaios Verlag) von Simon Kießling hat im rechten Lager eine Debatte Fahrt aufgenommen, wie sie mit der demografischen Realität umgehen und diese nutzen können, um wieder an Schlagkraft, auch im wörtlichen Sinne, zu gewinnen.
Islamdebatten gab es schon viele in der extremen Rechten, aber auch eine gelebte Praxis der Kooperation. Am bekanntesten ist die historische Allianz zwischen den Nationalsozialisten und dem Großmufti von Jerusalem, Mohammed Amin al-Husseini. Verbindende Ideologie war vor allem der eliminatorische Antisemitismus, aber auch die Feindschaft gegen die USA und England. Das Foto der Unterredung von al-Husseinis mit Adolf Hitler ist weltberühmt.
Und es blieb nicht beim Meinungsaustausch: Die Nationalsozialisten errichteten muslimische SS-Legionen auf dem Balkan, in Berlin nahm Ende 1942 das islamische Zentral-Institut seine Arbeit auf und erstellte u.a. Schulungsmaterialien für die muslimischen SS-Legionen. Noch 1944 wurde im brandenburgischen Guben ein islamisches Schulungszentrum für Imame vom Großmufti eingeweiht und in Göttingen und Dresden „Mullah-Schulungen“ durchgeführt. Insbesondere Heinrich Himmler war vom Islam fasziniert. Himmler war der Meinung, dass man den Wert und die Bedeutung einer Religion nur daran messen könne, welche Position sie in der Auseinandersetzung der Völker um Leben und Tod einnehme. Dass Problem der christlichen Kirche sei, so Himmler, dass sie dieses „Naturgesetz“ negiere, indem sie verlange, dass alle Menschen sich lieben sollten. Der Islam sei dagegen die „Religion eines Soldatenvolkes“.
Diese dem Islam von rechts zugesprochene Wehrhaftigkeit gegen die USA, den Liberalismus oder wie es neuerdings bei Höcke und Co. heißt gegen das „Regenbogenimperium“, verleiht konservativen bis fundamentalistischen Strömungen des Islam bis heute in der extremen Rechten teils viel Respekt.
Auch nach der militärischen Niederschlagung des Nationalsozialismus diskutierte die extreme Rechte immer wieder ihr Verhältnis zum Islam. Wenn über eine strategische Zusammenarbeit der extremen Rechten mit Muslim*innen diskutiert wurde, dann meist, aber nicht ausschließlich, eingebettet in ein rassistisches ethnokulturelles Konzept wie die rechtsextreme Zeitung Nation und Europa titelte: „Arabien den Arabern (und dem Islam), Europa den Europäern und ganz Deutschland den Deutschen! Die Türken versammeln sich wieder in der Türkei“.
Mit der steigenden Zuwanderung auch aus muslimischen Ländern überwog aber nach und nach der rassistische Diskurs über Muslim*innen in Deutschland und Europa und den Islam generell. Der antimuslimische Rassismus ist bis heute bestimmend für die extreme Rechte in Deutschland. Dennoch gibt es immer mehr Stimmen, die der Meinung sind, dass die Migrant*innen nicht wieder verschwinden werden, zumal viele den deutschen Pass haben. Das nehmen beide Bücher zum Anlass neue Strategien zu entwickeln. Beide Bücher gehen vom gleichen Ausgangspunkt aus, schlagen aber teils sehr unterschiedliche Handlungsstrategien vor.
Das neue Volk – „den Tiger der multiethnischen Gesellschaft“ reiten
Dass die Befürwortung einer multiethnischen Bevölkerung auch mit einem zutiefst rassistischen und rechtsextremen Weltbild kompatibel ist, stellt der Historiker Simon Kießling in seinem Essay „Das neue Volk“ eindrucksvoll unter Beweis. Der im Antaios-Verlag von Götz Kubitschek erschienene Text wirft der extremen Rechten vor, nur noch Abwehrkämpfe zu führen, bewahren zu wollen, statt „eine mitreißende Vision, eine zündende Idee, einen positiven Zukunftsentwurf“ zu präsentieren. Mit seinem Buch will er das ändern und den „dauernden Rückzug“ stoppen. In sehr an faschistischen Heilsversprechen erinnernden Tonfall fordert Kießling „das Erhalten und Bewahren, Verteidigen und Konservieren sein zu lassen […], um stattdessen einen neuen Anfang zu wagen, eine Zukunft zu erkämpfen, eine Idee zu entwickeln, eine neue Welt auszubrüten“.
Das Konzept der Reconquista, also der nahezu kompletten Verdrängung von angeblich „volksfremden Gruppen“, vor allem Muslim*innen, aber auch Jüdinnen*Juden, was vor allem von der zerfallenden Identitären Bewegung und Martin Sellner tagein tagaus propagiert wird, bezeichnet er als „realitätsfremd“. Die Homogenität westeuropäischer Bevölkerungen sei unwiederbringlich verloren. Gegen den „mit naturgeschichtlicher Notwendigkeit erfolgenden Rückbau und Verfall der autochtonen Völker, existiert kein Mittel“, so Kießling. Seien sie „einmal in das Verfallsstadium eingetreten, ist ihnen schicksalhaft vorgeschrieben, die abschüssige Bahn bis zur bitteren Neige zu durchlaufen“.
Daher bedürfe es einer positiven Vision, „den neuen Mythos, den es dem Todeskult entgegenzustellen gilt“. Diesen könnten „die am Ende ihres Lebenszyklus angelangten weißen Völker nicht mehr aus sich selbst heraus bilden“, so Kießling. Daher müsse man sich „mit jungen, vitalen, unverbrauchten, extern ‚barbarischen‘ Potenzialen“ zusammentun. Aber man müsse genau gucken, wer dafür in Frage kommt. „Dabei ist es weniger wahrscheinlich, daß ausgerechnet konservative, strenggläubige Muslime eine entscheidende Rolle spielen. Haben diese doch an der eigenen Religion, der eigenen Spiritualität schon ihr Genüge. Zu denken wäre eher an jene, die sich als Suchende begreifen, die weder unter der Herrschaft des Globohomo noch unter jener der Scharia leben wollen“, also jene die sich „gegen die Anmaßungen des Transhumanismus und der Gender-Ideologie“ verteidigen wollen.
Er warnt das eigene Lager eindringlich: „Konservativ/rechts zu sein kann in diesem Sinne nicht bedeuten, alle eingewanderten Gruppen unserer multikulturellen Realität pauschal als feindliche Kräfte zu markieren, auf die man sich ausschließlich negativ bezieht“. Denn „dieses neue Volk, das sich um einen Elite-Kern kristallisiert, wird nicht mehr nur deutsch oder nur europäisch im engeren Sinne sein, sondern sich aus Menschen verschiedener ethnokultureller Herkunft zusammensetzen“, so Kießling. Es gelte einen neuen volksmäßigen Verband zu schaffen, „der das Abendländische aufbewahrt und weiterträgt, aber auch über es hinausgeht, indem er eine neue Synthese kreiert, die auch aus anderen geistigen und politischen Quellen schöpft“. Ziel müsse es sein „den Tiger der multiethnischen Gesellschaft zu reiten, also ihre dynamischen Potentiale für positive Zwecke zu mobilisieren und aus ihr eine wesentlich neuartige, formative Synthese abzuleiten, die weit über das Politische hinaus bis ins Sittliche und Religiöse reicht“, so der Historiker.
Während Kießling ein multiethnisches Volk der extremen Rechten gründen will, konzentriert sich Frederic Höfer auf Muslim*innen und den Islam, also ein Bündnis welches Kießling kritisch sieht.
Höfer: Feindbild Islam als Sackgasse
Im Klappentext wird betont, dass der Autor Frederic Höfer „sein bisheriges Leben im tiefsten Westen, im ethnisch, religiösen und sozialen Potpourri des Ruhrgebiets zugebracht“ hat. Eine westdeutsche Perspektive also. Dies zu betonen soll wohl auch pauschale Abwehrhaltungen aus dem Osten vorbeugen.
Die Realität habe den Islam und Deutschland „zusammengewürfelt“, damit müsse die extreme Rechte einen Umgang finden, so Höfers Ausgangsthese. Der Autor malt ein düsteres Bild der extremen Rechten. Man trete auf der Stelle, reale Machtchancen lägen weit in der Ferne. Die Frontstellung zum Islam des „patriotischen Lagers“, die Selbstbezeichnung der extremen Rechten, beruhe auf „widersprüchlichen und strategisch perspektivlosen Denkansätzen“. Das Islamfeindbild von Pegida und AfD führe „in eine politische und strategische Sackgasse: in die Sackgasse einer latenten Bürgerkriegsposition“. Er geht noch weiter: Die Islamfeindlichkeit der Rechten führe nicht dazu, dass Muslim*innen aus Deutschland verschwinden, sondern nur, dass sie sich weiter entfremden. Ein potentieller Bündnispartner der Rechten gegen „Verwestlichung“ und ein „Regenbogenimperium“ ginge so verloren. „Islamkritik“ lenke nur von den wahren Ursachen der Migration ab und befördere die „Denkweisen der hegemonialen Ideologie des Westens, die in letzter Konsequenz auf ein durchlässiges Migrationsregime“ hinauslaufe. Auch Höfer arbeitet sich in seinem Essay, wie Kießling, schwerpunktmäßig am im rechten Lager vorherrschenden Konzept der „Reconquista“ ab.
Islamistischen Terror befürwortet er nicht, rechtfertigt ihn aber mit Rückgriff auf Thor von Waldstein (früher NPD, jetzt „neurechts“), der auch das Nachwort zu dem Essay beigesteuert hat: Islamistischer Terror entspringe „der Verzweiflung Einzelner über erlittenes Unrecht an ihrem Volk“. Also quasi Notwehr, „der Westen“ ist selber schuld. Solch eine Rechtfertigung brutalsten Terrors könnte auch von manchen linken Antiimps kommen.
Dass sich das Buch vor allem an eine innerrechte Debatte richtet, zeigt sich auch daran, dass Höfer auf über 20 Seiten versucht „islamfeindlichen Evergreens“ anhand von Koranstellen und Suren zu widerlegen. Klassische Aufklärungsarbeit, die so oder so ähnlich auch in Büchern der Bundeszentrale für politische Bildung stattfinden könnte.
Dem Autor ist bewusst, dass seine Thesen in der extremen Rechten eher marginalisiert sind und die AfD genau gegenteilig agiert. Das Islamfeindbild habe laut Höfer bei der AfD „eine zunehmend konsensstiftende Funktion“ eingenommen. Er kritisiert Positionen im Parteiprogramm wie die Forderung das Kopftuch zu verbieten und sämtliche Koranschulen in Deutschland zu schließen.
Auch hier der Vorwurf an die AfD: „Die Antiislamagitation treibt Muslime aber ins traditionsfeindliche Lager der Globalisten und Diversity-Ideologen“, so Höfer.
Er wendet sich auch gegen rechtspopulistische Instrumentalisierung von Verbrechen und kritisiert klassische AfD-„Argumentationslinien“ scharf: „Ein Tunesier mit einem Messer ist genauso wenig ein ‚Messer-Moslem‘, wie rumänische Diebesbanden ‚Klau-Christen‘ sind“. Auch der Verweis auf die Religion als monokausale Erklärung für Kriminalität und soziale Probleme sei derart unterkomplex, dass sich eine ernsthafte Diskussion erübrige, so Höfer. Er plädiert für eine Trennung von „Islam- und Migrationskritik“, dies erfordere aber Fingerspitzengefühl. Das Wort „Islamkritik“, was auch er nutzt, ist der Euphemismus in der extremen Rechten für antimuslimische Ressentiments. Ohne „Islamkritik“, so Höfer, stelle die Programmatik der AfD aufgrund ihrer Politik gegen „Genderismus, Frühsexualisierung und LGBTQ-Kulte“, dem Verteidigen klassischer Familien, ihrer Positionen zu Klimapolitik und gegen wertegeleiteter Außenpolitik, für Muslim*innen ein „attraktives Angebot“ dar. Muslim*innen seien eine wachsende Wähler*innengruppe, die es anzusprechen gelte, so der Autor.
Ähnlich wie Kießling mahnt er an, die „multiethnische Realität“ anzuerkennen: „Die multiethnische Realität Deutschlands ist – bei aller notwendigen Schadensbegrenzung – eine unumkehrbare und bleibende Perspektive, mit der politisch-strategisch zu rechnen ist. […] Wenn die deutschnational-konservative Teilmenge […] sich in der horizontalen Abwehr anderer Ethnogruppen verliert, droht ihr, dass sie ihr letztes Gefecht als Stamm im Getümmel der Stammesfehden führen wird – während die Macher und Machthaber der globalisierten Moderne ihr Projekt unbehelligt vorantreiben […] Den Widerstand antiislamisch aufzuladen heißt, ihn depontenziert auf ein falsches Schlachtfeld zu führen“, so der Autor.
Höfer gesteht ein, dass die populistische Anti-Islam-Haltung die extreme Rechte gestärkt und die AfD in die Parlamente katapultiert habe. Diese populistische Haltung sei aber jetzt in einer strategisch-moralische Sackgasse angekommen und angesichts der demografischen Entwicklung potentiell selbstzerstörerisch. Ziel sei keine vorrübergehende Querfront, sondern eine „traditionelle Ökumene“, so Höfer.
Aufgeheizte Debatte: „Drecksarbeit für den VS & die globalen Eliten“
„Heimat, Freiheit, Tradition. Multikulti Endstation“, war immer die Hauptparole der Identitären Bewegung (IB) um Martin Sellner. Für ihn muss es wie Hohn und ein Schlag ins Gesicht erscheinen, dass nicht nur die IB quasi nicht mehr existiert, sondern jetzt auch das eigene eine ideologische Hauptkomponente seines politischen Kampfes entsorgt und wenn auch kein multikulturelles, aber ein multiethnisches Volk gründen will. Daher verwundert es nicht, dass Kießling, als auch Höfer, sich am stärksten an von Martin Sellner vertretenen rechtsextremen Konzepten abarbeiten.
Sellner wettert daher auch am lautesten auf Twitter, teilweise im Minutentakt, gegen die Ansätze und verteidigt seine Konzepte. Vom neurechten Autor Nils Wegner brachte ihm das den Vorwurf eines „Sinn- und zusamenhanglosen Clickbait“ ein. Sellner wiederum wirft Wegner „reflexartige Projektionen“ vor. Auch der Mitgründer des neurechten Onlineportals „Konflikt-Magazin“ teilt auf Twitter heftig gegen Sellner aus: Dieser wecke mit Schlagwörtern wie „Remigration“ ständig Hoffnungen, die nur enttäuscht werden könnten. Zudem würde er jede Woche einen neuen Hype generieren, an den seine Anhänger*innen glauben, dann aber schnell enttäuscht würden, wenn sich die Versprechungen nicht erfüllten. Dadurch würden sich viele zwangsläufig ins „individualistische Nirvana“ begeben und andere Wege suchen, so Wolters. Es brauche hingegen eine langfristige und kohärente Strategie, „keine neue Sau die durchs Dorf getrieben wird“, dafür liefere Höfer mit seinem Buch gute Ansätze.
Sehr gereizt entgegnet Sellner auch den (von ihm selber verkürzt dargestellten) Hauptthesen von Frederic Höfer: „Wer sagt: ‚Die Forderung der Remigration führe zum Bürgerkrieg‘ macht die Drecksarbeit für den VS & die globalen Eliten“. Außerdem gebe es überhaupt keine „demografische Substanz“ mehr für einen Bürgerkrieg, pflichtet der ehemalige stellvertretender Vorsitzender der IB in Deutschland, Daniel Fiß, Sellner bei. „Und wir würden ihn krachend verlieren“, ergänzt Sellner in einer Twitter-Diskussion. Generell wirkt Martin Sellner sehr frustriert vom status quo der sogenannten „neuen“ Rechten: „Es ist wirklich überraschend wie Rechte, die sonst sehr kreativ und gebildet sind, wenn es um Migrations& Bevölkerungspolitik geht, genauso plump denken wie unsere politischen Gegner“, ätzt Sellner. Während FPÖ und AfD sich der „Remigration“ annehmen würden, mache sich im rechten Vorfeld, was eigentlich radikaler als die Partei agieren solle, Resignation breit, so Sellner.
Eine inner-„neu“-rechte Diskussion
Dass die beiden Bücher der extremen Rechten eine teils hitzige Diskussion ausgelöst haben, kann nicht verwundern. Bislang findet sie jedoch nur in Teilen der eher „neuen“ Rechten statt. An der AfD ist die Debatte bislang weitestgehend vorbeigegangen. Doch das ist durchaus im Sinne des „neurechten“ Vorfelds, dessen elitärer Anspruch es ist, Debatten zu führen und Strategien zu entwickeln um für die rechtsextremen „Normalos“ zukünftige Wege vorzudenken, zu ebnen und Fallstricke auszuloten. Lediglich der stellvertretende Landesvorsitzender der AfD Sachsen-Anhalt, Hans-Thomas Tillschneider, veröffentlichte parallel zur innerrechten Islam-Diskussion in einer russischen Zeitung einen Artikel, in dem er den „russischen Weg“ im Umgang mit dem Islam lobt.
Tillschneiders Artikel fußt auf einer Rede, die er im April auf einer Rechtsaußen-Konferenz in Wien hielt. In dem Artikel fordert Tillschneider, „die multikulturelle Agenda der Globalisten“ zu bekämpfen, nicht den Islam: „Nicht der Islam ist der Feind, sondern die globalistische Elite, die eine Politik der Ersetzung der Nationen durch multikulturelle Gesellschaften verfolgt“, so der AfD-Politiker. Weiter schreibt er: „Der Islam hat eine Existenzberechtigung, er hat eine Heimat, die eben außerhalb Europas liegt“. Aber auch er vertritt die Ansicht, dass viele Muslim*innen in Deutschland bleiben werden und damit müsse ein Umgang gefunden werden: „Eine vernünftige Politik muss den Zuwanderern Wege eröffnen, ‚deutsch‘ zu werden, indem sie die hiesige Kultur annehmen und sich an die hiesige Lebensweise anpassen – und dabei gleichzeitig Muslime bleiben“, so Tillschneider. In seiner Rede in Wien hatte er dies noch weit zugespitzter formuliert: Wer (im „patriotischen Lager“) die Idee eines islamfreien Europas vertrete, werde am Ende kein islamfreies Europa bekommen, aber die Muslim*innen aus der patriotische Opposition vertreiben, so Tillschneider. In vielen, aber vielleicht nicht in allen Punkten, dürfte Björn Höcke ihm zustimmen.
Höckes Islam-Strategie
Der thüringische AfD-Landesvorsitzende hat schon 2018 in seinem Buch „Nie zweimal in den selben Fluß“ seine Islam-Strategie skizziert: Er lobt ausdrücklich die gute Zusammenarbeit mit muslimischen Ländern im Kaiserreich und während des Nationalsozialismus. Dies sei bis heute für das oft hohe Ansehen Deutschlands in diesen Ländern verantwortlich. Darauf ließe sich aufbauen. Er macht sich für eine Doppelstrategie der AfD in Bezug auf den Islam stark: „Erstens der Ausstieg aus der internationalen ‚Anti-Islam-Koalition‘ und die konstruktive Zusammenarbeit mit muslimischen Ländern – je nach nationaler Interessenlage. […] Und zweitens eine klare, konsequente Verhinderung der drohenden Islamisierung Deutschlands und Europas. Das heißt: Sofortiger Stopp der unkontrollierten Masseneinwanderung […]. Das alles ohne Vorurteile oder Haß auf den Islam als Religion und mit einem gebührenden Respekt gegenüber einer uns fremden Kultur. Diese Maßnahmen entsprächen der Staatsräson mit ihrer Verantwortung gegenüber dem eigenen Volk, das im allgemeinen eine eher ablehnende Haltung zum Islam und seiner Lebenskultur hat“. Er fordert die „Zahl der hier lebenden Muslime zu verringern“. „Wir können uns also im Grunde die ganze Islam-Debatte sparen: Hätten wir nicht die Massen an Orientalen und Muslimen in Europa und Deutschland, hätten wir auch kein elementares Problem mit dem Islam“, argumentiert Höcke.
Ein Zusammenleben in Deutschland mit „freundlichen und gesitteten Muslimen“, könne er sich gut vorstellen, „wenn unsere Rechtsordnung und Leitkultur ohne Einschränkungen anerkannt wird“, so Höcke in seinem Buch. Damit ist Björn Höcke näher an der Position von Sellner, als bei der von Höfer und Kießling: Wenn die AfD auf den Kurs von Kießling und Höfer einschwenke, werde sie eine postethnische Law & Order-Partei, die die Existenz des deutschen Volkes negiere und ihr Hauptziel aufgäbe, warnt Sellner. Dann wäre die AfD eine Partei wie CDU und SPD. Sellner sieht auch kein großes Wähler*innenpotential bei Migrant*innen. Potentielle AfD-Wähler*innen wie assimilierte Türk*innen müssten nicht umworben werden. Denn diese wählten ohnehin schon die AfD, „gerade, weil sie die Partei der einheimischen Deutschen ist. Diese authentischen Migrantenwähler sind aber, ebenso wie authentische Assimilation, sehr selten und schon aus demographischen Gründen (ihre Geburtenrate ist so gering wie die Assimilationsrate) keine ‚zukünftige Wählergruppe‘“, ist sich Sellner sicher.
Queer-, Trans- und Frauenfeindlichkeit
Auffallend ist, dass sowohl in den Argumentationen von Kiessling und Höfer wie auch der Gegenpositionen von Sellner Queer- und Transfeindlichkeit leitende Argumentationsfiguren sind. Queer und Trans werden als sichtbarste Zeichen des „Todeskultes des deutschen Volkes“ dargestellt. Zudem werden Frauen als das schwächste Glied in den Volksgemeinschafts-Phantasien ausgemacht: Frauen werden in der extremen Rechten sehr oft als schwach und somit gefährlich markiert. So postete Martin Sellner im Zuge der innerrechten Islam-Debatte ein Video, was junge Frauen zeigt, die zum Islam konvertiert sind. Er kommentierte: „Frauen passen sich in der Regel der dominanten Kultur an. Es ist ein Instinkt aus der Urzeit. Da wo der Islam das Leben reguliert und die Straßen dominiert, werden auch die Frauen langsam aber sicher konvertieren“.
Männlichkeit als verbindendes Element
Männlichkeit ist für Sellner hingegen ein positives und verbindendendes Element der extremen „alten“ Rechten mit vielen Migrant*innen und Muslim*innen: „Die Linken treiben jede Form von Männlichkeit und Maskulinismus aus ihren Strukturen aus und verschmelzen stattdessen mit den repressiven Staatsapparaten und werden letztlich zu Genderberatern in dem Moloch des transatlantischen-amerikanischen Sicherheitsapparates, der sie dann beschützt […]. Den Kampf um die Straße haben sie weitestgehend aufgegeben“, wettert Sellner. Durch die Masseneinwanderung und angeblich hohen Geburtenraten von Migrant*innen könne es sogar eine Frage von Leben und Tod sein, wer es schafft diesen „Migrantenblock“ auf seine Seite zu ziehen, philosophiert der Österreicher. „Denn mit denen kann man den Gegner kaputt machen“, ist sich Sellner sicher. Durch solche temporären Bündnisse könnten Rechte an entscheidender Schlagkraft gewinnen. Aus identitärer Sicht sei ein solches Bündnis auf der Straße aber abzulehnen. Dann würden wie bei dem Vergewaltigungs-Apologeten Andrew Tate nur noch Kraft, Energie, Männlichkeit und Schönheit eine Rolle spielen. „Ethnizität, Volk und Kultur spielen keine Rolle“, kritisiert Sellner auf Telegram.
Auch die neurechte Publizistin vom Institut für Staatspolitik, Ellen Kositza, mischte sich in die Diskussion ein und wirft Höfer vor, dem Islam auf dem Leim zu gehen. Sie spekuliert, dass er bereits zum Islam konvertiert sei. Dennoch sei das Buch ein wichtiger Diskussionsbeitrag, denn die knapp sechs Millionen Muslim*innen seien nun mal hier und man müsse einen Umgang finden. Zumal auch pauschaler Islamhass indiskutabel sei, so Kositza. Was ihr und dem neurechten Institut für Staatspolitik wiederum den Vorwurf einbrachte, sich mit dem „Bevölkerungsaustausch“ abgefunden zu haben.
Rechtsextreme Praxis
Neben diesen theoretischen Überlegungen gibt es bereits verschiedene thematische Formen der rechtsextremen Praxis. Früher waren es eher „außenpolitische Projekte“ mit arabischen Staaten oder Organisationen, wie die Ausbildung der Wehrsportgruppe Hoffmann in einem PLO-Camp im Libanon oder die am Tod von Michael Kühnen gescheiterte Bereitstellung einer Neonazi-Freiwilligeneinheit für den Irak im Krieg gegen die USA.
Mit der steigenden Migration nach Deutschland ist jedoch eine gegen Muslim*innen und Migrant*innen generell gerichtete rechtsextreme Praxis – von Kampagnen gegen Moscheebau, Demonstrationen bis hin zu Anschlägen – bestimmend geworden. Aktuell will scheinbar Martin Sellner gemeinsam mit Irfan Peci, ehemaliger Islamist, jetzt selbsternannter „Islamistenjäger“, mit einer „Brennpunkttour“ durch Österreich daran anknüpfen. Sellner und Peci wollen an Orte mit viel Migration rechtsextreme Kundgebungen durchführen mit dem Ziel „zu gucken wie die Migranten reagieren“, so Peci.
Aber es gibt auch aktive Bündnispolitik von rechts mit Migrant*innen und Muslim*innen. Für große mediale Aufmerksamkeit hat eine neue rechte Gruppierung in Bochum gesorgt, die sich aus bekannten Neonazis und Personen mit muslimischen Hintergrund zusammensetzt. Bei einem Überfall auf ein linkes Hausprojekt wurden „SS-Runen“ gesprüht und „Allahu akbar“ gebrüllt. Als verbindendes Element gilt auch hier der Hass auf LGBTIQ+-Personen und Antifaschist*innen.
Nicht so martialisch ist der strategische Ansatz der rechtsextremen Betriebsgruppe „Zentrum“ (früher „Zentrum Automobil“). Die Betriebsratsliste um den Rechtsextremisten Oliver Hilburger, früher Mitglied bei der Neonaziband „Noie Werte“, wurde im Daimler-Werk Untertürkheim gegründet und wird dort seit Jahren, wenn auch nur mit verhältnismäßig wenigen Stimmen, in den Betriebsrat gewählt. Entscheidend dafür war auch, dass auf seiner Liste durchaus viele Arbeiter*innen mit Migrationsbiografie kandidieren. Linke Gewerkschafter*innen sehen darin eine gezielte Strategie: „Wenn man da den offenen Rassisten raushängen lassen würde, würde man sicher keine vier Mandate kriegen. Allerdings sollen Hilburger und seine Getreuen gezielt nach Leuten mit nationalistischen oder patriotischen Ansichten gesucht haben, wie uns berichtet wurde. Da ergibt sich eine Schnittmenge über die Herkunft hinweg, und so setzt sich auch ihre Liste zusammen, auf der sich einige Leute mit serbischen, kroatischen, griechischen oder türkischen Wurzeln finden“ (PDF), heißt es im express, einer linken Gewerkschaftszeitung.
Die Debatte wird nicht verschwinden
Die Grundzüge der von Kießling und Höfer zugespitzten Debatte sind nicht neu und bedienen sich dem Standardrepertoir der „neuen“ Rechten: Der Liberalismus ist der Hauptfeind (auch wenn Martin Sellner das immer mal wieder etwas in Frage stellt), die „Islamisierung“ eher Ausdruck abendländischer Schwäche und eine „globalistische“ Strategie. Alles was mit Gender, Queer und Trans zu tun hat, ist Ausdruck der tödlichen Dekadenz des Westens und das Weibliche ist stets das gefährliche, da es schwach sei.
Was das Abendland retten kann, ist die Besinnung auf Werte wie Tradition, Identität, „Keimzelle Familie“ und vor allem die Wiedererlangung von Männlichkeit. Was dies in der Praxis im Umgang mit „dem Islam“ und Menschen mit jüngerer familiärer Migrationsgeschichte heißt, ist die große Streitfrage. Diese wird die extreme Rechte inklusivr der AfD in den nächsten Jahren immer wieder beschäftigen. Die Debatte wird bleiben und eher an Brisanz zunehmen.
Titelfoto: Flickr / strassenstriche.net / CC BY-NC 2.0